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Naturkatastrophe

Als die Nazis in Biberach die Macht übernahmen

Biberach / Lesedauer: 5 min

Vor 80 Jahren begann die NSDAP-Herrschaft in der Stadt – Die SZ blickt zurück auf die ersten Wochen und Monate
Veröffentlicht:27.03.2013, 19:50

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Er glaube dem Versprechen Adolf Hitlers, „dass er allen die Hände reichen und seine Gegner versöhnen wolle.“ Es war vor genau 80 Jahren, am 28.März 1933, als der Biberacher Bürgermeister Josef Hammer diese Worte im Gemeinderat sprach. Die SZ wirft einen Blick zurück auf die Zeit, in der die Nazis ihren Einfluss auf das politische und soziale Leben der Stadt auszudehnen begannen.

Gut drei Wochen waren seit den Reichstagswahlen vom 5. März 1933 vergangen. Auch an der Riß hatte die NSDAP mit 48,3 Prozent die Mehrheit vor dem Zentrum (34,7 Prozent) erreicht. SPD (9,2) und KPD (4,6) waren bedeutungslos geworden. „Es war freilich keine Naturkatastrophe, die von außen über die Stadt hereingebrochen wäre“, schreibt der Ehinger Historiker Dr. Christian Rak, der 2005 die NS-Zeit in Biberach wissenschaftlich aufgearbeitet hat. Bereits vor 1933 hatten die Nazis in Biberach ihre Anhänger und Aktivisten.

Die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar in Berlin, sorgte auch im knapp 600 Kilometer entfernten Biberach in den folgenden Monaten für gravierende Veränderungen der politischen und sozialen Strukturen vor Ort. Nur wenige Tage nach den eingangs zitierten Worten von Bürgermeister Hammer wurde im Zuge der Gleichschaltung auch der Biberacher Gemeinderat, entsprechend der Stimmverhältnisse der Reichstagswahl, neu gebildet, was den Nazis die Hälfte der 18 Sitze bescherte. Die Kandidaten der NSDAP waren keine sozialen Außenseiter, sondern stammten mitten aus dem Bürgertum und hatten mit Dr. Fritz Schroedter einen renommierten Arzt an der Spitze. Auch zwei Räte anderer Parteien traten im Juli 1933 zur NSDAP-Fraktion über.

Bürgermeister Josef Hammer, der am 22. Januar 1933 – also wenige Tage vor der NS-Machtübernahme – mit 91 Prozent der Stimmen wiedergewählt wurde, war, Raks Erkenntnissen zufolge, gewiss kein überzeugter Nationalsozialist. Er entschloss sich zu einer pragmatischen Zusammenarbeit mit den NSDAP-Räten und der Parteiführung. Trotzdem zeigte er sich für manche Elemente der NS-Propaganda empfänglich, so die neue nationale Stärke. In seiner Rede im Gemeinderat vor genau 80 Jahren betonte er auch, „dass wir gewillt sind uns hinter die Regierung zu stellen“.

Umbesetzungen in der Verwaltung

Welche Realität dies nach sich zog, zeigte sich aber im weiteren Verlauf des Jahres 1933/34, als Hammer sich gezwungen sah, Umbesetzungen innerhalb der Stadtverwaltung zuzustimmen, die langjährige NSDAP-Mitgliedern mit Posten versorgte; zwar nicht in den oberen Etagen der Stadtverwaltung, aber mit der Konsequenz, das die bisherigen Arbeiter und Angestellten, die der Partei fern standen, ihre Anstellung verloren.

Im April kam es in Biberach zu einer ersten Verhaftungswelle. Die Sozialdemokraten Wilhelm Schultheiß und Anton Mönch sowie Adolf Pirrung, Direktor der Oberschwäbischen Elektrizitätswerke (OEW), kamen ins Konzentrationslager auf den Heuberg. Pirrung war den Nazis offenbar wegen seiner Kontakte zu führenden Zentrumspolitikern ein Dorn im Auge. Anfang April werden die Geschäfte der jüdischen Familien Bergmann, Michaelis und Czisch, die zu dieser zeit noch in Biberach leben, mit einem Boykottaufruf belegt. Der Gemeinderat schließt im Juni 1933 zwei Juden von den städtischen Märkten aus, sieben Juden bleiben allerdings weiter zugelassen. Aufgrund der aber immer stärker werdenden antisemtischen Hetze verlassen die Familien Bergmann (1936) und Michaelis (1938) Biberach und in der Folge Deutschland. Zwei Gedenktafeln erinnern seit 2012 vor ihren Wohnhäusern am Marktplatz und in der Hindenburgstraße an sie.

Letztere trägt ihren Straßennamen seit Mai 1933, als der Gemeinderat mit NSDAP-Mehrheit die Kronen- in Hindenburgstraße und den AltenPostplatz in Adolf-Hitler-Platz umbenannte. Ein Antrag der Grünen-Fraktion, dies in Bezug auf die Hindenburgstraße rückgängig zu machen, wurde Anfang März 2013 von der Ratsmehrheit abgelehnt. Die Stadt will aber eine Tafel aufstellen zu lassen, die sich mit der Diskussion um Hindenburg auseinandersetzt.

Musikverein verliert seinen Status

Der Gleichschaltungsprozess der Nazis beschränkte sich aber nicht nur auf den politischen und wirtschaftlichen Bereich, sondern betraf auch die Kultur. Ein aktenkundiges Beispiel hierfür ist das Schicksal des Musikvereins Biberach. Dem traditionsreichen Verein erwuchs ab 1933 in Form einer SA-Kapelle eine Konkurrenz. Durften am Maifeiertag 1933 noch beide Kapellen musizieren, so entzog der Biberacher Gemeinderat dem Musikverein am 5. September 1933 den Namen „Stadtkapelle“ und hielt ihn von weltlichen Anlässen fern. Der Musikverein wirkte fortan nur noch bei kirchlichen Anlässen mit und wurde im Januar 1934 mit der SA-Kapelle zu einem Kampfbund-Orchester verschmolzen.

Zur Gleichschaltung kam es auch im Bereich der lokalen Presse. Bis 1932 besaß der zentrumsnahe „Anzeiger vom Oberland“ das Monopol auf dem Biberacher Zeitungsmarkt. Ihm erwächst ab diesem Zeitpunkt in der rechtskonservativen „Biberacher Zeitung“ eine Konkurrenz, die den Nazis ein Forum für ihre Propaganda bietet. Beide Zeitungen bestehen zunächst noch nebeneinander, werden aber 1935 ganz der NS-Presse eingegliedert.

Die Auswirkungen der NS-Macht in den folgenden Jahren werden in Biberach in den verschiedenen Bereichen unterschiedlich schnell sichtbar. Mit voller Wucht treffen sie die Stadt kurz vor Kriegsende: Am 12. April 1945 sterben bei einem Bombenangriff auf die Innenstadt mehr als 50 Menschen.

Dieser Artikel entstand auf Grundlage der Bücher „Nationalsozialismus in Biberach“ (Herausgeber: Frank Brunecker) und „Biberacher Juden im und nach dem Nationalsozialismus“ (Christian Rak). Beide Werke sind im Foyer des Museums Biberach erhältlich.