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Großfamilie

„Wir wollten immer eine Großfamilie“

Achstetten-Bronnen / Lesedauer: 7 min

Claudia, Gerhard und Marcel Schick genießen seit vier Jahren das Leben als Pflegefamilie
Veröffentlicht:18.04.2014, 17:15

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Claudia und Gerhard Schick aus Bronnen sind seit vier Jahren mit Herz und Seele Pflegeeltern. Wie Kinder ihr Leben bereichern, haben sie der SZ erzählt.

Zwei kleine Ritter, bewaffnet mit Schwert und Schild, flitzen von einer Ecke des Wohnzimmers in die nächste. Maxi versucht, Leon zu fangen, und umgekehrt. Wenn einer hinfällt, kriegt sich der andere vor lachen kaum ein. Und der andere stimmt mit ein. Dazwischen springt die Hündin Kira hin und her. Sie bellt mal leiser und mal lauter. Manchmal versteht man das eigene Wort nicht mehr. „Das ist gut so“, finden die Eltern Claudia und Gerhard Schick. „Die Kinder fühlen sich wohl und sind glücklich. Es ist so schön, das zu sehen.“

Glücklich sein, das war nicht immer selbstverständlich für den siebenjährigen Leon und den zweieinhalbjährigen Maxi. Ihre leiblichen Eltern wussten nichts mit ihnen anzufangen, vermutet die 41-jährige Claudia Schick. „Maxis Mutter hat sich einfach aus dem Staub gemacht.“ Leon ist vor vier Jahren zu der Pflegefamilie gekommen. Maxi ist seit zwei Jahren da. Die beiden verstehen sich prima. Auch mit dem 13-jährigen Marcel, dem leiblichen Sohn der Schicks.

„Wir wollten schon immer eine Großfamilie“, erzählt das Paar, das seit 20 Jahren verheiratet ist. „Das hat uns immer gefallen.“ Gerhard Schick, der aus Bronnen stammt, erinnert sich noch daran, dass seine Mutter ebenfalls Kinder betreut hat. „Es waren Kinder von Gastfamilien“, sagt er. „Das fand ich schön.“

Da es mit der eigenen Großfamilie nicht geklappt hat, reifte bei dem Ehepaar der Wunsch, Kinder zu adoptieren. „Wir wollten Kindern, denen es nicht so gut geht, viel Zuwendung und eine Zukunft schenken“, erzählt Claudia Schick, die in Ochsenhausen geboren und in Bußmannshausen aufgewachsen ist. „Kinder gehören zum Leben.“ Doch bei ein bis zwei Kindern, die pro Jahr zur Adoption freigegeben wurden, wäre ihnen die Wartezeit zu lange gewesen. Dann lasen sie im Mitteilungsblatt, dass Pflegefamilien gesucht werden. „Wir haben uns ganz spontan beworben.“ (Siehe Kasten)

Von Anfang an wurde Marcel einbezogen. „Es ist wichtig, dass das eigene Kind auch mitmacht“, finden die Schicks. Doch für Marcel war das kein Problem. Ganz im Gegenteil. „Es war mein größter Wunsch, Geschwister zu haben“, sagt der 13-Jährige.

Vor vier Jahren hat sich sein Wunsch mit dem Einzug von Leon erfüllt. Marcel wurde großer Bruder und genießt es immer noch. „Er fühlt sich verantwortlich“, sagt seine Mutter, die sich viel Zeit für ihre Kinder nimmt. Gemeinsame Mahlzeiten, Spiele- und Basteltage, Urlaube und Ausflüge sind der gesamten Familie wichtig. Und noch etwas haben sie gemeinsam: Alle gehören der Narrenzunft Burgrieden an.

Zwar ist Papa Gerhard beruflich oft unterwegs, aber auch er verbringt jede freie Minute mit dem Nachwuchs. „Am tollsten finde ich, dass mein Papa an meinem Geburtstag zu Hause sein wird“, erzählt Leon freudestrahlend und kuschelt sich an Gerhard Schick. Im Sommer wird Leon acht. Wie sehr er sich als Familienmitglied fühlt, zeigt eine Anekdote, an die sich Marcel erinnert: „Bei Leons Einschulung musste Mama unseren Namen auf seine Hefte und überall dazuschreiben.“

Der 13-Jährige spielt seit einem Jahr E-Gitarre. Leon bevorzugt ein lauteres Instrument: ein Schlagzeug. „Wir haben unsere eigene Band“, erzählt Marcel und lacht. Seine Eltern fügen hinzu: „Uns ist die musikalische Bildung der Kinder wichtig. Da machen wir keine Unterschiede.“

Wenn es warm wird, geht es raus in den Garten. Dort, hinter dem Haus, steht eine riesige Holz-Ritterburg. „Die habe ich selbst gebaut und vergangenes Jahr renoviert“, erzählt der 48-jährige Gerhard Schick. „Auch die Nachbarskinder kommen gern zum Spielen.“

Regelmäßiger Kontakt ist wichtig

Doch es gibt auch nicht so schöne Momente: „Wenn uns ein Kind wieder verlassen oder wenn man ein Kind zu Grabe tragen muss. Das ist hart für alle Beteiligten.“ Mit beiden Situationen musste die Familie schon fertig werden. Da war Leni, ein Frühchen, das die Schicks aufnehmen wollten. Sie war aber allein nicht lebensfähig und hat das Krankenhaus nie verlassen dürfen. Monatelang hat die Familie am Krankenbett gebangt. Bis die leibliche Mutter entschied, dass die Beatmungsmaschine abgeschaltet werden soll. Oder Leonie. Sie hat fast drei Jahre bei der Familie gelebt. Das Mädchen hatte aber so massive psychische Probleme, dass sich die Familie schweren Herzens entschied, sie wegzugeben. In eine voll stationäre Einrichtung, in der Leonie auch professionelle Hilfe bekommt. Regelmäßiger Kontakt ist der Familie dennoch wichtig. Deshalb verbringt Leonie die Osterfeiertage in Bronnen. So lange die Treffen dem Mädchen gut tun, wollen die Schicks es so beibehalten.

Ihre Kraft schöpft die Familie aus dem katholischen Glauben. Regelmäßig besuchen sie Gottesdienste. Dennoch zwingen sie den Kindern nichts auf. „Für uns spielt es keine Rolle, was für eine Konfession die Kinder haben“, sind sich Claudia und Gerhard einig. „Wir würden auch mal in eine evangelische Kirche gehen.“

Gern würden sie noch weitere Kinder aufnehmen. „Es muss aber passen.“ Zudem ist den Pflegeeltern wichtig, mit den Kindern offen umzugehen. „Sie wissen genau, woher sie kommen und dass sie in einer Pflegefamilie leben“, sagt das Ehepaar.

Ein Nachmittag bei Familie Schick in Bronnen geht zu Ende. Im Wohnzimmer wird es leise. Für Leon ist jetzt Fernsehzeit. Der Siebenjährige sitzt ein bisschen erschöpft auf der Couch und schaut gespannt auf den Fernseher. Gleich kommt das Sandmännchen und dann geht es bald ins Bett. Die Pause hat sich Leon verdient. Denn morgen warten bestimmt wieder unendlich viele Abenteuer auf ihn und seine Geschwister.

Wie man Pflegefamilie werden kann

„Zuerst einmal muss man die Bereitschaft beim Jugendamt kund tun“, sagt Gerhard Schick. „Man stellt eine Art Antrag.“ Dann müsse man einen Fragebogen ausfüllen. Das Amt möchte beispielsweise einen Einblick in die familiären und finanziellen Umstände haben und ob man eventuell bereit ist, auch ein krankes Kind aufzunehmen. Auch ein polizeiliches Führungszeugnis ist notwendig.

Zudem muss man ein Seminar absolvieren, das ein Wochenende lang dauert. „Dort erfährt man die rechtlichen Dinge und die Regeln“, erklärt Claudia Schick. „Zum Beispiel, dass die leiblichen Familien auch Besuchsrecht haben.“ Die angehenden Pflegeeltern werden zudem in Rollenspielen darauf vorbereitet, was auf sie zukommen könnte. „Zu unserem Seminar waren auch zwei Pflegefamilien eingeladen, die von ihren Erfahrungen berichtet haben“, erinnert sich das Paar.

Danach besuchen die zuständigen Jungendamt-Mitarbeiter die Familien. In dem Fall haben sie auch Marcel befragt. Von ihm wollten sie zum Beispiel wissen, ob er lieber Jungen oder Mädchen hätte. Seine schlagfertige Antwort mit Augenzwinkern war: „Ist mir doch egal. Streiten kann ich mich mit jedem.“

Dann begann die Wartezeit. Etwa zwei bis drei Jahre mussten sich die Schicks gedulden. „Und dann bin ich gekommen“, sagt Leon mit einem Grinsen. Das Jugendamt wünscht, dass das eigene Kind das älteste bleibt, was für Claudia und Gerhard in Ordnung ist. Sie erklären: „Bei Komplikationen könnte es sein, dass sich das eigene Kind benachteiligt fühlt. Außerdem ist es besser, man hat die Erfahrung schon einmal gemacht.“

Die Pflegefamilien werden jederzeit vom Jungendamt finanziell und immateriell unterstützt. Alle sechs Monate finden Hilfeplangespräche mit den Eltern, dem Vormund und den Kindern statt. Sie dienen dem Informationsaustausch.

Wer Interesse hat, sich als Pflegefamilie zu engagieren, kann sich an folgende Ansprechpartnerinnen wenden: Pflegekinderdienst des Kreisjugendamtes Biberach: Sabine Epperlein, Tel. 07351/52 76 70, [email protected] , und Jutta Schlachter, Telefon 07392/96 74 24, [email protected] .