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Wehrmacht

Der Tag der Befreiung kostet Menschenleben

Biberach / Lesedauer: 3 min

Am 23. April vor 70 Jahren marschierten die Franzosen in Biberach ein
Veröffentlicht:22.04.2015, 18:35

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Noch ehe am 8. Mai 1945 die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht in Kraft trat, war der Zweite Weltkrieg in Biberach bereits zu Ende. Am 23. April 1945 – also genau vor 70 Jahren – übernahmen französische Truppen das Kommando in der Stadt. Für viele in der Stadt ein Tag der Befreiung, der allerdings auch mehrere Menschenleben kostete. Die Ereignisse dieses wichtigen Tags haben Dr. Kurt Diemer in seinem Buch „April 1945 – Ende und Anfang“ (2005) sowie Christian Rak im Buch „Nationalsozialismus in Biberach“ (2012) dargestellt. Sie sind in diesem Bericht zusammengefasst.

Die Hauptverantwortlichen auf deutscher Seite suchten bereits tags zuvor ihr Heil in der Flucht. Kreisleiter Adolf Bauer und SS-Hauptsturmführer Lorenz Seitz von der Biberacher Polizei setzen sich ins Allgäu ab. In Biberach selbst ging die Befürchtung um, dass es jede Menge zivile Opfer geben würde, wenn der Volkssturm, bestehend aus Männern zwischen 16 und 60 Jahren versuchen sollte, die Stadt gegen die herannahenden Franzosen zu verteidigen.

Darüber, wie es schließlich doch dazu kam, dass die Panzersperren in der Stadt geöffnet wurden, gab es nach Kriegsende verschiedene Darstellungen. Während manche diese Entscheidung dem zuständigen Bataillonskommandant des Volkssturms, Gustav Kreh, zuschrieben, soll es in einer anderen Version eine „Gruppe von entschlossenen Männern“ gewesen sein, die zur Selbsthilfe gegriffen und die Sperren, bestehend aus Holzstämmen, entfernt habe. Ein Augenzeuge berichtet davon, dass es „in der Hauptsache Frauen“ gewesen seien, die die Panzersperren beseitigten. Die Männer hätten sich erst auf ihre Bitte daran beteiligt.

Tragisch ist in diesem Zusammenhang der Tod des 82-jährigen Besitzers der Pflugbrauerei, Karl Zell , der an diesem Tag eine weiße Fahne hisste, und sich mit der Waffe gegen einen deutschen Soldaten wehrte, der ihn daran hindern wollte. Zell wurde von dem Soldaten erschossen. Eine Nachhut der Wehrmacht versuchte am frühen Nachmittag den Vormarsch der Franzosen an der Mittelbiberacher Steige aufzuhalten. Die zwei Feldwebel und zehn junge Soldaten wurden bei dem Gefecht getötet. Die Franzosen beschossen mit ihren Panzern die Stadt daraufhin mit Granaten. Dabei starben sechs Zivilisten. Viele Bürger saßen zu dieser Zeit in ihren Kellern und Bunkern und warteten auf das Ende des Beschusses.

Gegen 16.30 Uhr rollten die französischen Panzer von der Riedlinger Straße her in die totenstille Stadt. Über die Kolpingstraße, die Martin-Luther-Straße, die Waldseer Straße und die Hindenburgstraße fuhren sie bis zum Rathaus. Bürgermeister Josef Hammer, der selbst aus einem Luftschutzkeller kam, übergab die Stadt den neuen Machthabern „formlos“, wie es heißt.

Die Polizei wird entwaffnet

Alle öffentlichen Gebäude, Gasthöfe, Hotels, Schulen und Fabriken wurden von den Besatzern beschlagnahmt, das Rathaus musste umgehend geräumt werden. Die deutsche Polizei wurde entwaffnet. Erst eine Woche später wurden einige Beamte unter der Leitung des früheren Polizeichefs Josef Mößmer wieder eingesetzt – zunächst unbewaffnet.

Diese Polizisten mussten in den ersten Wochen nach dem Einmarsch auch die Anordnungen der Militärregierung durchsetzen, nach denen die Bevölkerung diverse Gegenstände abzuliefern hatte: Radios, Schmuck, Fotoapparate, Autos, Fahrräder und natürlich Waffen. Dabei kam es vonseiten der Soldaten auch zu Willkürakten, Misshandlungen und Vergewaltigungen.

Befreit wurden an diesem 23. April 1945 auch 1212 Menschen, die im „Lager Lindele“ an der Birkenharder Straße interniert waren. Darunter viele Bewohner der britischen Kanalinsel Guernsey, von denen manche den Kontakt nach Biberach nach Kriegsende aufrechterhielten. Im Jahr 1997 wurden die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Guernsey und Biberach offiziell besiegelt.

Aus Anlass des Kriegsendes und der Befreiung des Lagers Lindele findet am 23. April ab 10 Uhr eine öffentliche Gedenkzeremonie am Eingang der Polizeihochschule (ehemals Lager Lindele) an der Birkenharder Straße statt.