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Jahresinterview

„Haben zusammen immens viel aufgebaut“

Biberach / Lesedauer: 5 min

Landrat Heiko Schmid spricht im ersten Teil des Jahresinterviews über das Thema Flüchtlinge
Veröffentlicht:30.12.2016, 13:55

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Auch im abgelaufenen Jahr hat das Thema Flüchtlinge die Diskussion in Politik und Gesellschaft im Landkreis Biberach maßgeblich bestimmt. Wie der Kreis in diesem Bereich aufgestellt ist, wollte SZ-Redakteur Gerd Mägerle im ersten Teil des Jahresinterviews mit Landrat Heiko Schmid wissen.

Herr Schmid, bei Ihrem Neujahrsempfang im Januar in Bad Buchau sagten Sie: „Dem Landkreis und seinen Menschen geht es gut.“ Würden Sie das am Ende des Jahres 2016 so unterschreiben?

Ja. Wir werden Ende 2017 der einzige schuldenfreie Landkreis in Baden-Württemberg sein, wir haben fast keine Arbeitslosigkeit und die Wirtschaft boomt. Das ist alles nicht so selbstverständlich, wenn man betrachtet, was dieses Jahr in der Welt und in Deutschland wie zum Beispiel in Köln oder Berlin alles passiert ist. Man darf deshalb nicht die Augen verschließen und davon ausgehen, dass das auf Dauer so bleiben wird – denn das wird es nicht.

Wie bereits 2015 war auch 2016 wieder vom Thema Flüchtlinge bestimmt, allerdings nicht in dem Maße, wie es Ende 2015 noch erwartet wurde. Damals gingen Sie von rund 2100 Menschen aus, die dieses Jahr in den Kreis kommen würden. Wie viele waren es tatsächlich und wie sieht es mit dem Bleiberecht aus?

Es kamen etwa halb so viele, rund 1100. Die meisten davon zwischen Januar und April. Inzwischen kommen nur noch sehr wenige. Derzeit leben insgesamt rund 3500 Flüchtlinge im Landkreis, etwa 36 Prozent von ihnen kommen aus Syrien, ungefähr zwölf Prozent auf Afghanistan und zehn Prozent aus dem Irak. Der Rest verteilt sich auf etliche weitere Staaten. Ungefähr 1750 leben noch in Gemeinschaftsunterkünften des Landkreises, etwa 950 sind bereits in der Anschlussunterbringung in den Kommunen und die anderen haben zwischenzeitlich eine Wohnung auf dem freien Markt gefunden. Wir gehen davon aus, dass der größte Teil von ihnen bleiben darf. Rund 130 minderjährige unbegleitete Flüchtlinge leben in Gastfamilien, betreuten Wohnformen oder in Jugendhilfeeinrichtungen.

Welche Aufgaben stehen auf Kreisebene 2017 beim Thema Flüchtlinge an?

Während es bis April 2016 in erster Linie darum ging, Unterkünfte zu finden, Hallenbelegungen zu vermeiden und das notwendige Personal aufzubauen, steht nun das an, was unter dem Oberbegriff Integration zusammengefasst wird. Wir haben hier vor allem bei den Kindern und Jugendlichen schon einiges erreicht. Besuchten 2014 gerade einmal 14 Flüchtlingskinder einen Kindergarten, waren es im Dezember 2016 schon 186. 2015 gingen 236 Flüchtlingskinder im Landkreis in eine Schule, bis Dezember 2016 waren es rund 850. Wir haben zusammen immens viel aufgebaut. Unser großes Anliegen ist es nun, auch junge Erwachsene über 18 Jahre in die Schulen zu bekommen. Wir müssen schauen, dass wir dafür die Kapazitäten schaffen. Ich habe deswegen auch an die Kultusministerin geschrieben.

Zusammen mit der Arbeitsagentur hat der Kreis ja auch ein Modell zur Arbeitsintegration von Flüchtlingen geschaffen.

Das stimmt, und das gibt es sonst nirgendwo in dieser Form im Land. Wir haben fast 500 Flüchtlinge in eine Beschäftigung, eine Ausbildung oder ein Praktikum gebracht. Das ist eine gute Quote für das erste halbe Jahr. Wir führen auch qualifizierte Rückkehrberatungen durch. Bisher gingen 125 Flüchtlinge freiwillig in ihr Heimatland mit Unterstützung der Berater zurück.

Sie haben viele Plätze in Unterkünften und auch Personal für die Flüchtlinge aufgebaut. Jetzt gehen die Flüchtlingszahlen zurück – lassen sich Plätze und Personal ebenso schnell wieder abbauen?

Wir werden bis Ende 2017 rund 1000 Plätze in den Gemeinschaftsunterkünften abbauen, den Großteil davon in Biberach, wo wir den Standort an der Waldseer Straße, in der Bahnhofstraße sowie die Container in der Bleicherstraße aufgeben werden. Parallel dazu bringen wir Flüchtlinge in die Anschlussunterbringung in die Kommunen. Klar ist: Die wirkliche Integration findet in überschaubaren Strukturen zum Beispiel im Dorf statt, wenn wenige Familien dort leben.

Ziehen inzwischen alle Kommunen mit? Nicht überall war anfangs die Begeisterung groß.

Ich kann da überhaupt nichts Schlechtes sagen, im Gegenteil: Ich kann mich nur bedanken. Inzwischen herrscht ein sehr gutes Klima. Dass die Flüchtlingszahlen ab Mai zurückgingen, hat uns natürlich gut getan und uns eine Atempause verschafft.

Wie sieht es bei den neu geschaffenen Stellen im Landratsamt aus?

Derzeit haben wir 77,5 Stellen im Flüchtlingsbereich. Davon wurden 66 Stellen in diesem Jahr geschaffen, tatsächlich besetzt haben wir aber nur 52 Stellen. Wir beabsichtigen, 2017 knapp 20 Stellen abzubauen, sodass es Ende 2017 noch 58 Stellen im Flüchtlingsbereich geben wird – übrigens größtenteils von Land und Bund gegenfinanziert.

Eng mit dem Thema Flüchtlinge verknüpft war dieses Jahr auch das Thema Sicherheit. Als Stichwort genügt hier „Kölner Silvesternacht“. Aber auch in Biberach kam es zu Straftaten mit Beteiligung von Flüchtlingen und Ende November wurde ein in Biberach lebender Flüchtling unter Terrorverdacht verhaftet. Welche Konsequenzen zieht der Landkreis daraus?

Wir nehmen das Thema sehr sehr ernst. Man muss aber aufpassen, dass man damit nicht bestimmten Leuten Aufwind oder Argumente verschafft. Wir haben unser Personal zum Thema Sicherheit und Radikalisierung im Herbst verstärkt geschult. Wir arbeiten eng und strukturiert mit der Polizei zusammen. Außerdem läuft gerade ein Ausschreibungsverfahren, um den Sicherheitsdienst in den Gemeinschaftsunterkünften Bleicherstraße und Bahnhofstraße in Biberach zu erhöhen beziehungsweise neu zu installieren. Wir haben bei der Sicherheit das Netz engmaschiger geknüpft, und es ist noch nicht fertig geknüpft.