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Einsturzgefahr: Familien müssen ausziehen

Biberach / Lesedauer: 4 min

Haus am Rande der Altstadt soll neuem Wohnkomplex weichen – Mieter suchen verzweifelt nach neuer Bleibe
Veröffentlicht:06.03.2017, 10:36

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Wer wenig Geld hat, tut sich auf dem Biberacher Wohnungsmarkt schwer. So ergeht es zumindest Christiane Karl. Sie lebt seit fast drei Jahren am Rande der Biberacher Altstadt. Jetzt muss die Sozialhilfeempfängerin gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten aus der Wohnung ausziehen. Der Grund: Das sanierungsbedürftige Haus soll einem neuen Wohnkomplex weichen.

Ende Januar flatterte das Kündigungsschreiben in ihren Briefkasten. „Ich war völlig überrascht von der Kündigung“, sagt Christiane Karl. Risse im gesamten Mauerwerk, wodurch sich das Dach verschoben hat, kaputte Dachbalken und der Kamin droht umzustürzen – „es besteht eine konkrete Einsturzgefahr“, heißt es in dem Papier. Jetzt soll der gesamte Wohnkomplex abgerissen werden, weil sich das Mietobjekt in einem derart schlechten Bauzustand befinde, dass eine Sanierung nicht nur nicht mehr möglich, sondern vor allem auch wirtschaftlich völlig unangemessen sei. Eine maßgebliche Verlängerung der Restnutzungsdauer des 200 Jahre alten Gebäudes könne durch eine Sanierung nicht erlangt werden.

Auf dem Grundstück am Rande der Biberacher Altstadt soll ein neuer Wohnkomplex entstehen. „Mit dem geplanten Neubau werden sodann moderne, bedarfsgerechte (Miet-)Wohnungen errichtet“, heißt es in dem Kündigungsschreiben. Die Folge für Christiane Karl, ihren Lebensgefährten und eine alleinerziehende Mutter im Obergeschoss: Sie müssen ausziehen – und zwar bis zum 30. April.

Viele wenden sich an den Mieterverein

„Wir leben seit fast drei Jahren in dem Haus“, sagt Christiane Karl. Sie habe an der etwa 50 Quadratmeter großen Wohnung vor allem die Nähe zur Biberacher Innenstadt geschätzt, auch, weil sie kein Auto besitzt. Zudem sei die Miete bezahlbar, Geld hat sie kaum. Denn nach eigener Aussage kann sie aus gesundheitlichen Gründen nicht arbeiten und bezieht deshalb Hartz IV. Dies kombiniert mit Katzen als Haustiere sind nicht die besten Voraussetzungen, um auf dem angespannten Wohnungsmarkt in Biberach eine neue Bleibe zu finden.

Rechtlich zu rütteln gibt es an der Kündigung nichts. Bis zu einer Mietdauer von fünf Jahren können Vermieter, wenn sie einen Kündigungsgrund haben, mit einer Frist von drei Monaten kündigen. „Wenn eine Einsturzgefahr besteht, sollte der Mieter so schnell wie möglich ausziehen, allein schon aus Eigenschutz“, erläutert Roland Huchler , Vorsitzender des Mietervereins Biberach. „Dass Mieter in der Region wegen eines Abrisses ausziehen müssen, ist äußerst selten.“ Häufiger würden sich Mieter an den Mieterverein wenden, weil Vermieter ihnen zum Beispiel wegen Eigenbedarfs kündigten.

Würde der Vermieter von Christiane Karl das Haus sanieren, sehe der Fall anders aus, so Huchler. „Mieter können die geplanten Modernisierungsarbeiten ablehnen, wenn die Arbeiten für sie eine nicht zu rechtfertigende Härte darstellen“, erläutert der Rechtsanwalt. Das können die Bauarbeiten selbst oder aber die baulichen Folgen der Modernisierung sein, aber auch wenn die zu erwartende Mieterhöhung für die Mieter praktisch nicht bezahlbar ist. Hierbei sind die Situation des Mieters und das Interesse des Vermieters an der Modernisierung gegeneinander abzuwägen.

Obdachlosenunterkunft als letzter Ausweg

Christiane Karl sucht mit ihrem Lebensgefährten nach eigener Aussage intensiv nach einer neuen Wohnung. „Wir beschränken uns nicht auf Biberach, sondern haben unsere Suche auf den gesamten Landkreis ausgedehnt“, sagt sie. Obwohl sie direkt nach Erhalt der Kündigung mit der Wohnungssuche starteten, haben sie bislang keine Bleibe in Aussicht. Ihre Sorge ist groß, ab dem 1. Mai auf der Straße zu stehen. „Sollten Mieter keine Wohnung finden, gibt es noch die Möglichkeit des Räumungsschutzes“, sagt Huchler. Dazu muss zwei Wochen vor Ablauf eine Räumungsfrist unter Angabe von Gründen beantragt werden.

Einzuwenden seitens der Stadtverwaltung gibt es gegen den Abriss nichts, wie die Sprecherin der Stadt Biberach, Andrea Appel, erläutert: „Das Gebiet ist verfahrensfrei.“

Bei der Stadtverwaltung betont man, dass niemand in Biberach obdachlos sein muss. „Sollte jemand auf dem freien Wohnungsmarkt nichts finden, muss die Stadt für eine Unterkunft sorgen“, erläutert Appel. Das Stichwort lautet: Obdachlosenunterkunft. So weit wollen es Christiane Karl und ihr Lebensgefährte nicht kommen lassen, allein schon weil sie dann ihre Katzen abgeben müssten.