Urfaust

Goethe zwischen Altkleidern

Biberach / Lesedauer: 3 min

Die Badische Landesbühne Bruchsal gastierte mit dem „Urfaust“ in Biberach
Veröffentlicht:24.01.2019, 13:35

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Ein eigenwillige aber nicht unbedingt geistreiche Interpretation des „Urfaust“ hat die Badische Landesbühne Bruchsal in Biberach gezeigt.

Unter dem „Urfaust“ versteht man des Dichters ersten Entwurf für sein späteres Drama „Faust“. Er entstand parallel zum „Werther“ 1772 bis 1775 in Frankfurt. Auslöser für die stoffliche Bearbeitung war die Verurteilung und Hinrichtung der Kindesmörderin Susanna Margaretha Brandt, deren Gerichtsprozess Goethe verfolgt hat. Der „Urfaust“ ist das Werk eines jungen Stürmers und Drängers, entstand ab 1772; der Dichter war da gerade 23 Jahre. Das Werk ist energiegeladen, unbändig und weitgehend in Prosa.

Faust will die Welt in ihrem Ganzen erfassen und die Frage nach dem Sinn des Lebens beantwortet wissen. Ruhelos studiert er die Wissenschaften, betreibt Magie, wird dennoch seinen Ansprüchen nicht gerecht. Desillusioniert und von Selbstzweifeln geplagt verlässt er seine Studierstube und versucht an der Seite einer mysteriösen, aus dem Nichts auftauchenden Gestalt namens Mephistopheles im wahren Leben sein Verlangen nach Wissen und Erfahrung zu stillen. Er trifft auf die junge Margarethe, in die er sich leidenschaftlich verliebt, die er um jeden Preis besitzen will. In dem unschuldigen Mädchen sieht er seine Rettung. Für Margarethe bedeutet das den Untergang.

Soweit Johann Wolfgang von Goethe in Frankfurt . Ab hier Joerg Bitterich in Bruchsal.

Der Regisseur verschiebt den Charakter des Schauspiels, machte aus dem Drama streckenweise eine Groteske: Bitterich hat das Ganze in einer Altkleiderkammer angesiedelt. Bergeweise liegen alte Klamotten herum, bedecken den ganzen Bühnenboden. Zwischendurch wirft jemand die Lumpen von links nach rechts, von vorne nach hinten. Zu Beginn schälen sich einige Figuren aus dem Altkleiderwust, geben irgendwelche Laute von sich, die der Regisseur wohl für Sprache hält. Englisch hörte man auch. „Faust“ hält seinen großen Eröffnungsmonolog „Habe nun ach…“ auf dem Klamottenhaufen, wird ständig unterbrochen. Immerhin sprachen die Darsteller zumeist Goethe. Dann kam der, nein die Mephista (Franziska Plüschke). Sie ist beileibe nicht die erste Frau in dieser Männerrolle. Begonnen hatte es 1977 in München mit Maria Becker, seitdem gab es eine Vielzahl weiblicher Mephistophelinen. Das ist ausgelutscht, hat den von „modernen“ Regisseuren geliebten Charme des „Was gab es denn noch nicht“ längst verloren. Zum gähnen. Da nützte auch ständiges Herumspringen auf der Altkleider-Hüpfburg nichts mehr. Immerhin sprach der Mann „Faust“ die Frau „Mephista“ mit „hochwürdiger Herr“ an. Ihr großer Dialog in der Studierstube (Goethe), auf dem Altkleiderhaufen (Bitterich) war sehr gutes Theater, und wenn er durfte, sprach der „Faust“ Frederick Kienle präzise und rollengemäß.

Gretchen beeindruckt

Das gilt auch für Yasmin Vanessa Münter, das Gretchen, deren ausgedehnte Wahnsinnsszene gegen Schluss beeindruckte. Ansonsten sprechen sie modernistisch auf Goethes Kosten, etwa wenn sie sich über verschiedene Hasch-Sorten unterhalten. Am Schluss trug der feminisierte Mephisto ein pompöses Brautkleid. Goethe sagt gar nichts darüber, wen er/sie heiratet.

Die Körpersprache ist insgesamt weitgehend manieristisch, unnatürlich, mit ungeschickten gymnastischen Übungen. Antiquiertes Regietheater, konzeptionell, spielerisch und sprachlich. Faust spielte den Schluss mit einer Papiertüte über dem Kopf. Das eine oder andere klassische Zitat ließ die Zuschauer dann schon erahnen, welches Stück sie gerade sahen. Die Schauspieler, auch die ausgezeichnete „Marthe“ Norhild Reinecke hätten anstatt dieses szenischen und sprachlichen Sammelsuriums einen klassischen „Urfaust“ verdient.

„Faust“ ist Sternchenthema in Baden-Württemberg und wird ab 2019 im Abitur geprüft. Ob dieses „Regie-Experiment“ den Gymnasiasten unter den Zuschauern wirklich zu einer besseren Deutsch-Abiturnote verhilft? Es sei ihnen gewünscht, aber Zweifel sind sicherlich angebracht.