Erbitte Dir vom Herrn ein Zeichen.“ So ermutigte der Prophet Jesaja vor langer Zeit Ahas, König von Juda. Den aber plagten seine politischen Ängste so sehr, dass er diese Option ablehnte.
Keine Kruzifixe im Krankenzimmer
Vor Jahren wurde in Laupheim eine neue Station für chronische Schmerzpatienten geöffnet. Die leitende Ärztin bat die Pflegedienstleiterin, die Kruzifixe aus den Krankenzimmern zu entfernen. Davon erfuhr ich dann als Seelsorger im Krankenhaus. „Menschen, die schon heftigste Schmerzen ertragen müssen, müsste man nicht auch noch den Anblick eines Schmerzensmannes zumuten.“
Ob der Gekreuzigte ein unzumutbares Zeichen ist? Etwa zur gleichen Zeit entdeckte ich bei der Begehung des Dachstuhls unserer Friedhofskirche St. Leonhard in Laupheim einen „Geißelheiland“. Er blickte mich aus verstaubten Augen intensiv an. So, als würde er mir zurufen: „Hol’ mich hier raus.“ Das durfte ich, seither steht er in meinem Büro.
Dort gibt es vier Stühle. Wenn Menschen zur geistlichen Begleitung kommen, bin ich immer wieder überrascht, wenn sich viele so setzen, dass sie den gegeißelten Schmerzensmann anschauen können.
Was der Geißelheiland in Menschen auslöst
Warum ist das so? Weil der Geißelmann ausspricht, was der Besucher noch nicht ausdrücken kann, aber gerne hinausschreien möchte. So hat er hier schon Männern geholfen, die in ihrer beruflichen Situation nicht weiterkamen und dennoch Sorge hatten, die ungute Anstellung zu lösen. In ihm entdeckten sich Frauen, die zu Mobbingopfern geworden waren.
Und begannen, von Worten ihrer Peiniger zu reden, die ihre Seelenhaut zerfetzt hatten. Im Blick auf den Geplagten begann ein suizidaler Mensch zu weinen, weil er sich angesichts des ihm zugemuteten Morbus-Crohn fragte: Was habe ich verbrochen, dass mich dieses Schicksal ereilt?
Gewiss, manch Besuchende setzen sich auch mit dem Rücken zu ihm hin. Auch in Ordnung.
Zurück zum Kreuz-Zeichen im Krankenzimmer. Ich sagte damals der Pflegedienstleiterin: Der Gekreuzigte ist nicht nur eine unzumutbare Provokation, sondern vor allem ein Verbündeter im Schmerz. Da leidet einer wie ich, ohne es verdient zu haben. Da versuchte jemand, sein Kreuz zu tragen, und bricht dennoch dreimal zusammen.
Welchen Kompromiss es gibt
Da ringt jemand, und kommt sich schrecklich verlassen vor. Und nicht zuletzt ist in Verbindung mit Ostern das gekreuzte Holz von Golgotha das Zeichen, in dem der Prophet Jesaja im Auftrag Gottes Hoffnung auf Wandlung, Rettung und Befreiung verhieß.
Mit der Ärztin im Krankenhaus konnten wir eine Übereinkunft erzielen. Statt der Kruzifixe hängen nun schlichte Holzkreuze in diesen Krankenzimmern. Habe ich damit als Theologe kapituliert? Es fühlt sich beim Anblick des schlichten Kreuzes nicht so an. Auch ohne den Corpus des gepeinigten Schmerzensmannes ist es im Krankenzimmer ein Zeichen des Karfreitags, das Zeichen Gottes, in dem wir gerettet sind. Das zu entdecken ist eine Zumutung.
Damals konnte und wollte Ahas nicht auf Gott hoffen. Die meisten Apostel sind vor dem Kreuz auf Golgotha weg-gelaufen. Nur wenige standen unter dem Kreuz. Drei Jüngerinnen und ein Jünger des Jesus Christus, so weiß es die Tradition, mussten mit diesem Anblick durch drei äußerst schwierige Tage hindurch. Manchmal braucht es mehr als die drei Passionstage, um unsere Erlösung durch die Hiebe der Furcht hindurch zu verspüren.