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Juniorpirat geht mit Juden-Äußerung unter

Heidenheim / Lesedauer: 4 min

Heidenheims Kreisparteichef twittert – und die Wellen der Empörung schlagen hoch
Veröffentlicht:08.02.2012, 19:00

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Mit einem Satz beim Netz-Blogdienst Twitter hat der bis dato kaum bekannte Kevin Barth aus Heidenheim einen Internet-Sturm ausgelöst.

Diesen Satz (hier, wie nachfolgend alle Interneteinträge in Originalorthografie): „Ich bin also antisemit weil ich die israelische politik und den juden an sich unsympathisch finde weil er einen sinnlosen krieg führt“, hatte der 22-Jährige, der vor vier Tagen zum Chef des Kreisverbands Heidenheim gewählt worden war, am 23. Januar fast unbeachtet in die Welt getwittert.

Doch mit dem Netz können sich auch ältere Sünden böse rächen – insbesondere bei einer Partei, die sich selbst eine besonders offene Kommunikationskultur verordnet hat. „Wir stellen hiermit nachdrücklich klar, dass Antisemitismus, Rassismus und sonstiges radikales Gedankengut weder in der Piratenparte noch generell in einer Demokratie einen Platz haben“, sah sich die Landespartei am Dienstagmorgen um 0.56 Uhr zur Stellungnahme genötigt. Am Abend zuvor war Kevin Barth nach nur zwei Tagen als Kreisverbandschef zurückgetreten – was er kurz zuvor noch ausgeschlossen hatte.

Barth hatte viel versucht, den Fehltritt ungeschehen zu machen. Er löschte zuerst den Eintrag vom 23. Januar, und entschuldigte sich am Dienstag fast minütlich bei Twitter. „Ich möchte mich für meine Wortwahl entschuldigen.“, „Ich habe totalen Mist geschrieben. Das tut mir leid.“, „Sorry, habe mist gebaut! Großen mist!“, „Ich bin an ein Thema ohne fundiertes Wissen.“ schrieb Barth – und machte alles nur schlimmer. Die gerufenen Internetgeister wurde er nicht mehr los. Der Spruch über unsympathische Juden war längst weiterkopiert und -kritisiert. Hatte Barths Seite vorher etwa vier Besucher am Tag, waren es gestern 3000, erzählt er. Und kaum einer gab dem Industriemechaniker Nettes mit.

Sogar ein Parteiausschlussverfahren steht nun im Raum, denn der Vorfall weckt ungute Erinnerungen. 2009 sägte der Bundesvorstand der Piraten Parteirichter Bodo Thiesen ab – der vorher als Holocaust-Relativierer aufgefallen war. Die Frage, ob die junge Partei von Rechten unterwandert wird, schwelt seit ihrer Gründung. Erst im Oktober trat Freisings Kreisverbands-Chef ab – er war zuvor NPD-Funktionär gewesen.

Der Verfassungsschutz in Baden-Württemberg gibt aber Entwarnung: „Wir sehen keinen Zusammenhang zwischen Rechtsextremismus und Piratenpartei“, sagt ein Sprecher.

Barth ist nicht der erste Politiker, der sich mit den neuen Kommunikationsmöglichkeiten im Internet verhebt: Das passiert selbst Profis. Viele twittern gern ihre Sicht der Dinge ungefiltert hinaus. Und während sie bei Interviews oft jedes Wort abwägen, geht es online oft markig zur Sache. Mit Folgen, wie bei CDU /CSU-Fraktionsgeschäftsführer Peter Altmaier, der mit „Wünsche mir, dass Christian seine Anwälte an die Leine legt und die Fragen/Antworten ins Netz stellt“ im Januar eine neue Wulff-Debatte lostrat. Oder Brandenburgs Landtagsabgeordneten Jürgen Maresch (Linke), der sich wunderte, dass andere den Facebook-Spruch „Danke Mama und Papa, dass ich kein Wessi bin“ nicht so lustig fanden wie er.

Die CDU-Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach erklärte auf Twitter ihren Abonnenten gar, dass die Nazis gar nicht rechts waren: „Die NAZIS waren eine linke Partei. Vergessen? NationalSOZIALISTISCHE deutsche Arbeiterpartei“ notierte Steinbach am 1. Februar. Wobei sie den erwarteten Entrüstungssturm zufrieden registrierte: Am Tag drauf zwitscherte sie nach heftiger Debatte: „Interessant, alle Linken sind aus ihren Löchern gekommen. Provokation hat sich gelohnt!!!!!“

Ob sich die Provokationen auf lange Sicht lohnen, wird in den Parteizentralen inzwischen bezweifelt. Bei aller Begeisterung über den schnellen Draht zum Publikum wächst Unbehagen. Laut Berliner Zeitung gibt es in der Unionsfraktion Kritik, dass Abgeordnete zu viel twittern.

Barth hat die Provokation nichts Gutes gebracht. Zunächst hatte der 22-Jährige den Online-Aufruhr nicht mal mitbekommen, denn er renovierte die Wohnung – und war nicht im Netz. Die Resonanz hat den Polit-Amateur, der gestern seine erste Presseanfrage beantwortete, plötzlich überrollt: „Mittlerweile werde nicht nur ich angegangen, sondern auch meine Familie. Ich selbst kann mit der Kritik umgehen, doch das geht mir zu weit. Da verstehe ich die Twitter-Welt nicht“, sagt er. „Ich wollte eigentlich nicht den Juden an sich pauschalisieren, sondern mich mit Israels Außenpolitik und den radikalen Elementen dort befassen. Ich bin kein Antisemit – wir Piraten haben mit Marina Weisband doch sogar eine jüdische Bundesgeschäftsführerin“, rechtfertigt er sich.

Warum der Spruch so nach hinten losgegangen ist, versteht er immer noch nicht ganz – und erklärt seinen Abtritt wie ein Polit-Urgestein. „Ich bin zurückgetreten, um vor der Wahl im Saarland Schaden von der Partei abzuwenden“. Noch immer wolle er sich bei den Piraten einbringen.

Ob das was wird, ist offen. Denn Barth hat im Twitter-Blog nicht nur zu den Juden markige Worte gefunden. Dem Bundespräsidenten Christian Wulff wünschte er böse Dinge, die wir hier nicht abdrucken wollen.

Ob er so etwas nochmal ins Netz stellen würde? Wohl nicht, denn bei Barth dämmert auch Selbsterkenntnis: „Es ist wohl das alte Erst-Sprechen-dann-Denken-Thema“, sagt er.