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Feuerstuhl

Showtime für die Feuerstühle

Panorama / Lesedauer: 5 min

Sturgis in South Dakota ist jedes Jahr Schauplatz des größten Harley-Davidson-Treffens der Welt
Veröffentlicht:02.08.2013, 15:30

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Die Szenerie ist ziemlich bizarr: Aus einer kanonenartigen Maschine schießt ein Feuerstrahl in einen Blechhaufen, der aus übereinandergeschichteten Motorrädern besteht. Was sich da abspielt, ist das traditionelle Verbrennen japanischer Bikes, eine Lektion für „Riceburner“, Reisbrenner, wie Kawasaki, Yamaha & Co despektierlich genannt werden.

Die haben hier, mit Verlaub, in Sturgis auch nichts verloren. Denn in diesem 6000-Einwohner-Ort im US-Bundesstaat South Dakota dreht sich beim größten Harley-Davidson-Treffen der Welt alles um die amerikanische Kultmarke. Bis zu einer halben Millionen Harley-Freaks aus aller Welt kommen jeweils Anfang August, in diesem Jahr vom 5. bis 11., zu diesem einzigartigen Spektakel zusammen. Sie treten mit ihren Maschinen oft lange Reisen an, auch von Übersee, um bei diesem Klassiker dabei zu sein.

Internationale Kontakte

Tag drei auf dem Campingplatz „Buffalo Chip“, dem größten und am meisten angesagten der vielen Campgrounds: Der bärtige Typ neben uns grübelt über unser deutsches Nummernschild nach „What does that D-stuff mean?“. Das stehe für Deutschland, Germany , klären wir ihn auf. Er schüttelt nur den Kopf und meint „What a hell of a ride!“. Ob ihm klar ist, dass zwischen Germany und Amerika ein ziemlich großer Ozean liegt? Unsere Nachbarn zur Linken wissen das sehr wohl. Es sind Markus und Fabian, zwei Brüder aus Oberösterreich. Ihr Vater hat die beiden Studenten zum Jobben in die US-Dependance der familieneigenen Netzfabrik geschickt – eine gute Gelegenheit, die Harleys auf die weite Reise mitzunehmen und nach dem Job das berühmte Harley-Treffen in Sturgis zu besuchen. Fabian hat seine Maschine vom Typ Dyna Fat Bob auf Hochglanz poliert. Den Tank ziert ein Airbrush-Kunstwerk, das ihm tags darauf bei einem der vielen Schönheitswettbewerben aufs Siegertreppchen verhelfen wird.

In diesem Jahr findet die Sturgis Rally bereits zum 73. Mal statt. Unglaublich, was aus dem beschaulichen Dorffest von einst geworden ist, das im August 1938 vom „Jackpine Gypsies“ Motorradclub unter dem Namen „Black Hills Classic“ mit Motorradrennen und einer Stuntshow auf die Beine gestellt worden ist und gerade mal zwei Dutzend Teilnehmer angelockt hat.

Egal, aus welcher Richtung man anreist: Heute nimmt bereits einige 100 Kilometer vor Sturgis die Harley-Dichte enorme Dimensionen an. An jedem Stopp scharen sich Biker zusammen und machen erste Bekanntschaften. Woher kommst du? Immer ein dankbarer Aufhänger für einen Smalltalk. Viele Familien und Cliquen reisen mit dem Wohnmobil an und steigen erst einige hundert Meilen vor Sturgis aufs Motorrad um.

Keine Spur von Chaos

Die Einfahrt nach Sturgis ist Wahnsinn pur! Der satte, unnachahmliche Sound aus unzähligen ungedämpften Monster-Auspuffen (genannt Drag Pipes) erfüllt die Luft. Unser erster Weg führt zur Main Street im Herzen von Sturgis, wo Tausende von Harleys in Viererreihen parken, Bike an Bike, manche bis zur Unkenntlichkeit aufgemotzt. Dort entdecken wir ein bekanntes Gesicht: Schauspieler Wolfgang Fierek mit seinen Freunden und einem Kamerateam. Die schmalen Gassen der Innenstadt von Sturgis dienen als Flaniermeile. Es ist ein Muss, mit seiner Maschine wenigstens einmal im Schritttempo die Main Street auf- und abzufahren. Für diesen Auftritt ist den Bikern kein Outfit zu schrill. Frauen, auch die ganz fülligen, haben sich in abenteuerliche Netz-Overalls gezwängt oder begnügen sich mit einem Tanga. Schwere Jungs mit oder ohne Tätowierungen, Bärten oder Bierbäuchen zeigen viel Leder. Zumindest die Glatzen haben eines gemein – einen kapitalen Sonnenbrand. Wie in vielen anderen US-Bundesstaaten besteht auch in South Dakota für Fahrer über 18 Jahre keine Helmpflicht. Und jeder weiß: Um hier aufzufallen, bedarf es einer enormen Portion Kreativität und Exhibitionismus.

Erstaunlich, wie gut der Ort Sturgis mit dem Riesenansturm fertig wird. Natürlich ist es an jedem Fleck rappelvoll, doch ist keine Spur von Chaos zu sehen oder zu spüren. Vermutlich gibt es hier oder da eine Rauferei, doch miterlebt haben wir nichts dergleichen. Und wenn es Zoff geben sollte, ist ein großes Polizeiaufgebot zur Stelle. Wobei sich die Cops gut gelaunt unters Volk mischen und an dem Spektakel einen Riesenspaß zu haben scheinen. Viele Einwohner stellen ihre Vorgärten für ein paar Dollars als Zeltplatz mit Duschgelegenheit und Frühstück zur Verfügung. Auf den großen Campgrounds treten jeden Abend Top-Rockbands auf. Statt Applaus röhren die Harleys. Dieses Jahr werden unter anderem die Sturgis-Stammgäste Kid Rock und ZZ Top erwartet.

Eine Tour ins Gelände lohnt

Tagsüber geht es auf große Fahrt. Die Gegend um Sturgis ist ein Traum für jeden Motorradfahrer. Inmitten des Badlands-Nationalparks mit seinen endlosen Weiten und wild lebenden Büffelherden wurde 1990 der Film „Der mit dem Wolf tanzt“ mit Kevin Kostner gedreht. In nur einer guten Stunde Fahrzeit erreicht man Mount Rushmore mit seinen vier in den Fels gehauenen Präsidentenköpfen. Zurück geht es auf einer breiten Serpentinenstraße durch die bizarre Canyon-Landschaft der Black Hills.

Nachmittags schlendern wir von Stand zu Stand und staunen, was ein Hardcore-Harleyfahrer so alles zu seinem Glück braucht. Alle wichtigen Zubehör-Hersteller sind mit Ständen und aufwendigen Showrooms vertreten. Spärlich bekleidete Girls verkaufen Motorrad-Pflegeprodukte, Shirts und andere Accessoires. Spannung versprechen die vielen verschiedenen Wettbewerbe, etwa das Hill Climbing, Beschleunigungsrennen oder alle möglichen Beauty Contests in unzähligen Kategorien. Wer’s etwas deftiger mag, hat an Frauen-Schlamm-Ringkämpfen oder den unvermeidlichen Wet-T-Shirt-Contests, Bikini- und Miss-Sturgis-Wettbewerben bestimmt seine helle Freude. Im Rennen um den geschmacklosesten Event dürfte das „Zwergen-Bowling“ ganz weit vorne liegen, bei dem statt Kugeln kleinwüchsige Menschen gerollt werden.