StartseiteRegionalRegion BiberachAichelauWie ein Rollstuhlfahrer einen 25-Tonnen-Radlader steuern kann

Mobilitätszentrum

Wie ein Rollstuhlfahrer einen 25-Tonnen-Radlader steuern kann

Aichelau / Lesedauer: 4 min

Rafael Spitz kann nach zweieinhalb Jahren wieder seiner angestammten Arbeit nachgehen
Veröffentlicht:17.07.2018, 13:22

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Die Freude stand Baumaschinenführer Rafael Spitz im Gesicht, als er sich zur ersten Probefahrt im Mobilitätszentrum in Aichelau wieder in sein angestammtes Arbeitsgerät – einem Caterpillar (CAT) Radlader 972M – setzen und eine erste Proberunde drehen konnte, behindertengerecht umgebaut mit einem Lift und dem digitalen Fahr- und Lenksystem Space-Drive II ausgerüstet.

Seit einem schweren Verkehrsunfall im Dezember 2015 ist der 45-jährige Elsässer auf einen Rollstuhl angewiesen. Nachdem sich sein Gesundheitszustand verbesserte, reifte schnell der Wunsch wieder seiner angestammten Tätigkeit nachzugehen. „Ich will wieder arbeiten gehen.“ Seit über 20 Jahren ist Spitz im Straßenbau tätig, fuhr auf Baustellen große Fahrzeuge. Nach seinem Unfall ist dies aufgrund Bedingungen, wie unwegsamen Gelände oder dem fehlenden Zugang zu barrierefreien Sanitäreinrichtungen schwierig. Dass er in Zukunft einer anderen Beschäftigung oder gar einem Bürojob nachgehen muss, konnte er sich nicht vorstellen. „Ich bin mit Baumaschinen aufgewachsen, schon mein Vater war auf dem Bau tätig“, berichtet er.

Mit einem anderen Job wäre er nicht glücklich

„Rafael Spitz hängt am Bau, besonders an der Arbeit mit den entsprechenden Baumaschinen“ sagt Andreas Ruf , Geschäftsführer der Johann Joos Tief- und Straßenbauunternehmung GmbH & Co KG in Hartheim. „Mit einer anderen Tätigkeit wäre er nicht glücklich.“ Deshalb war für den Unternehmer klar, die technischen Möglichkeiten zu nutzen, um seinen Mitarbeiter wieder einen vollwertigen Arbeitsplatz in diesem Bereich bieten zu können.

Mit dem Lift ins Fahrzeug

Der CAT-Radlader 972M mit einem Einsatzgewicht von 25 Tonnen und 315 PS (232 KW) und einem Löffelinhalt von bis zu zehn Kubikmetern wurde von den Tüftlern der Paravan GmbH in Aichelau individuell und behindertengerecht umgebaut. Mit seinem Rollstuhl kann Spitz an sein Arbeitsgerät heranfahren. Über einen Lift gelangt er in sein Fahrzeug. Auch der Rollstuhl wird mit verladen. Vor dem Führerhaus wurde eine entsprechende Halterung angebracht. „Das war eine wichtige Vorgabe der Berufsgenossenschaft “, erklärt Maurice Möritz von der Paravan GmbH und zuständig für die technische Beratung, „damit Rafael Spitz mit dem Fahrzeug direkt umsetzen und das Fahrzeug auch wieder selbständig verlassen kann.“ Zusätzlich wurde eine Standheizung montiert. Aufgrund seines Beschwerdebildes ist dies nach den Vorgaben der Berufsgenossenschaft zwingend notwendig.

Gas und Bremse mit der Hand steuern

„Das war kein alltäglicher Umbau“, berichtet Paravan-Betriebsleiter Lothar Enderle. Dabei ging es nicht nur um die ungewöhnliche Größe des Fahrzeuges, sondern vor allem um die Komplexibilität des Fahrzeuges. „Die Lösung wurde ganz individuell erarbeitet“, sagt er, „feinste Ingenieur- und Technikerkunst.“ Fahren kann Spitz in Zukunft – Dank des digitalen Paravan-Fahr- und Lenksystems „Space Drive“ – über ein zusätzliches Bedienelement für Gas und Bremse, direkt am linken Steuergriff für die Lenkung installiert. Eine Herausforderung für die schwäbischen Tüftler, da bereits auf beiden Seiten joystickartige Bedienelemente vorhanden sind. Über die Paravan-Steuerung kann das System jederzeit auf „Normalbetrieb“ umgeschaltet und so von jedem anderen Fahrer benutzt werden.

Der erste Sonderumbau dieser Art

„Das ist absolut kein Alltagsgeschäft“, sagt Thomas Lift, Serviceleiter Niederlassung Freiburg der Zeppelin Baumaschinen GmbH. „Für uns ist es das erste Projekt eines Sonderumbaus für bewegungseingeschränkte Menschen.“ Mit Hilfe der Berufsgenossenschaft Bau wurde mit Paravan ein Umrüster gefunden, der diese hoch spezialisierte Aufgabe lösen konnte. Dass der umzubauende CAT Radlader 972M bereits in Serie nicht mit einem Lenkrad, sondern mit einer zertifizierten Joysticklenkung ausgerüstet war und serienmäßig über eine automatische Türöffnung per Knopfdruck verfügte, erwies sich als Vorteil für die technische Umsetzung. „Die Zusammenarbeit während des Umbaus lief reibungslos und auf hohem fachlichen Niveau“, lobt Lift. „Unser Kunde und dessen bewegungseingeschränkter Fahrer waren permanent in Planung und Ausführung eingebunden.“

Fachkräftemangel lindern

„Es war schon ein komisches Gefühl“, erinnert sich Spitz, als er in Aichelau das erste Mal wieder auf dem Radlader saß, aber auch ein ganz tolles, wieder fahren zu können. Ab Ende Juli/ Anfang August wird er wieder arbeiten können. „Am Anfang werde ich noch etwas üben müssen“, sagt er. „Herr Spitz, nehmen Sie sich Zeit“, hat sein Chef, Andreas Ruf, zu ihm gesagt. Für ihn ist es wichtig, dass erfahrene Fachkräfte mit gesundheitlichen Einschränkungen wieder einen adäquaten Arbeitsplatz erhalten. Und er denkt schon weiter: Die Wahl fiel auf eine junge Maschine aus dem Bestand, um eine möglichst lange Nutzungsdauer zu erzielen, bis die nächste Maschine erneut für Rafael Spitz umgebaut werden wird. „Die Unternehmen können auf diese Weise den derzeitigen Fachkräftemangel lindern“, ergänzt Thomas Lift.

Nach einer Eingewöhnungszeit möchte Rafael Spitz wieder voll arbeiten. Sein neues Arbeitsgebiet wird das firmeneigene Kieswerk sein.