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Krisenherd

Entwicklungspolitik ist „meine Berufung“

Lindau / Lesedauer: 4 min

Gerd Müller kämpft gegen Hunger und Flüchtlingselend – Das Provinz-Image hat er längst abgestreift
Veröffentlicht:30.03.2014, 15:45

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Indien, Äthiopien , Jordanien, Syrien und jetzt der afrikanische Krisenherd Südsudan: Gerd Müller hat in den ersten hundert Tagen seiner Amtszeit als Entwicklungsminister ein klares Zeichen gesetzt: Der 58-jährige Oberallgäuer will die Brennpunkte rund um den Globus nicht anhand nackter Zahlen, sondern aus erster Hand beurteilen. „Ich möchte nicht zum Reise-Weltmeister werden“, scherzt er im Gespräch mit unserer Zeitung. Doch der Eindruck vor Ort, der Kontakt zu den Menschen, sei für ihn ungemein wichtig.

Die Aufgabe als Landwirtschafts-Staatssekretär habe er acht Jahre lang „ausgesprochen gerne“ absolviert, sagt Müller im Rückblick. Doch erst jetzt, nach dem für viele überraschenden Wechsel an die Spitze des Entwicklungsministeriums, ist der CSU-Politiker am Ziel seiner Träume angelangt: „Das ist meine Berufung“, sagt Müller strahlend. Und ergänzt im Stakkato: „Ein spannendes Ministerium, motivierte Mitarbeiter, großartige Aufgaben – es geht mir sehr gut!“

Manch einer hatte den 58-Jährigen im Bundestag anfangs als Provinzler abgetan. Inzwischen aber erntet der Allgäuer von vielen Seiten Anerkennung, gilt nicht nur wegen seines Engagements für den Klimaschutz als „grüner Schwarzer“ am Kabinettstisch. Ein Prädikat, das auch seiner Antrittsrede zu verdanken ist. Darin hatte Müller angesichts globaler ökologischer Krisen Grenzen für den Welthandel gefordert. Und er stellte den konsumorientierten Lebensstil im eigenen Land in Frage: „Der Wohlstand in Deutschland muss nicht ab-, sondern umgebaut werden“, betonte er – ein Paukenschlag.

Weshalb ist dem seit Jugendtagen politisch ambitionierten Schwaben das nachhaltige Wirtschaften so wichtig? Müller verweist auf das Ernährungsdilemma unserer Zeit: „Einer Milliarde Menschen mit Übergewicht steht eine Milliarde mit Unterernährung gegenüber. Das müssen wir ändern!“ Täglich verhungern nach seiner Schilderung weltweit 25000 Menschen, obwohl die Erde acht bis zehn Milliarden ernähren könne. Müller hält dagegen mit dem Streben nach Gerechtigkeit – und mit einem Leitspruch, den er aus der kirchlichen Jugendarbeit heraus verinnerlicht habe: „Der Starke hilft dem Schwachen.“

Hehre Worte, doch wie will sein Ministerium gegensteuern? Müller hat konkrete Pläne: Er will in den nächsten zwei Jahren weltweit zehn „grüne Zentren“ aufbauen, die in den jeweiligen Ländern Impulse im Bereich von Ernährungswirtschaft und Agrarforschung setzen.

Stolze vier Milliarden aus dem rund 8,3 Milliarden Euro schweren Etat (der größte in der Geschichte des Ministeriums) will Müller binnen vier Jahren für den Kampf gegen den Hunger bereitstellen. Sein Ziel: Nachhaltigere Landwirtschaft soll zur Verdopplung der Produktivität führen. „Die Äcker in Äthiopien sind dafür ein gutes Beispiel. Bislang wird dort mit Ochse und Holzpflug gearbeitet“, berichtet er von seinen Erlebnissen. Ein Traktor aus den 60er Jahren und modernes Saatgut genügten bereits, um die Erträge massiv zu erhöhen.

Flankierend setzt Müller auf Partnerschaften, etwa mit Hochschulen. Den Austausch von 1000 Studenten peilt er an. In Neu-Ulm gebe es bereits erste Aktivitäten. Kempten werde möglicherweise folgen und im Bereich Tourismus Impulse für eine neue Wertschöpfung geben. „Denn Afrika ist nicht nur Wüste, Afrika hat Potenzial in viele Richtungen.“

Doch auch die Flüchtlingsproblematik macht dem 58-Jährigen große Sorge. In Syrien und Jordanien , wo Müller Soforthilfen zusagte, ebenso wie im Mittelmeerraum. „Wir haben nicht nur ein Lampedusa“, verweist er auf den enormen Zündstoff, egal ob in Ägypten oder Marokko. Dort sei Deutschland besonders gefordert, mit seiner gewichtigen Stimme für mehr Stabilität und Lebensperspektiven zu sorgen.

Dies gelte auch für die Ukraine, die sich laut Müller „in einer entscheidenden Phase“ befindet. „Sich jetzt wegen des Verhaltens Putins zurückzuziehen, wäre ein Riesenfehler“, mahnt er. „Was dort geschieht, hat Auswirkungen auf ganz Europa. Und man darf nicht vergessen: Die Ukraine liegt vor unserer Haustüre.“ Von Kämpfen dürfe sich eine engagierte Entwicklungspolitik nicht drausbringen lassen.