Gesprächsstoff
Gesprächsstoff: Wie schnell ist der Rettungsdienst?
Biberach / Lesedauer: 4 min
Der Rettungsdienst im Kreis Biberach ist in 93 Prozent der Fälle rechtzeitig vor Ort – zu wenig laut gesetzlichen Vorgaben. Das hat mehrere Gründe, wie die folgende Reportage zeigt:
Der Notfallmelder heult auf. Rettungsassistent Florian Barth blickt auf sein Gerät und sagt: „leblose Person“. Jetzt kann jede Sekunde Leben retten. Barth und Sanitäterin Lisa Müller schwingen sich in den Rettungswagen und fahren mit Blaulicht aus der Wache am Krankenhaus in Biberach. Innerhalb von 60 Sekunden sollten sie auf der Straße sein, das hat geklappt. Zur gleichen Zeit: 500 Meter Luftlinie entfernt, in der Leitstelle in Biberach, leistet ein Mitarbeiter erste Hilfe – via Telefon. Er hat einen Mann in der Leitung, der um das Leben seiner Frau bangt. Am Morgen hat er sie leblos im Bett gefunden und sofort die 112 gewählt. Via Telefon erklärt der Mitarbeiter, wie der Mann mit einer Herzdruckmassage seiner Frau erste Hilfe leisten kann.
Zeitgleich rast der Rettungswagen zum Einsatzort. Vom Anruf bei der Leitstelle bis zur Ankunft am Unfallort vergehen keine zehn Minuten. Damit haben die Einsatzkräfte die Vorgaben erfüllt – wie in den meisten aller Fällen. Im vergangenen Jahr war der Rettungsdienst im Kreis Biberach in 93 Prozent aller Notrufe innerhalb von maximal 15 Minuten an der Einsatzstelle. Laut Gesetz sollte dies jedoch in 95 Prozent aller Fälle gelingen. Seit dem eine SWR-Analyse die Mängel aufgedeckt hat, sieht sich der Rettungsdienst in der Kritik.
Liste der Veränderungen lang
Doch Michael Mutschler , Geschäftsführer des Rettungsdiensts beim Deutschen Roten Kreuz (DRK) in Biberach betont: Die Verantwortlichen haben gegengesteuert. Gemeint ist der Bereichsausschuss, in dem neben dem DRK und dem Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) auch Vertreter der Krankenkassen und des Landratsamts sitzen. Die Liste der Veränderungen ist lang: Mehr Rettungswagen, die neue Behelfsrettungswache in Ummendorf, die Einführung des Digitalfunks, die Planung neuer Rettungswachen. „Wir haben frühzeitig einen Masterplan zur Einhaltung der Hilfsfristen aufgestellt, damit wir wieder 95 Prozent erreichen können“, betont Mutschler.
Doch wenn es vor Ort Stau gibt, die Straße glatt ist oder der Regen vom Himmel prasselt, kommt auch der Rettungswagen an seine Grenzen. „Oft kann ich die Hilfsfrist gar nicht beeinflussen. Wenn wir wie bescheuert rasen, landen wir nachher noch selbst im Graben“, sagt Barth.
Retter spurten Treppen nach oben
Bei dem heutigen Einsatz läuft zunächst alles nach Plan – bis die Rettungskräfte den Einsatzort erreichen. Das vierstöckige Hochhaus, in dem sich die leblose Frau befindet, bietet keinen Aufzug, das Treppenhaus ist eng. Die Sanitäter Barth und Müller spurten die Stufen nach oben und beugen sich wenige Sekunden über den leblosen Körper. Erst jetzt legt der Mitarbeiter in der Leitstelle auf, weil er weiß, dass vor Ort Hilfe eingetroffen ist.
Wenige Minuten später stößt auch der Notarzt zum Rettungsdienst dazu. Nur er darf Medikamente geben. Das verabreichte Adrenalin zeigt Wirkung, das Herz der Frau beginnt wieder zu schlagen. Mit vereinten Kräften schaffen die Einsatzkräfte sie die Stufen nach unten in den Wagen und fahren sie ins Krankenhaus.
Patientin stirbt wenig später
Beim Eintreffen erwartet sie eine Gruppe Notfallmediziner. Vor einer grauen Stahltür endet die Arbeit die Rettungsdiensts. Hinter der Tür kämpfen die Ärzte noch Minuten um das Leben der Frau. Florian Barth wird erst einige Stunden später erfahren, dass die Frau in der Notaufnahme gestorben ist. Auch der schnelle und tadellose Einsatz der Rettungskräfte konnte sie nicht retten.
Zum Innehalten aber bleibt ihm und seiner Kollegin kaum Zeit. Bevor sie erneut ausrücken, müssen sie den Wagen auf Vordermann bringen. Die Spuren der „Materialschlacht“ beseitigen, den Rucksack mit Medikamenten auffüllen. Parallel sind weitere Rettungswagen unterwegs.
Doch es sind nicht allein die Routinetätigkeiten, die Zeit rauben. Auch die Situation an der Rettungswache ist beengt. Für die Einsatzkräfte bedeutet das häufiges Rangieren – ein Grund, warum Mutschler den geplanten Neubau der Rettungswache herbeisehnt. Einzig die Finanzierung ist noch nicht geklärt. Förderbescheide lassen auf sich warten. Mutschler sagt: „Wir können doch auch nur so gut agieren, wie es das System zulässt.“