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Was wir von Sterbenden lernen können

Laupheim / Lesedauer: 5 min

Mitarbeiter des Ökumenischen Hospizdiensts erklären, was wir von Sterbenden lernen können
Veröffentlicht:13.02.2019, 17:57

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Der Ökumenische Hospizdienst begleitet Menschen, deren Leben zu Ende geht. Oft sind es ältere Menschen, die auf ein langes Leben zurückblicken können. Manchmal aber auch Kinder. Inge Humm gehört zu den Gründungsmitgliedern des Hospizdiensts in Laupheim – Dijana Jovanovic ist vor drei Jahren dazugestoßen. Christoph Dierking hat mit ihnen über ihr Engagement gesprochen.

Frau Humm, Sie sind seit den Anfängen des Ökumenischen Hospizdiensts im Jahr 1996 dabei. Was treibt Sie an?

Humm: 1986 ist mein Vater gestorben. Damals habe ich mich ziemlich hilflos gefühlt. Mich hat das auch viele Jahre danach noch beschäftigt. Ich habe zahlreiche Bücher gelesen, die sich mit dem Tod befassen. Und ich bin zu dem Schluss gekommen: Es kann nicht sein, dass Sterbende und ihre Angehörigen in schwierigen Zeiten alleine gelassen werden.

Frau Jovanovic, Sie betreuen vor allem Kinder und Jugendliche. Was ist Ihre Motivation?

Jovanovic: Ich habe einen ähnlichen Hintergrund – und ich glaube, dass jeder, der sich beim Hospizdienst engagiert, sein eigenes biografisches Päckchen mit sich trägt. Mein Opa ist gestorben, als ich 13 war. Damals durfte ich nicht mit zur Beerdigung. Ich wurde nicht einmal gefragt. Das finde ich im Nachhinein sehr schade. Im Laufe meines Lebens sind viele Menschen gestorben, die mir wichtig waren. Ich dachte mir: Von meiner Erfahrung im Umgang mit Sterben, Tod und Trauer können auch andere Leute profitieren. Und dann habe ich beim Hospizdienst angerufen und gesagt: Hier bin ich!

Sie begleiten Schwerstkranke und Sterbende, aber auch Kinder, die Angehörige verloren haben. Wie sieht Ihre Hilfe in der Praxis aus?

Humm: Wir nehmen mit den Menschen zu Hause oder im Pflegeheim Kontakt auf, hören ihnen zu und sprechen über Ängste und Sorgen. Und vor allem schenken wir ihnen Zeit. Als Einsatzleiterin stelle ich Informationen über die Betroffenen zusammen, die unseren Mitarbeitern ein paar Anhaltspunkte liefern. Was ist die Situation? Wie sieht die Biografie des Menschen aus? Und gegebenenfalls: Welche Themen dürfen nicht angesprochen werden?

Jovanovic: Im Fall von Kindern erfolgt die Kontaktaufnahme übers Spielen. Wichtig ist zunächst, Vertrauen aufzubauen. Man darf nicht vergessen, dass die Familie wegen des Sterbefalls komplett auf dem Kopf steht. Da ist ganz viel Sensibilität gefragt. Man ist mit großen Ohren und kleinem Mund vor Ort, sage ich immer. Heißt: Ich höre gut zu und halte mich zurück, bis ich die Situation einschätzen kann.

Wie geht es weiter, wenn Sie das Vertrauen des Kindes aufgebaut haben?

Jovanovic: Die Hilfe kann ganz verschiedene Bereiche betreffen. Von Fahrdiensten über Hausaufgabenhilfe bis hin zu gemeinsamen Ausflügen – praktische Dinge eben. Begleiten, unterstützen und entlasten. Ein siebenjähriges Kind kann die Endgültigkeit des Todes noch nicht erfassen. Dies ist erst ab einem Alter von ungefähr zwölf Jahren der Fall. Entsprechend geht es oft darum, Fragen zu beantworten. Fragen wie: „Fressen die Würmer den Papa, wenn er im Sarg ist?“ Dann erkläre ich, dass der Sarg tief unten in der Erde liegt und die Würmer dort nicht mehr hinkommen. Außerdem ist es sehr wichtig, Trauer zu durchleben. Wenn Gefühle nicht verarbeitet werden, kommen sie zu einem späteren Zeitpunkt wieder hoch.

Zum Teil sind es sehr emotionale Schicksale und schwierige Situationen, die Sie miterleben. Wie gehen Sie damit um?

Humm: Wir haben jederzeit die Möglichkeit, einander anzurufen, uns beim Gruppentreffen auszutauschen oder in der Supervision schwierige Erlebnisse aufzuarbeiten. Aber Belastendes kann auch zur Bereicherung werden: Wenn wir dazu beitragen, dass ein Mensch sein Sterben annehmen kann und friedlich einschläft, ist die Begleitung für uns sehr erfüllend. Deshalb halten viele Mitarbeiter dem Hospizdienst seit vielen Jahren die Treue. Mir persönlich bleibt vieles im Gedächtnis. Wenn ich bestimmte Namen lese, dann fällt mir sofort die Geschichte dazu ein. „Man muss das Leben nehmen, wie es kommt“ – das ist ein Satz, den ich häufig zu hören bekomme. Da steckt viel Wahrheit drin.

Also können wir von Sterbenden lernen?

Humm: Auf jeden Fall. Vor allem, was Dankbarkeit und Gelassenheit betrifft. Manchmal gibt es eben Dinge im Leben, die anders laufen als gedacht. Diese müssen wir auf sich beruhen lassen. Vieles haben wir nicht in der Hand. Und natürlich kommt es darauf an, seine Träume zu verwirklichen, solange man die Möglichkeit hat. Viele Sterbende bereuen, wenn sie etwas versäumt haben.

Jovanovic: Ich sehe das ganz ähnlich – wir können wirklich sehr viel lernen. Todkranke Kinder sind unheimlich stark. Für die Eltern bricht eine Welt zusammen, weil die Chronologie nicht stimmt. Sie müssen sich damit abfinden, ihr eigenes Kind zu beerdigen. Das Paradoxe ist: Manchmal spenden die Kinder ihren Eltern Kraft und nicht umgekehrt. Allgemein wäre mir wichtig, dass wir mit Kindern mehr über Sterben, Tod und Trauer sprechen. Sie aus der Tabuzone herausholen. Denn bei meiner Tätigkeit stelle ich immer wieder fest, dass Kinder diese Themen beschäftigen.

Über den Ökumenischen Hospizdienst

Seit 1996 bietet der Ökumenische Hospizdienst Laupheim Sterbenden und ihren Angehörigen kostenlose Unterstützung an – unabhängig von Alter, Krankheitsbild, Religionszugehörigkeit und Nationalität. Zuständig ist er für die Gemeinden Laupheim, Achstetten, Burgrieden, Mietingen und die dazugehörigen Teilorte.

Alle ehrenamtlichen Mitarbeiter haben einen Vorbereitungskurs besucht und sind im Umgang mit Schwerstkranken, Sterbenden und ihren Angehörigen geschult. Sie stehen unter Schweigepflicht und wissen, wie sie in Krisenzeiten kommunizieren müssen, welche Bedürfnisse die Betroffenen haben und können auch bei praktischen Fragen weiterhelfen.