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Hier Schauspiel, dort Realität

Biberach / Lesedauer: 6 min

Was der Dram in „Berlin Berlin“ auf die Bühne bringt, erlebte ein Ehepaar am eigenen Leib
Veröffentlicht:11.01.2019, 19:25

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Junge Frau aus der DDR und junger Mann aus der Bundesrepublik verlieben sich ineinander – trotz Mauer, Stasi-Verhören und Repressalien der Staatsmacht aus dem Osten überlebt diese Liebe. Was der Dramatische Verein (Dram) Biberach momentan in seinem Silvestermusical „Berlin Berlin“ spielt, das haben Elke und Gerhard Reimann am eigenen Leib erfahren. Vorige Woche hat sich das Ehepaar aus Dornstadt das Stück in Biberach angesehen und war tief beeindruckt.

Im Musical des Dram heftet sich die Staatssicherheit sofort an die Fersen des Ost-West-Liebespaars Paula und Paul. Es kommt zu brutalen Verhören. „Da sind bei mir unheimliche Emotionen hochgekommen“, erzählt Elke Reimann, „mir ist es kalt den Rücken runtergelaufen.“ Die Frau aus Grimmen nahe der Ostsee sah sich Ende der 80er-Jahre ebenfalls solchen Verhören ausgesetzt.

Der Grund dafür war ihre Beziehung zu Gerhard Reimann aus Dornstadt . Im Sommer 1987 hatten sie sich im Urlaub beim Zelten am Plattensee in Ungarn kennengelernt. „Es hat damals viel geregnet, sodass wir viel Zeit hatten, miteinander zu reden“, sagt Gerhard Reimann. Er war damals 25, seine spätere Frau Elke 29. „Ich hatte in einem Laden damals eine Latzjeanshose entdeckt, die ich unbedingt haben wollte. Sie war aber kaputt und der Händler bot an, dass er sie flicken lässt und ich sie einige Tage später abholen kann“, erzählt Elke Reimann.

Tag für Tag ging sie in das Geschäft, aber die Hose war nicht da. Schließlich war ihr Urlaub zu Ende und sie musste zurück in die DDR . „Gerhard, der mit seiner Clique noch in Ungarn blieb, versprach mir, die Hose abzuholen, wenn sie da ist, und sie mir zu schicken.“

Die Hose erhielt Elke Reimann aber nie, stattdessen erreichte sie zu Weihnachten 1987 ein Brief von Gerhard Reimann aus Dornstadt. „Er hatte aus Versandkatalogen lauter Jeanshosen ausgeschnitten und schrieb dazu, ich solle mir eine aussuchen, er würde sie mir dann schicken.“

„Die Stasi an den Hacken“

Die junge Frau beschloss, den jungen Mann aus dem Schwabenland zusammen mit seinen Freunden zum Dank an die Ostsee einzuladen. Die Freunde hatten aber keine Zeit, so dass Gerhard Reimann im Frühjahr 1988 alleine zu Elke in die DDR reiste, die dort als Kinderkrankenschwester arbeitete. Zusammen unternahmen sie Ausflüge an die Ostsee. „Tja, und da hat es gefunkt“, meint Elke Reimann lächelnd. „Als wir an Gerhards letztem Urlaubstag Hand in Hand durch meine Heimatstadt geschlendert sind, hatten wir die Stasi an den Hacken.“

Als sich das Liebespaar im Sommer 1988 erneut in Ungarn treffen wollte, wurde Elkes Visaantrag ohne Begründung abgelehnt. Wie stark sie bereits überwacht und bespitzelt wurde, zeigte sich erst im Lauf der Zeit. Per Brief verabredete Telefonate, bei denen Gerhard Reimann sie zu einer bestimmten Uhrzeit an ihrem Arbeitsplatz in der Klinik anrufen wollte, wurden vereitelt, in dem die Stasi Kollegen von Elke angestiftet hatte, sie zu verleugnen.

Wie die Hauptfigur Paula im Stück des Dram, war Elke Reimann in der DDR Mitglied in einer Tanzgruppe. „Wir hatten viele Auftritte und es kam immer wieder zu Situationen, wo sich mir Männer an den Hals warfen“, erzählt sie. Nach der Wende erfuhr sie in ihrer Stasi-Akte, das auch diese Vorfälle gezielt inszeniert waren. „Die Stasi wollte kompromittierende Fotos von mir und diesen Männern schießen, um sie an Gerhards Eltern in die BRD zu schicken“, sagt sie.

Sie hielt jedoch zu ihrem Freund. Auch, als Stasi-Mitarbeiter ihr einreden wollten, dass Gerhard Reimann nicht an ihr persönlich interessiert sei, sondern zu einer Organisation in Heidenheim gehöre, die nur Krankenschwestern abwerben wolle.

Über eine Freundin in Leipzig schaffte sie es in der Folge trotzdem, Gerhard Reimann mehrmals in die DDR einzuladen. Beide spürten, dass es ihnen mit ihrer Beziehung ernst war. Gerhard Reimann hatte in der Zwischenzeit Kontakt mit der Berliner Rechtsanwältin Barbara von der Schulenburg aufgenommen, die als Beauftragte der Bundesregierung für die Familienzusammenführung gegenüber der DDR tätig war. Diese machte den DDR-Behörden klar, dass sie ihrer Bürgerin die Heirat mit Gerhard Reimann aufgrund des Helsinki-Abkommens, das die DDR 1975 unterzeichnet hatte, nicht verweigern durften. Daraufhin stellten beide den Antrag auf eine Heirat.

Die Stasi ließ sich aber trotzdem nicht von weiteren Bespitzelungen abhalten. „Beim Lesen meiner Stasi-Akte habe ich 1992 herausgefunden, dass meine ganze Wohnung verwanzt war und meine beste Freundin mich ausspioniert hat. Die hatten in meiner Nachbarschaft eine richtige Abhörstation eingerichtet. Und das alles wegen einer kleinen Kinderkrankenschwester“, ist Elke Reimann noch heute fassungslos.

Den DDR-Behörden blieb aber nichts anderes übrig, als den Heiratsantrag zähneknirschend zu genehmigen. Weil Gerhard Reimanns Vater schwer krank und pflegebedürftig war, stand auch fest, dass nicht er zu seiner Frau in die DDR zieht, sondern sie mit ihm in den Westen ausreist.

Hochzeit „im letzten Kuhdorf“

Die Hochzeit im Mai 1989 in der DDR hatte in einem Standesamt „im letzten Kuhdorf“ stattzufinden, so hatten es die Behörden verfügt. „Sie behaupteten, uns ginge es nur um die Propaganda“, sagte Elke Reimann. Das Brautpaar rächte sich auf seine Art: „Ich habe die Hochzeitsfeier als Frühlingsfest in einer Gaststätte in meiner Heimatstadt angemeldet. Die Verwandten meines Mannes sind mit ihren Westautos mitten auf den Marktplatz gefahren und haben das ganze Obst, das sie dabei hatten, wie in einer Prozession durch die Stadt getragen.“ Die Stasi-Mitarbeiter schäumten vor Wut.

Nur wenige Monate später fiel die Mauer. „Klar, da haben wir uns schon gedacht: Wenn wir das gewusst hätten, dann hätten wir ein Jahr später auch unproblematischer heiraten können“, sagt Elke Reimann. Aber wie im Theaterstück gibt es auch bei den Reimanns ein Happy End. Seit 1989 leben sie nun in Dornstadt. Gerhard Reimann arbeitet als Servicetechniker, Elke Reimann hat sich ein kleines Kosmetikstudio eingerichtet, die gemeinsame Tochter studiert bereits.

30 Jahre liegen die turbulenten Zeiten nun zurück – völlig abgeschlossen hat vor allem Elke Reimann das Kapitel dennoch nicht. „Meine Stasi-Akte mit Briefen, Telefonprotokollen und Fotos liegt im Stasi-Unterlagen-Archiv in Rostock. Das sind meine persönlichen Daten. Deshalb kann ich nicht verstehen, warum man mir die Dokumente nicht endlich übergibt“, sagt sie. „Ich habe nichts verbrochen und die hatten 30 Jahre Zeit, die Dokumente zu untersuchen. Mit welchem Recht existieren diese Akten noch?“

Dem Dram und Regisseur Thomas Laengerer, der in den 80er-Jahren in West-Berlin lebte und der das Stück geschrieben hat, gratulieren die beiden zur Aufführung. „Man merkt dem Stück natürlich die West-Perspektive an“, sagt Elke Reimann, aber auch die Szenen, die den DDR-Alltag spiegeln, seien gut getroffen, meint sie. Zum Schützenfest wollen beide wieder nach Biberach kommen. Das haben sie mit den Schauspielern des Dram ausgemacht, die sie nach der Aufführung noch zu einer Feier einluden.