StartseiteRegionalBayernBei jeder Rückkehr bekommt er eine rote Rose

Lebensverhältnis

Bei jeder Rückkehr bekommt er eine rote Rose

Baustetten / Lesedauer: 6 min

Pfarrer Dietmar Seiffert, gebürtig aus Baustetten, leitet seit 2002 eine Pfarrei in Sibirien. Er hat sich ganz bewusst entschieden, so fern der Heimat als katholischer Pfarrer zu wirken.
Veröffentlicht:08.09.2018, 00:11

Von:
Artikel teilen:

Tausende Kilometer liegen zwischen Baustetten und der Stadt Kuybyschew in Sibirien, und Welten zwischen den Lebensverhältnissen hier und dort. Dietmar Seiffert hat sich vor 18 Jahren ganz bewusst entschieden, so fern der Heimat als katholischer Pfarrer zu wirken.

Schon als Kind verspürte Seiffert den Wunsch, Priester zu werden. Doch kaum hatte er das Theologiestudium in Eichstätt beendet, kamen ihm Zweifel. Er schulte um und arbeitete zehn Jahre als Programmierer in München – „das hat mich innerlich aber nicht erfüllt“. Bei einer Wallfahrt habe er dann eine Berufung gefühlt, als Seelsorger nach Russland zu gehen. „Das war ein Zeichen von Gott.“

Im Jahr 2000 ließ sich Seiffert beurlauben. Er lernte Russisch, probierte sich aus in der Kirchenverwaltung von Nowosibirsk und sah sich in seinem Streben bestätigt. 2002 wurde er in Russland zum Priester geweiht und feierte in seiner Heimat-gemeinde Baustetten Primiz; im August trat er die Pfarrstelle in Kuybyschew an.

Arbeitslosigkeit und Kälte

Die 50 000-Einwohner-Stadt war zu Sowjetzeiten ein Zentrum der Rüstungsindustrie; zeitweise durfte sie nur mit Passierschein betreten werden. Heute sind die meisten Betriebe heruntergekommen, berichtet Dietmar Seiffert; viele Menschen haben keine Arbeit, leben in Armut. Alkoholismus ist eine Geißel, die Tuberkulose weit verbreitet. Das Umfeld ist ländlich geprägt, aber auch die Landwirtschaft darbt, die einstigen Kolchosen sind weitgehend zerfallen. Gut sechs Monate im Jahr herrscht Winter, das Thermometer fällt bis auf minus 40 Grad Celsius; im Sommer steigt es auf plus 35 Grad. So war es zumindest seither. Inzwischen mache sich auch in Sibirien der Klimawandel bemerkbar, sagt Seiffert: „Zuletzt hatten wir an Neujahr Tauwetter.“

Nur einige Dutzend Köpfe zählt die katholische Gemeinde Sankt Peter und Paul, die 2002 in Kuybyschew auf ihn wartet. Es sind Wolgadeutsche und ihre Nachkommen, von Stalin nach Sibirien deportiert; Menschen mit polnischen Vorfahren, im 19. Jahrhundert nach einem Aufstand vom Zaren in die Wildnis verbannt; Christen mit lettischen Wurzeln. Das Gebäude, das als Pfarr- und Gemeindehaus dient und in das Seiffert einzieht, ist eine Bruchbude, ohne fließendes Wasser, mit einem Kanonenofen. Für ihn sei das in Ordnung gewesen, sagt Seiffert:

„Ich habe gesehen, in welch einfachen Verhältnissen die Menschen leben. Ich wollte leben wie sie.“

Die Kirche, immerhin, war neu und ungleich solider. Es handelt sich um ein Gotteshaus in Fertigbauweise. Ein Mitglied der Industriellenfamilie Liebherr hat es entwickeln und in Bayern produzieren lassen; rund 60 Exemplare wurden per Tieflader in die frühere Sowjetunion verfrachtet und von Freiwilligen aus Deutschland errichtet. 1998 war das in Kuybyschew der Fall, die Kosten übernahm das katholische Hilfswerk Renovabis. Bis zu 100 Menschen finden in der Kirche Platz.

Ein Sprengel so groß wie Süddeutschland

Dietmar Seiffert ist indes nicht nur für die Katholiken in Kuybyschew zuständig, sondern auch für eine Reihe von Filialgemeinden. Sein Sprengel misst schier unglaubliche 85 000 Quadratkilometer, ein dünn besiedeltes Gebiet so groß wie ganz Süddeutschland. Der nächste Amtsbruder sitzt 350 Kilometer entfernt. Mit dem Geländewagen besucht Seiffert seine „Schäfchen“, viereinhalb Autostunden sind es bis zum entlegensten Außenposten, einer russlanddeutschen Familie an der Grenze zu Kasachstan.

20180908004912580_10464786076921126

Die Pfarrei ist seit Seifferts Amtsantritt 2002 gewachsen, auf etwa 320 Gemeindemitglieder; die Hälfte davon lebt in Kuybyschew, zwei Ordensschwestern gehen dem Pfarrer zur Hand. Die positive Entwicklung bewog den Bischof der Diözese Nowosibirsk, dem Neubau eines Pfarrzentrums zuzustimmen. 2010 wurde es eingeweiht und bietet nicht nur ungleich bessere Rahmenbedingungen für das Gemeindeleben als das alte Gebäude, sondern auch komfortablere Wohnräume für den Pfarrer.

Private Spenden sind in den Bau eingeflossen, auch aus Baustetten. „Ich werde von meiner Heimatgemeinde großartig unterstützt, materiell und moralisch“, freut sich Seiffert. „Ich spüre großes Wohlwollen für den von mir gewählten Weg und fühle mich unverändert sehr herzlich angenommen.“ Er kommt regelmäßig zu Besuch.

Menschen behandeln ihn wie einen Sohn

Heimat geworden ist ihm auch seine Wirkungsstätte in Sibirien. „Viele Menschen behandeln mich wie einen Sohn“, sagt Seiffert. „Wenn ich in Urlaub fahre, werde ich extra verabschiedet, wenn ich zurückkomme, auf das Herzlichste begrüßt. Eine alte Frau schenkt mir dann jedes Mal eine rote Rose, es fließen Tränen.“ Er hat diese Menschen liebgewonnen, „Wurzeln geschlagen“, wie er bekennt.

Eine dauerhafte Rückkehr nach Deutschland ist für den 57-Jährigen einstweilen kein Thema: „So lange ich gesundheitlich dazu in der Lage bin und die politische Situation es ermöglicht, möchte ich in meiner Pfarrei weiterwirken.“ Das erfüllt ihn, bereitet ihm Freude, ungeachtet der sibirischen Kälte und der schwierigen sozialen Verhältnisse.

Für Bedürftige eine Kuh und Futter besorgt

Für seine Gemeindemitglieder ist Dietmar Seiffert zum einen Seelsorger. Einer, der bei persönlichen und familiären Problemen aller Art zu Rate gezogen wird, der zuhört, tröstet und ermuntert. Als zweite zentrale Aufgabe nennt er die materielle Unterstützung: „Ich versuche den Menschen zu helfen, wo ich kann.“ Das kann dann so aussehen wie vor zwei Jahren, als er 40 bedürftigen Familien je eine Kuh und für ein Jahr Futter besorgte; das Geld für dieses Projekt kam von der Caritas in Osnabrück.

Aus den Mitteln, die ihm zur Verfügung stehen, gewährt Seiffert zudem Kredite, zum Beispiel für den Kauf von zehn Bienenvölkern, die einer kinderreichen Bauernfamilie ein zusätzliches Einkommen sichern sollen. Selbstredend zinslos, zahlbar in Raten, in besagtem Fall in Form von Käse, der auf dem Hof produziert wird und den der Pfarrer an Obdachlose verteilt. Speziell für sie hat er einen kleinen Anbau an die Garage errichten lassen; zwei Frauen aus der Gemeinde kochen darin zwei Mal pro Woche Suppe und geben sie aus.

Neue Hoffnung schenken

„Ich glaube ganz sicher, dass ich etwas bewirken kann“, sagt Dietmar Seiffert. „Ich kann im Einzelfall soziale Not lindern, Menschen als Seelsorger beistehen, Eltern bei der Erziehung ihrer Kinder unterstützen.“ Die Arbeit mit den Kindern liegt ihm am Herzen, er bietet regelmäßig Spielnachmittage, Bibelstunden und Freizeiten an.

All das ist Hilfe im Kleinen, ist ihm bewusst, allein: Jeder kann nur tun, was in seiner Macht steht. „Es ist besser, eine Kerze anzuzünden, als über die die Finsternis zu klagen“, sagt Seiffert. „Für mich ist entscheidend, dass ich Menschen neue Hoffnung schenken kann durch den Glauben an Gott.“ Was ihn schmerzt: dass die deutsche Sprache und das Interesse an deutscher Kultur auch in seinem Wirkungskreis mehr und mehr schwinden; überdies sei eine gewisse ablehnende Haltung gegen alles Westliche zu spüren, als Folge der Sanktionen gegen Russland.

Friedenstreffen im Libanon

Dessen ungeachtet steckt er voller Pläne. In einer der Filialgemeinden würde er gern ein Haus kaufen und einen Gemeindetreff einrichten. Eben erst weilte er mit einigen Gemeindegliedern und Gleichgesinnten aus Deutschland und El Salvador zu einem Friedenstreffen im Libanon. 2019 möchte er eine Neuauflage in Kuybyschew organisieren.