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Odyssee

Nach langer Odyssee kehrt 500 Jahre alte Madonna ins Schwäbische zurück

Baustetten / Lesedauer: 6 min

Wird eine gut 500 Jahre alte Madonna wieder in der Baustetter Kirche ihren Platz finden?
Veröffentlicht:04.06.2019, 06:00

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Traurig, abwesend und wartend scheint sie auf den Boden zu blicken. Den Kopf leicht nach links neigend, behält sie ihre aufrechte Haltung. Auf dem linken Arm hält sie ihr Kind, berührt es zärtlich mit der rechten Hand am Fuß, wo der Saum ihres langen Gewands grün-gold schimmert – gleich einer der zahlreichen Flüchtlingsfrauen, die nicht wissen, wohin sie gehen sollen.

Allerdings ist diese Frau ein Kunstwerk der Spätgotik, eine Madonna-Skulptur, die ihre Heimat vor rund 140 Jahren verlassen musste. Auch sie hat eine lange Odyssee hinter sich, denn die 128 Zentimeter große Figur aus Lindenholz, die rund 400 Jahre auf einem Hochaltar in der Sankt-Ulrich-Kirche in Baustetten gestanden hatte, ist wieder in der Region Oberschwaben aufgetaucht. Ende des 19. Jahrhunderts, als die Baustetter Gemeinde ihr Kirchen-Interieur erneuerte, gelangte die Madonna in Privatbesitz. Seither wanderte sie von einer Hand zur nächsten und erscheint in den vergangenen Jahrzehnten nur punktuell bei Kunsthändlern oder privaten Sammlungen an verschiedenen Orten Deutschlands.

Ein Stück Kultur für die Region Oberschwaben gesichert

2016 gelang es dem Zweckverband Oberschwäbische Elektrizitätswerke (OEW), die Figur zu erwerben. Die OEW hat sich seit 1952 der Aufgabe verschrieben, Kunst und Kultur der Region zu fördern und bedeutende Kunstwerke für die oberschwäbischen Landkreise zu erwerben.

Drei Jahre stand das Unikat wohlgehütet und unter der Aufsicht professioneller Kunsthistoriker und Restauratoren in einem Depot der OEW. Nun wird es seit dem Verschwinden aus der Baustetter Kirche erstmals wieder der breiten Öffentlichkeit präsentiert – allerdings ausschließlich bis Frühjahr 2020 in Stuttgart, Schloss Achberg und Rottweil als Teil der Wanderausstellung „bellafigura“, die außergewöhnlich ästhetische und regional bedeutende figurative Kunst aus unterschiedlichen Epochen zeigt.

„Nicht nur die künstlerische Qualität, sondern auch die Herkunft der Figur waren maßgeblich der Grund, die Madonna zu kaufen und in die Sammlung der OEW zu überführen“, erklärt Michael Maurer , der stellvertretender Leiter des Kulturbetriebs im Landratsamt Ravensburg ist und zugleich Kurator der Ausstellung „bellafigura“. „Wir betrachten das als Kulturgutssicherung für die Region.“ Er gehört außerdem zum Team, das sich um die Kunstsammlung des Zweckverbands OEW kümmert. „Diese Madonna gehört zu den wenigen Figuren dieser Art, die sich sehr genau verorten lassen.“

Demnach entstand die Madonna um das Jahr 1500 herum in der damals wichtigen und großen Kunstwerkstatt von Nikolaus Weckmann in Ulm. Der Auftrag für das Kunstwerk stand im Zusammenhang mit der Patronatsstiftung des vormaligen Ulmer Altbürgermeisters Wilhelm Besserer. Er gab das Geld für die Ausstattung der Baustetter Kirche St. Ulrich. Die Madonna war höchstwahrscheinlich Teil des vormaligen Hochaltars. Noch heute wird dort für Besserer eine jährliche Stillmesse am 11. November gelesen.

Bedeutsames Objekt der regionalen Volksfrömmigkeit

Michael Maurer sagt, solche Madonnen-Darstellungen sollten den Gläubigen im Spätmittelalter konkret Bibeltexte bildlich vermitteln und waren somit Ausdruck einer weit verbreiteten Volksfrömmigkeit in der damaligen Zeit. Ende des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunderts gab es wieder verstärkt Interesse an solchen spätgotischen Darstellungen, allerdings dann von privaten Kunsthändlern und Liebhabern.

Genau in dieser Zeit, um das Jahr 1882, wollte die St. Ulrich-Gemeinde ihre Kirche neu gestalten und versteigerte wahrscheinlich viele Kunstobjekte, um die Renovierung zu finanzieren. Wer die Mondsichel-Madonna tatsächlich kaufte, bleibt unklar. Trotzdem befindet sich auf der Madonna ein handschriftlicher Vermerk, den die Kunstkenner der OEW entdeckt haben. Michael Maurer sagt: „Wir entzifferten den Namen der Baustetter Familie Magg.“

Um 1909 erscheint sie dann in Frankfurt am Main im Kunsthandel und gelangt 1913 zur Münchener Kunstsammlung Oertel. Anschließend wandert sie angeblich nach Nordamerika ab, vermuten Beobachter, doch Michael Maurer kann das ausschließen. Als das Kunstwerk 1979 auf einer Kunstauktion in München für 100 000 Deutsche Mark (rund 50 000 Euro) angeboten wurde, kaufte es ein Privatmann in Dortmund – dann wurde es still um die Baustetter Madonna.

Kommt die Figur zurück nach Baustetten?

Vor rund vier Jahren meldete sich plötzlich der Eigentümer aus Dortmund und bot die Figur nunmehr für ungefähr 65 000 Euro an. Karl-Josef Rief, Mesner der St. Ulrich Gemeinde, versuchte zu dieser Zeit, die Madonna wieder nach Baustetten zu überführen. Er erzählt, er habe potentielle private Sponsoren in Laupheim zu überzeugen versucht, Geld für den Kauf des Kunstwerks bereitzustellen, damit die Madonna wieder ihren ursprünglichen Platz in der Baustetter Kirche einnehmen könne. Hinter den Kulissen kontaktierte er Banken, die Stadt Laupheim, Museen und Mitglieder der Kirchengemeinde, jedoch erhielt er lediglich eine Zusage über 25 000 Euro – zu wenig, um das begehrte Objekt in heimische Gefilde zu bringen. Schließlich, die letzte Madonnen-Erscheinung auf dem Kunstmarkt kurze Zeit später – dieses Mal bei einem Kunsthändler in Bamberg, der stattliche 125 000 Euro verlangte. Zu viel für die Laupheimer. Doch dann kaufte die OEW die Madonna in Bamberg. Rief ist letztlich dankbar, dass die OEW im Jahr 2016 zum Zuge kam und die Figur in ihre Obhut nahm. „Die Madonna ist für unsere Region gerettet“, sagt er. Wie viel Geld der Zweckverband bezahlen musste, wollen die Verantwortlichen der OEW nicht sagen. Michael Maurer betont aber, man habe ausgeschlossen, dass es sich bei der Madonna um Raubkunst aus dem „Dritten Reich“ handelt.

Mit dieser Rückführung nach Oberschwaben ist der dauerhafte Standort der Mondsichel-Madonna nach dem Jahr 2020, wenn die Ausstellung „bellafigura“ enden wird, nicht geklärt. Karl-Josef Rief sagt frei von der Leber weg, er könne sich sehr gut vorstellen, die Madonna wieder in der Baustetter Kirche zu empfangen, beispielsweise als Dauerleihgabe in einem neugestalteten Kirchenraum, denn eine Renovierung sei in Bälde notwendig. Der Pfarrer der St. Ulrich-Gemeinde, Alexander Hermann, klingt deutlich zurückhaltender, denn es gibt noch keine offizielle Position der Kirche zu diesem Thema: „Unsere Gemeinde sieht sich nicht veranlasst, die Initiative für eine Dauerleihgabe der Mondsichel-Madonna zu ergreifen. Das stand und steht nicht auf unserer Tagesordnung.“

Michael Maurer meint, wenn die Baustetter Kirche ein gutes Ausstellungskonzept vorweisen könne, sei eine Dauerleihgabe des wertvollen Kunstobjekts durchaus denkbar. „Zunächst müssen erst einmal eine Vielzahl von Faktoren geklärt werden, wie zum Beispiel konservatorische Bedingungen oder Sicherheitsfragen.“ Entscheidend seien Gespräche zu gegebener Zeit mit dem Landkreis Biberach, der Mitglied des Zweckverbands OEW ist.

Apokalyptische Figur

Eines der Merkmale dieser Madonna mit Kind ist die Darstellung des Monds am Fuß der teilrestaurierten Skulptur, die oftmals als Symbol für die katholische Kirche gedeutet wird. Der Mond verbildlicht jedoch zugleich den biblischen und apokalyptischen Text im Buch der Offenbarung des Johannes in Kapitel 12, Vers 1, der im Neuen Testament steht: „Dann erschien ein großes Zeichen am Himmel: eine Frau, mit der Sonne bekleidet; der Mond war unter ihren Füßen und ein Kranz von zwölf Sternen auf ihrem Haupt“. Daher spricht man auch von der „Apokalyptischen Madonna“.