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Ungewissheit

Tage der quälenden Ungewissheit

Rupertshofen / Lesedauer: 4 min

Unverschuldet wäre Rupertshofen kurz vor Kriegsende fast der Zerstörung anheimgefallen
Veröffentlicht:08.05.2015, 16:20

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Beim Kriegsende vor 70 Jahren ist Rupertshofen nur knapp einem großen Unglück entgangen. Ein getöteter französischer Soldat und hohe Geldforderungen der Sieger sorgten eine Zeitlang für höchste Ungewissheit. Dass es am Ende gut ausging, sei mutigen Bürgern und großzügigen Biberacher Geschäftsleuten zu verdanken, erinnert sich Hans Mohr.

Er war damals zwölf Jahre alt und einige dramatische Szenen spielten sich nur wenige Meter vom Haus der Familie ab. Dabei fing der Einmarsch ganz harmlos an: Am 23. April 1945 sei eine Kolonne französischer Panzer durchs Dorf und weiter Richtung Oggelsbeuren gefahren, ohne einen Schuss abzufeuern – deutsche Truppen waren keine da und Widerstand blieb aus, erzählt Mohr. Mehr Schrecken als der Feind verbreiteten SS-Leute, die tags darauf jene Bürger tyrannisierten, die eine weiße Fahne am Haus hängen hatten. Die SS-Leute wurden mit dem Hinweis vertrieben, dass bald noch mehr Franzosen kämen.

Französische Soldaten quartierten sich bei Einheimischen ein. „Meine Mutter mussten denen Hühner kochen und sie spielten bei uns in der Stube Karten“, sagt Hans Mohr. Es seien anständige Leute gewesen: Sie hätten es unterbunden, als ein Kamerad ein Schaf mitnehmen wollte. Einer habe als Erinnerung sein Passbild dagelassen.

Freilich stellten die Besatzer strenge Regeln auf: Sollte einem französischen Soldaten etwas zustoßen, werde das Dorf angezündet. Daher drohte das Schlimmste, als am Morgen des 6. Mai ein französischer Soldat in einem Hof im Sterben lag. In der Nachbarschaft seien die Schüsse deutlich zu hören gewesen, erinnert sich Hans Mohr. So sprang die damals 21-jährige Theresia Scheffold ans Fenster und sah einen Soldaten mit französischer Uniform und schwarzer Hautfarbe davonlaufen. Er hatte seinen weißen Kameraden erschossen.

Bei dieser Aussage blieb die junge Frau, die später als Schwester Fabiana ins Kloster Untermarchtal ging, im Verhör. So wurde der schwarze Soldat standrechtlich erschossen und „das Dorf entging durch Theresia Scheffolds Mut der Zerstörung“, sagt Hans Mohr. Um ein Haar hätten die Rupertshofer einen furchtbaren Preis bezahlt für die Tat eines Franzosen, späteren Erzählungen nach wahrscheinlich in Trunkenheit begangen. Mohr erinnert sich an diese Episode auch deshalb so lebhaft, weil sein Vater, der Schreinermeister Wilhelm Mohr, die Särge für die beiden zimmern und beim Einsargen im Schulhof helfen musste.

Vorbei war es aber noch nicht, und für eine gutes Ende bedurfte es weiterer mutiger Leute. Denn jetzt verlangten die Franzosen 100000 Reichsmark, damit das Dorf verschont würde. Der damalige Bürgermeister Josef Liebhart ging von Haus zu Haus und brachte 40000 zusammen. Sein Stellvertreter Karl Ströbele sen. fuhr allein mit dem Fahrrad nach Biberach, „was sehr gefährlich war“, so Mohr. Er erhielt von Geschäftsleuten wie Posamenten-Gerster, Kolesch und der Volksbank Geld, und die Gemeinde Attenweiler steuerte ebenfalls 20000 Euro bei.

Bis der Freikauf über die Bühne gegangen war, setzten die Franzosen die Hälfte der Einwohner als Faustpfand in ihren Häusern fest – die andere Hälfte wurde in Nachbardörfern einquartiert. Die Mohrs gehörten zu den Geiseln. „Keiner durfte ohne Erlaubnis raus. Die Soldaten sind auf und ab gegangen und keiner wusste, was passiert“, schildert Mohr die Stunden der quälenden Ungewissheit. Bei einem Nachbarn, der lediglich aus dem geschlossenen Fenster geschaut habe, hätten Soldaten den Vogel der Kuckuckuhr abgeschossen. Einige Dorfbewohner erlitten Schussverletzungen, verursacht durch nervöse Finger am Abzug.

In der Nacht zum 8. Mai zogen die Franzosen ab, ohne weiteren Schaden anzurichten. Vorher ereignete sich noch etwas, das Hans Mohr nie vergessen wird: Er war schon damals der Vogelliebhaber, der er bis heute ist. Er besaß Rassetauben, von denen der französische Kommandeur welche haben wollte. „Es gelang uns, vier einzufangen und ich brachte sie auf die Kommandantur.“