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Kriegsende

Kriegsende begründet auch Freundschaften

Biberach / Lesedauer: 3 min

Marianne Sikora-Schoeck erinnert sich an das Frühjahr 1945 in Biberach
Veröffentlicht:07.05.2015, 20:16

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Mit der Kapitulation der deutschen Wehrmacht endete am 8. Mai vor 70 Jahren der Zweite Weltkrieg in Deutschland. Marianne Sikora-Schoeck, frühere Volkshochschul- und Kulturamtsleiterin erinnert sich noch gut, wie sie die Zeit des Kriegsendes in Biberach als 14-Jährige erlebte.

Mit ihrer Mutter lebte sie damals im elterlichen Haus in der Weingartenbergstraße. Der Vater war für die Firma Klöckner-Humboldt-Deutz zunächst in Kairo, während des Kriegs in Paris. Am 23. April marschierten die französischen Truppen nach Biberach ein, darunter viele Soldaten aus Marokko, an die sich Marianne Sikora-Schoeck besonders gut erinnert. „Die wurden von den Franzosen nicht gut gehalten und waren sehr hungrig.“ So kam es, dass die Marokkaner offenbar öfter in der Stadt unterwegs waren, um nach Essbarem zu suchen. Unter anderem hatten sie es dabei auf Hühner und deren Eier abgesehen.

„Wir fingen deshalb alle Hühner, die wir ums Haus herum hielten, ein und brachten sie auf den Dachboden“, erzählt Marianne Sikora-Schoeck. Mit wenig Erfolg: „Die Hühner veranstalteten dort ein lautes Spektakel, das man bis auf die Straße hörte. Woraufhin schon bald marokkanische Soldaten vor der Tür standen und auf den Dachboden wollten.

Mutter Johanna Schoeck, die während der Jahre in Kairo etwas Arabisch gelernt hatte, überschüttete die Soldaten mit jeder Menge Ausdrücken in ihrer Heimatsprache. „Die waren wie erstarrt, als sie von einer westlichen Frau in ihrer Sprache angesprochen wurden“, sagt Marianne Sikora-Schoeck.

Das Eis war vollends gebrochen, als ihre Mutter die Männer in das „arabische Zimmer“ des Hauses führte, das voll war mit Erinnerungsstücken aus Ägypten. „Die Soldaten ließen sich in die Kissen fallen, bekamen von meiner Mutter arabischen Kaffee und waren sehr gerührt“, erzählt Marianne Sikora-Schoeck. Die Marokkaner kamen in den Folgetagen immer wieder zum Kaffeetrinken und das Leben der Hühner war gerettet.

Im Juni 1945 beschlagnahmten französische Offiziere das Haus. Die Mutter schaffte es mit einer couragierten Rede, die Franzosen davon zu überzeugen, der Familie eine ordentliche Miete zu bezahlen und das Haus und seine Einrichtung sorgsam zu behandeln. Zu Gouverneur Weill, der aus einer jüdischen Familie aus Colmar stammte, entwickelte sie ein gutes Verhältnis. „Meine Mutter schaffte es, ihm zu erklären, dass das Biberacher Schützenfest nichts mit ,schießen‘ zu tun hat, sondern dass es ein Kinderfest ist“, sagt Marianne Sikora-Schoeck. „Das hat wohl auch mit dazu beigetragen dass das Schützenfest zunächst als ,Kinderfest‘ ab 1946 wieder stattfinden konnte.“

Aus dem Kontakt zu Gouverneur Weill und seiner Familie entwickelte sich über die Jahr eine Freundschaft. „Er hat auch dafür gesorgt, dass immer wieder französische Künstler im alten Stadttheater aufgetreten sind.“

Eine andere Freundschaft entstand im Hause Schoeck bereits während der letzten Kriegsjahre. So hatte die Mutter dem Kommandanten des Lagers Lindele vorgeschlagen, dort internierte Männer von der britischen Kanalinsel Guernsey zu Arbeiten in die privaten Gärten von Biberachern zu schicken.

„Fast ein Vaterersatz“

Zu Mr. Cockayne, der daraufhin regelmäßig in Schoecks Garten arbeitete, entstand dabei ein inniges Verhältnis. „Er war für mich fast ein Vaterersatz“, erzählt Marianne Sikora-Schoeck. „Er machte mit mir Hausaufgaben und spielte englische Lieder auf unserem Klavier.“ Aus dieser Verbindung zu ihm und anderen Internierten aus Guernsey entwickelte sich die heute bestehende Freundschaft zwischen Biberach und der Kanalinsel. Dort nimmt Oberbürgermeister Norbert Zeidler am 9. Mai als Gast beim „Liberation Day“ teil.