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Münzhof

„Wenn man alles sagen könnte, was man sagen könnte...“

Langenargen / Lesedauer: 3 min

Georg Kreislers „Heute Abend: Lola Blau“ ist heute aktueller denn je
Veröffentlicht:27.09.2019, 18:17

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Mit Georg Kreislers Ein-Frau-Musical „Heute Abend: Lola Blau“ hat die aus Friedrichshafen stammende, mit Rafael Wagner in Wien lebende Sängerin und Schauspielerin Selina Ströbele am Mittwochabend das Publikum im vollen Münzhof vom ersten Moment an gepackt.

Seit seiner Uraufführung 1971 hat das an die NS-Zeit anknüpfende Musical leider nichts von seiner Aktualität verloren. Wie ein Faustschlag reißt die letzte Szene die Besucher aus dem schönen Traum vom Happy-End. Lolas Verlobter kann nach Jahren der Emigration nicht zum sehnlichst erwarteten Treffen mit der nach Wien Zurückgekehrten kommen, weil für ihn eine handfeste Auseinandersetzung mit Neonazis, die ihm „Judensau“ nachgerufen haben, auf der Polizeiwache geendet hat. Die rührende Liebes- und Lebensgeschichte der fiktiven jüdischen Kabarettsängerin Lola Blau geht zunehmend mehr unter die Haut, weil sie an Aktualität noch gewonnen hat. Doch auch ohne das hat Georg Kreisler ein Werk geschaffen, das berührt, anrührt.

Fröhlich sitzt Lola anfangs im schäbigen Wiener Zimmer vor dem Spiegel, neben sich den gepackten Koffer. Ihr erstes Engagement am Landestheater Linz steht kurz bevor: „Im Theater ist was los, mein Talent ist riesengroß“, singt sie und träumt von Hollywood. Doch da brechen die Schicksalsschläge über sie herein: Der Verlobte drängt zur sofortigen Flucht, das Theater sagt ab, der Vermieter kündigt: „In einer Stunde sand’s draußen!“ Aus dem Radio tönt „Die Fahne hoch, SA marschiert...“ Selina Ströbele hat nicht nur eine sehr wandlungsfähige Stimme, ihr Gesicht spiegelt feinste Regungen, wird zur eigentlichen Bühne. Blitzschnell wird aus von innen kommender Freude Angst. Die Ungewissheit, das kaum Fassbare macht sich für Momente breit, wird sofort überspielt. Die junge Frau zeigt deutlich, dass sie nicht glauben kann und will, dass die ganze Umwelt von einem Moment zum anderen feindselig, kalt geworden ist. Und doch muss sie Wien verlassen, landet erst in der Schweiz: „Man lächelt, weil man grad nicht weinen kann“, wird ausgewiesen. Eine Einladung in die USA weckt Hoffnungen, sie tritt in Nachtclubs auf: „Sex is a wonderful habit.“ Sie trinkt, schluckt Tabletten. Als ihr Verlobter sie nach dem Krieg nach Wien zurückruft, muss sie dort erleben, dass sich in den Köpfen eigentlich nichts geändert hat. „Wien bleibt Wien“, singt sie sarkastisch und meint damit nicht die sprichwörtliche Gemütlichkeit. Und das gilt nicht nur für Wien.

Selina Ströbele ist authentisch, ob sie vor liebevoller Erwartung leuchtet, ob sie bei Auftritten vor Temperament sprüht, ob sie zur Flasche greift und zerstört am Boden liegt, vergeblich ist Lolas Flucht in den Alkohol. Und Ströbele fesselt mit ihren Chansons, als schüchternes Wiener Madl wie als Cabaret-Star.

Ein absolut adäquater Partner ist Rafael Wagner am Keyboard. Er musiziert, ahmt Geräusche nach wie die überm Meer fliegenden Möwen, er spricht überleitende Texte, spielt mit als Vermieter, als Conferencier. Ein bis in feinste Details zusammenpassendes Team, so routiniert, dass man alles spürt, aber nicht die Routine.