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Landgericht

Plötzlich liegen zwei Briefe auf dem Verhandlungstisch des Landgerichts

Biberach / Lesedauer: 3 min

In den Fall einer Rauschgiftschmuggler-Bande am Landgericht kommt Bewegung
Veröffentlicht:08.05.2020, 19:43

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Der Prozess am Landgericht Ravensburg gegen fünf im Raum Biberach und Laupheim wohnende Männer ist unter weiteren Corona-Schutzmaßnahmen fortgesetzt worden. Ihnen allen wird bandenmäßiger, schwunghafter Handel mit Betäubungsmitteln vorgeworfen, die sie im Herbst 2019 bei mehreren Beschaffungsfahrten in Slowenien gekauft und im süddeutschen Raum verkauft haben sollen. Bisher war nur einer der Männer geständig, die anderen vier schwiegen eisern. Bis gestern.

Mittlerweile stehen im Saal Spuckschutzwände, ein Dolmetscher soll mittels Walkie-Talkie für alle Angeklagten zugleich übersetzen. Und zur Inaugenscheinnahme von Beweisfotos werden nun digitale Technik und ein Mammutbildschirm eingesetzt. Bevor die Verhandlung jedoch beginnt, erhebt der als Kopf der Bande geltende Mann seine Stimme. Auf kroatisch sagt er ein paar Sätze, gerade laut genug, dass es sein geständiger Freund, der als einziger Angeklagter seit Wochen auf Bewährung auf freiem Fuß ist, hören kann. Erst als der Staatsanwalt einschreitet und den Wortschwall unterbindet, hört der 26-Jährige auf.

Im Saal ist es mucksmäuschenstill

Was er zu seinem Mandanten gesagt habe, will Verteidiger Achim Ziegler später vom Hauptangeklagten wissen. Ob er ihn womöglich bedroht habe? Prompt antwortet dieser in Deutsch: „Ich habe gesagt, das ist deine letzte Chance. Steh auf und sag Wahrheit. Alles. Richtig.“ Denn hier säßen nur zwei Schuldige im Gerichtssaal: Er selbst und der Angesprochene. Die anderen drei seien zu Unrecht inhaftiert und unschuldig, lässt er über den Dolmetscher sagen. Und während es anfangs noch röchelt und spuckt aus den schmalen Sprechfunkgeräten, die sich alle Angeklagten dicht ans Ohr pressen, um von der Übersetzung des Dolmetschers nur ja kein Wort zu verpassen, da wird es im restlichen Saal mucksmäuschenstill. Es geht nämlich um einen Brief, den der Hauptangeklagte kurz vor dem Ramadan seinem Vater schicken wollte – und der von der Anstaltsleitung abgefangen worden ist. Offenbar wollte er seinem Vater darin erklären, was passiert ist und weshalb der Sohn in Untersuchungshaft sitzt.

Ja, er habe illegale Fahrten nach Slowenien unternommen, bestätigt plötzlich der Hauptangeklagte, der bisher nicht einmal zu seinem Werdegang Auskunft geben wollte. Aber lediglich zu Einkaufsfahrten auf einen Flohmarkt, auf dem Elektrogeräte verkauft werden. Computer, Bildschirme, Alarmanlagen und teure Flatscreens. Alle gestohlen und daher günstig. Die hätten er und seine Freunde meist mit zwei Autos nach Deutschland geholt, damit er sie gewinnbringend verkaufen könne. „Ein Samsung TV kostet 4000 Euro“, bescheidet er der Kammer, bevor er sich wieder in Rage redet.

Nur ein einziges Drogen im Gepäck?

Sie seien ohnehin achtmal in Slowenien gewesen, nicht fünfmal, wie die Anklageschrift den Männern vorwirft, ruft er trotzig. Ein einziges Mal habe sein geständiger Freund dann tatsächlich überraschenderweise darum gebeten, noch einen Abstecher nach Traunstein zu machen, weil der dort Marihuana kaufen wollte. Ein kleineres Paket sei es gewesen. Um Schulden zu tilgen und eine Wohnungskaution finanzieren zu können. Dass dieser Freund ihn bereits bei den ersten polizeilichen Befragungen als „Kopf der Rauschgiftbande“ ans Messer lieferte und die Ermittlungen der Behörden maßgeblich erleichterte – das wurmt den 26-Jährigen sichtlich. Immer wieder wird er laut, muss vom Vorsitzenden Richter Veiko Böhm zur Ordnung gerufen werden. Dann greift der Mann in seine Hosentasche und fingert zwei eng gefaltete Blätter zutage: Dies sei ein Brief vom genau diesem Freund, der ihn über einen Gefangenen in der JVA Ulm erreicht habe. Der erkläre alles.

Die Befragung von drei Polizeibeamten an Verhandlungstag fünf wird zur Nebensache. Denn nun wird mit Spannung erwartet, was die Übersetzung des in kroatischer Sprache verfassten Briefes von scheinbar kleinem Bandenmitglied zu Bandenchef wohl ans Licht bringen wird. Falls die Dolmetscherin eine Wochenendschicht einlegen wird, könnte bereits Verhandlungstag vorliegen.