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Pestalozzihaus

Pestalozzihaus: Jetzt entscheiden die Bürger

Biberach / Lesedauer: 6 min

Gemeinderat stimmt erneut mehrheitlich gegen eine Sanierung des Pestalozzihauses
Veröffentlicht:20.03.2018, 15:35

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„Sind Sie dafür, dass das Pestalozzihaus in der Wielandstraße 27 mit Saal in Biberach erhalten bleibt und saniert wird?“ So lautet die Frage, über die alle wahlberechtigen Biberacher am Sonntag, 24. Juni, bei einem Bürgerentscheid abstimmen dürfen. Weil der Gemeinderat am Montagabend mehrheitlich an seinem Beschluss vom Oktober 2017 festhielt, das Haus nicht zu sanieren, obwohl ein Bürgerbegehren dies gefordert hatte, kommt es nun zu diesem Entscheid.

Es ist lange her, seit die Biberacher per Bürgerentscheid über ein kommunalpolitisches Thema abstimmen durften: Am 12. Mai 1974 ging es um die Frage, ob die neue Stadthalle im Stadtgarten gebaut werden soll. Diesmal ist nicht der Neubau eines Gebäudes, sondern die Sanierung und der Erhalt eines bestehenden das Thema. Der Verein Stadtforum Biberach hatte während der Wintermonate rund 3900 Unterschriften für den Erhalt und die Sanierung des Gebäudes gesammelt. Von der Stadtverwaltung wurden 2235 Unterschriften geprüft, wobei 1873 als gültig erachtet wurden, was für die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens ausreichte.

Vereinsvorsitzender Hagen Vollmer erhielt die Möglichkeit, das Begehren vor dem Gemeinderat mündlich zu begründen. Die Sitzung war dafür extra in den Hans-Liebherr-Saal der Stadthalle verlegt worden. Rund 40 Zuhörer verfolgten die Entscheidung mit. Vollmer sagt, das Pestalozzihaus samt Saal sei längst nicht so marode, wie es zum Teil dargestellt werde. Er hob vor allem auf mögliche Nutzungen nach einer Sanierung ab. Das Haus könne ein „Kulturlabor“ mit Veranstaltungs-, Probe- und Werkstatträumen werden. Außerdem könnten Sprachkurse abgehalten sowie Mietbüros angeboten werden. Auch der von einer Initiative kürzlich ins Spiel gebrachte Vorschlag eines „Europahauses“ sei eine Option.

Friedrich Kolesch (CDU) verwies in der Fragerunde darauf, dass Rat bei seinem Beschluss im Oktober 2017 auch die Vorplanung eines neuen Vorspielsaals an der Bruno-Frey-Musikschule beschlossen habe. „Das ist dann auch hinfällig, wenn wir unseren Beschluss zurücknehmen.“ Er habe beide Themen immer getrennt gesehen, so Vollmer. Der Gemeinderat müsse in diesem Punkt flexibel reagieren, falls es zu einer Sanierung des Pestalozzihauses komme, sagte Peter Schmid (Grüne). Ein neuer Vorspielsaal für die Musikschule dürfe deswegen „nicht hinten runterfallen“.

„Eignet sich nicht zur Polarisierung“

OB Norbert Zeidler dankte, wie auch die Ratsfraktionen, dem Stadtforum für das Bürgerbegehren und empfahl dem Rat den Weg für einen Bürgerentscheid freizumachen, auch wenn dafür manche Räte über ihren Schattens springen müssten. Er bewerte das als Demokratieverständnis in einem sehr edlen Sinne. Gleichzeitig riet er dem Gemeinderat, das Thema uneitel zu begleiten: „Das Wohl und Wehe unserer Stadt hängt nicht von dieser Entscheidung ab, und sie eignet sich auch nicht zur Polarisierung.“

Zeidler riet den Stadträten, am Beschluss vom Oktober 2017 festzuhalten. Inhaltlich sei seither in Sachen Pestalozzihaus nichts Neues geschehen. Im Übrigen habe der Rat damals nicht beschlossen, dass Gebäude sofort abzureißen, sondern erst nach einer Restlaufzeit von bis zu zehn Jahren. Dies hätte genügend Zeit gegeben, um über einen möglichen Erhalt und Nutzungen nachzudenken. „Wenn die Bevölkerung den Erhalt des Pestalozzihauses möchte, dann machen wir das, auch weil der Steuerzahler dafür aufkommen muss. Nutzungskonzepte werden wir gerne konstruktiv begleiten“, so Zeidler.

CDU-Fraktionschef Johannes Walter bezeichnete den damaligen Ratsbeschluss als „klug“ , weil er genügend Zeit für Überlegungen lasse, was mit dem Pestalozzihaus passieren könne. Er freue sich über Initiativen zur Nutzung. Seine Fraktion wolle aber auch die Planung eines neuen Vorspielsaals an der Musikschule und halte deshalb am Beschluss vom Oktober 2017 fest.

Bruno Mader ( SPD ) sagte, die Debatte um das Pestalozzihaus werde längst von Emotionalität bestimmt. Er freue sich über die Debatte um neue Nutzungsideen. Seine Fraktion begrüße den Bürgerentscheid ausdrücklich als demokratisches Mittel, werde aber uneinheitlich abstimmen. Für den Erhalt argumentierte bei der SPD Gabriele Kübler. Die Stadt habe Bedarf an Proberäumen. Sie erinnerte an die Debatte um den heute gut genutzten Sennhofsaal in den 90er-Jahren.

Sie erkenne eine emotionale Bedeutung des Gebäudes für die Bürger, sagte Marlene Goeth (Freie Wähler), sachliche Gründe für eine andere Entscheidung fehlten ihr aber. Der Saal habe auch in saniertem Zustand nicht die Qualität eines neuen Konzertsaals, und wer wolle Büroflächen im Umfeld von Musikproberäumen anmieten, fragte sie. Auch ein ,Europahaus’ sei ein permanenter Zuschussbetrieb, so Goeth. „Wir sollten jetzt nicht einer Sanierung auf Grundlage einer vagen Idee zustimmen.“ In ihrer Fraktion stimmte lediglich Magdalena Bopp für einen Erhalt des Hauses. Dieses sei ein rares Bauzeugnis des 19. Jahrhunderts in der Stadt.

Für den Erhalt stimmten auch die Grünen. Die Bürger hätten mit ihren Unterschriften auch einen Protest gegen die derzeitige kommunale Baupolitik bekundet, sagte Peter Schmid. Für das Pestalozzihaus gebe es zahlreiche Nutzungen. Es gelte, jetzt zu sanieren. Eine Restlaufzeit können auch kürzer sein als zehn Jahre. „Wenn in ein bis zwei Jahren die Heizung ausfällt, ist Schluss“, so Schmid.

Die FDP sei nach wie vor dafür, das Haus abzubrechen, sagte Christoph Funk. Seine Fraktion unterstützte aber, dass sich dann die Bürger mit dieser Frage beschäftigen dürfen.

Kein Verkauf des Geländes

Ralph Heidenreich (Linke) sprach sich mit Verweis auf die wechselvolle Geschichte des Hauses (NSDAP-Kreisleitung, Volksbildungswerk nach dem Krieg) gegen einen Abriss aus. Diese Argumente seien ihm in der Diskussion zu kurz gekommen. Er äußerte die Vermutung, die Stadt wolle das Gelände nach dem Abriss zu Geld machen, obwohl der Bebauungsplan das Areal als Gemeindebedarfsfläche ausweise. Baubürgermeister Christian Kuhlmann sagte, die Stadt werde die Fläche nicht wirtschaftlich verwerten. Sie sei vielmehr als Entwicklungsoption für Musik- oder Pflugschule gedacht.

Am Ende der knapp 90-minütigen Debatte stimmten 18 Räte dafür, den Beschluss vom Oktober 2017 aufrecht zu erhalten und machte damit den Weg für den Bürgerentscheid frei. Elf Stadträte votierten dafür, den Beschluss zu revidieren und das Pestalozzihaus zu sanieren. Enthaltungen gab es keine.

So geht es jetzt weiter: Der Gemeinderat hat den Bürgerentscheid für den 24. Juni festgesetzt. Stimmberechtigt sind alle Bürger ab 16 Jahren, die seit mindestens drei Monaten ihren Hauptwohnsitz in Biberach haben und die deutsche oder eine EU-Staatsangehörigkeit besitzen. Die Abstimmungsfrage lautet: „Sind Sie dafür, dass das Pestalozzihaus in der Wielandstraße 27 mit Saal in Biberach erhalten bleibt und saniert wird?“ Die Frage ist in dem Sinne entschieden, wie sie von der Mehrheit der gültigen Stimmen beantwortet wird. Jedoch muss diese Mehrheit mindestens 20 Prozent aller Stimmberechtigten umfassen (Quorum). Bei Stimmengleichheit gilt die Frage als mit Nein beantwortet. Wird die erforderliche Mehrheit nicht erreicht, entscheidet der Gemeinderat die Angelegenheit.