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Geburtstag

Der Schöpfer Hollywoods kommt aus Laupheim

Laupheim / Lesedauer: 7 min

Haus der Geschichte Baden-Württemberg widmet Filmproduzent Carl Laemmle eine große Sonderausstellung
Veröffentlicht:10.12.2016, 20:41

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„It can be done“, lautete sein Credo, und an Visionen hat es dem 1867 in Laupheim geborenen Hollywood-Pionier Carl Laemmle nie gefehlt. Am 17. Januar 2017 wäre der Gründer des Filmgiganten Universal 150 Jahre alt geworden. Das Haus der Geschichte Baden-Württemberg (HdG) widmet ihm eine große Sonderausstellung des Landes.

Behutsam streicht Beth Werling die Frontleiste der Uniformjacke glatt. Entfernt ein Staubkorn, rückt die Ärmel zurecht. 100 Jahre alt ist das Kleidungsstück. Getragen hat es Laura Oakley; sie sah als Polizistin in der Studiostadt Universal City nach dem Rechten und spielte bei Bedarf als Ordnungshüterin in Filmen mit.

Die Jacke ist eines von mehr als 200 Exponaten in der Ausstellung „Carl Laemmle presents ... Ein jüdischer Schwabe erfindet Hollywood “. Für gewöhnlich schlummert sie im Fundus des Natural History Museum in Los Angeles; von dort hat Beth Werling eine ganze Reihe kostbarer Requisiten ins Haus der Geschichte gebracht. „Das ist die größte Leihgabe, die wir je nach Übersee geschickt haben“, sagt die Archivarin. „Stuttgart darf sich glücklich schätzen.“

Von Laupheim in die Welt

Außergewöhnlich sei diese Ausstellung, sagt der HdG-Chef Thomas Schnabel. Weltweit haben die Kuratoren Cornelia Hecht und Rainer Schimpf recherchiert und Exponate aufgetan; viele werden erstmals öffentlich gezeigt. Ein sechsstelliger Zuschuss des Landes und der HdG-Förderkreis sicherten den 800 000-Euro-Etat. Carl Laemmle, dessen ist Schnabel gewiss, habe einen solchen Aufwand verdient: „Er war ein wegweisender, global denkender Filmproduzent, der seiner alten Heimat stets verbunden blieb und in dramatischen Zeiten Menschlichkeit und politischen Sachverstand bewies.“

Ein Leben für den Film, ein filmreifes Leben: Was liegt näher, als Laemmles Geschichte mit den Mitteln des Kinos an „Filmsets“ zu inszenieren. Ausgangspunkt ist jeweils ein Geburtstag, der für eine Wegmarke in seiner Biografie steht. An jedem Set werden Ausschnitte aus Universal-Filmen gezeigt; das erzeugt Kintopp-Flair und rückt technische wie thematische Entwicklungen ins Bild.

Das erste Kapitel, „Der Deutsch-Amerikaner“, erzählt das spannungsreiche Leben zwischen zwei Welten. Im Januar 1917 feiert Laemmle, mit 17 nach Amerika ausgewandert, wo er es vom Laufburschen zum millionenschweren Filmproduzenten bringt, mit viel Pomp seinen 50. Geburtstag. Die Speisekarte ist zweisprachig. Wenige Wochen später zwingt ihn der Kriegseintritt der USA gegen das Kaiserreich, sich für eine Seite zu entscheiden. Er bekennt sich zu Amerika, dreht antideutsche Propagandafilme. Nach Kriegsende aber sammelt er für die Not leidende Bevölkerung in der alten Heimat, besucht wieder regelmäßig seine Vaterstadt Laupheim und tut ihr Gutes. 1930 gewinnt sein Film „Im Westen nichts Neues“ („All Quiet on the Western Front“), der Elend und Sinnlosigkeit des Krieges am Schicksal deutscher Soldaten festmacht und anprangert, zwei Oscars. Wenn er auf etwas in seinem Leben stolz sei, dann auf dieses Werk, erklärt Laemmle. In Deutschland wird er von Rechtsnationalen als „Filmjude“ verteufelt; antisemitische Hetze bricht sich Bahn. Die Ausstellung zeigt den Original-Oscar für Regisseur Lewis Milestone sowie eine Gasmaske und eine Handgranate, Original-Requisiten aus deutschen Beständen.

Aus einer Hühnerfarm wird Hollywood

Laemmle ist der Schöpfer Hollywoods. 1912 kauft er eine aufgelassene Hühnerfarm vor den Toren von Los Angeles und macht daraus Universal City , eine Filmstadt mit Postamt, Krankenhaus und einem Zoo für tierische Komparsen. Tausende Streifen werden hier gedreht – Western und Horrorfilme (Laemmle hat dieses Genre mitbegründet), Melo-dramen, Historienschinken, Bergsteiger-Epen – „Dracula“ und „Glöckner von Notre Dame“ gehören dazu. Andere berühmte Traumfabriken (MGM, Paramount, Warner) sind diesem Beispiel gefolgt. Blickfang in der Ausstellung ist eine Filmkamera aus jener Zeit, die später Charlie Chaplin gehörte. Gut herausgearbeitet wird Laemmles Gespür für Marketing. Er gilt als Erfinder des Starkults, fördert junge Talente (auch Regisseurinnen), treibt die erdumspannende Filmvermarktung voran. Etwa 120 Niederlassungen zählt die Universal im Jahr 1930, von Oslo bis Buenos Aires, von Vancouver bis Tokio.

Laemmle, klein an Statur, aber wagemutig und von unbändigem Unternehmergeist getrieben, wohltätig und weltoffen, regiert sein Reich nach Art eines Patriarchen: Er ist der Boss, lächelnd aber gewitzt; ein gütiger, aber auch vereinnahmender Familienmensch, der gern Verwandte in die Firma einbindet und aus dessen Schatten der Sohn Julius nie wirklich hervortreten kann; fürsorglich zu folgsamen Untertanen, die ihn ungeniert „Uncle Carl“ rufen, und zugleich ein Pfennigfuchser. Wer kostenbewusst handele, ruft er in einem auf Zelluloid gebannten Spar-Appell seiner Belegschaft zu, könne alles erreichen. Die Ausstellung arbeitet all diese Facetten eindrucksvoll heraus – und eine dunkle Seite, Laemmles hemmungslose Spielleidenschaft, die ihn um viel Geld bringt.

Laemmle rettet Hunderten Juden das Leben

In den 1930er-Jahren gerät die Universal wirtschaftlich in Schieflage. 1936 muss Laemmle seine Aktienmehrheit verkaufen, weil er einen Kredit nicht fristgerecht bedienen kann. Danach rückt, bis er 1939 einem Herzinfarkt erliegt, die letzte Hauptrolle seines Lebens in den Mittelpunkt, ohne Glamour und bisher selten gewürdigt, aber vielleicht die wichtigste – und gerade heute brandaktuell. Mit Bürgschaftserklärungen ermöglicht er Hunderten deutscher Juden die Einreise in die USA und bewahrt sie so vor dem tödlichen Zugriff der Nationalsozialisten. Laupheimer sind unter den Geretteten, aber auch Menschen, die Laemmle gar nicht kennt. Als die US-Behörden keine weiteren Bürgschaften von ihm akzeptieren, bedrängt er Freunde und Bekannte, es ihm gleichzutun. „Ich tue, was mein Herz mir befiehlt“, schreibt er 1937 an die Visa-Abteilung des State Departments.

Als die Ausstellung am Donnerstag eröffnet wird, ist Sandy Einstein aus Kalifornien unter den Gästen. Sein Vater Hermann Einstein aus Buchau entkam dank Laemmles humanitärem Engagement dem Holocaust. Ein tief berührender Dankesbrief zeugt davon. Der Sohn, in den USA geboren, liest ihn mit feuchten Augen. „Ohne Laemmle würde es mich nicht geben“, sagt er leise.

Doch nicht immer war da ein Happy-End. „I am terribly sorry“, schreibt Laemmle im letzten Dokument der Ausstellung dem jüdischen Schauspieler Fritz Winter. Er selbst darf nicht mehr bürgen – und niemand ist zur Stelle, um einzuspringen.

Zum 150. Geburtstag gibt es Torte, einen Produzentenpreis und ein Laemmle-Musical

Man soll die Feste feiern: Am 17.Januar 2017, Carl Laemmles 150.Geburtstag, fährt das Haus der Geschichte in Stuttgart eine 150Pfund schwere Torte auf. Sie wird unter den Besuchern der Ausstellung „Ein jüdischer Schwabe erfindet Hollywood“ verteilt.

Die Stadt Laupheim erinnert im Laemmle-Jahr 2017 mit einer Reihe von Veranstaltungen an ihren berühmten Sohn. Am 17. März wird im Kulturhaus in Kooperation mit der Allianz deutscher Film- und Fernsehproduzenten erstmals der Carl-Laemmle-Produzentenpreis verliehen. Mit der neu geschaffenen Auszeichnung soll künftig jedes Jahr ein Filmproduzent für sein Lebenswerk oder besonders herausragende Leistungen geehrt werden. Der Komponist und Pianist Peter Schindler schreibt im Auftrag der städtischen Musikschule ein Laemmle-Musical. Am 3. November wird es in Laupheim uraufgeführt.

Im Laupheimer Museum zur Geschichte von Christen und Juden sind mehrere Räume der Dauerausstellung Carl Laemmle gewidmet.

Die Ausstellung „Carl Laemmle presents ...“ ist bis 30. Juli im Stuttgarter Haus der Geschichte zu sehen. Öffnungszeiten: Dienstag, Mittwoch, Freitag bis Sonntag sowie an Feiertagen von 10 bis

18 Uhr, Donnerstag bis 21 Uhr. Eintritt: Erwachsene 5 Euro (2,50 Euro), Kinder und Schüler frei. Der Katalog zur Ausstellung hat 192 Seiten und kostet 19,80 Euro.

www.carl-laemmle-ausstellung.de