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Kommerz

Sankt Nikolaus zwischen Kult und Kommerz

Tettnang / Lesedauer: 3 min

Werner Mezger verfolgt den Weg vom verehrten Heiligen zur albern verkitschten Figur
Veröffentlicht:23.11.2014, 16:09

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Auf Einladung der Kirchengemeinde St. Gallus und der Kolpingsfamilie Tettnang hat der bekannte Volkskundler Werner Mezger am Freitagabend in der Volksbank Tettnang über „ Sankt Nikolaus zwischen Kult und Klamauk“ gesprochen.

Der Professor an der Universität Freiburg ist vielen vom Fernsehen als Kommentator der Fasnet bekannt, Kolping organisiert in Tettnang seit fünfzig Jahren die Nikolausbesuche. Die Nachfrage ist groß und damit auch das Interesse am Brauchtum um den heiligen Nikolaus.

Da wegen der Vorbereitung für den Basar in St. Gallus „in der Herberge kein Platz war“, hatte Pfarrer Rudolf Hagmann bei der Volksbank angeklopft und dankte dem Vorstand Jürgen Strohmeier, dass die Bank als „Raumspender“ eingetreten ist.

In seinem umfassenden und mit vielen Bildern illustrierten Vortrag ging Mezger zunächst auf die Gestalt ein, die noch heute mit Kindheitserinnerungen und Kinderglück eng verbunden sei, eine Gestalt von erstaunlicher Vitalität, die sich weitgehend von der einstigen Kristallisationsfigur der Frömmigkeit gelöst hat. „Den heiligen Nikolaus hat es so nie gegeben, Person und Gestalt sind zu trennen“, fing er an. Untrennbar sei in der Überlieferung der Bischof von Myra aus dem 4. Jahrhundert mit einem gleichnamigen Abt aus dem 6. Jahrhundert verschmolzen. Wenig sei über die Ausgangspersonen bekannt, umso mehr interessiere die „Biografie der Legende“. Der Kult habe sich in der griechischen Welt schnell verbreitet und von dort auf Rom ausgestrahlt. Besonders im Mittelalter wurde Nikolaus zu einem überaus beliebten Heiligen. Zahlreiche abenteuerliche Wunderberichte machten ihn zum Schutzpatron für über dreißig verschiedene Nationen und Personengruppen, darunter Seefahrer und Bäcker, Juristen und Pfandleiher, Diebe und Prostituierte und verschiedenste Handwerker. Der Referent zeigte die ursprüngliche Kirche von Myra im heutigen Kleinasien, sprach von der Überführung nach Bari und dem lange währenden Streit zwischen Bari und Venedig, wer nun die echten Gebeine beherberge. Er zeigte die ersten Darstellungen auf Fresken bis zu herrlichen Bildern aus der Zeit der Gotik und Spätgotik, vor allem aus dem Alpenraum. An den beigegebenen Attributen wie drei goldenen Kugeln oder drei Knaben im Pökelfass zeige sich die Legendenbildung um die ihm zugeschriebenen Wunder. Auch der Bodenseeraum wurde erwähnt, so der Nikolaus im herrlichen Schnitzaltar des Überlinger Münsters. Mezger verfolgte die Brauchentwicklung zum Gabenbringer und „himmlischen Hilfspädagogen“. Schon um 1900 wurde ihm die Ehre von Weihnachtskarten zuteil. Das Aussehen näherte sich allmählich dem des heute in der Weihnachtszeit allgegenwärtigen Weihnachtsmanns, der rein auf Kommerz ausgerichtet ist und seltsame Blüten treibt. Mezger berichtete über ausgeprägtes Brauchtum aus dem Alpenraum, aus dem Schwarzwald und über die Verbindungen zur Fasnet.

„Es war atemberaubend für mich“, kommentierte Pfarrer Hagmann und sprach wohl allen Zuhörern aus dem Herzen. Jedenfalls werde Kolping weiterhin den Nikolaus als unverzichtbares Bild für Güte und Menschlichkeit in die Stadt schicken.