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Landtag

„Wir mussten uns aneinander gewöhnen“

Friedrichshafen / Lesedauer: 6 min

Martin Hahn, grüner Landtagsabgeordneter vom Bodensee, blickt auf 2016 zurück
Veröffentlicht:30.12.2016, 09:32

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Seit 2011 vertritt der Grünen-Politiker Martin Hahn die Belange des Bodenseekreises im Landtag. Schaffte er bei seiner ersten Wahl noch über die Zweitstimmen den Sprung nach Stuttgart, holte er 2016 sogar das Direktmandat. Im Interview mit Gunnar M. Flotow spricht der 52-jährige Landwirt aus Überlingen über den Koalitionspartner CDU, die „neue“ Debattenkultur im Landtag – und die OB-Wahl in Überlingen.

Herr Hahn , seit Mai haben Sie einen neuen Koalitionspartner. Wie funktioniert’s denn so mit den Kollegen von der CDU?

Ich muss gestehen, dass wir eine gewisse Zeit gebraucht haben, um uns aneinander zu gewöhnen. Aus der Tradition der Partei heraus sagt die CDU grundsätzlich, dass alles gut ist in unserem Land. Wir Grünen hingegen sehen alles problemorientiert. Wenn wir uns nun in den Arbeitskreisen begegnen, lobt der CDUler zunächst, was alles gut ist. Wir Grünen kommen ziemlich schnell auf den Punkt und sprechen die kritischen Dinge an. Wir mussten uns in der Kommunikation schon deutlich umstellen im Vergleich zum früheren Koalitionspartner SPD. Was die Zusammenarbeit angeht, halte ich es mit Winfried Kretschmann. Er sagt: Wichtig für das Gelingen einer Koalition ist, dass wir uns in den Markenkernen stehen lassen, dass wir uns nicht gegenseitig runterreduzieren. Es muss auch von außen erkennbar sein, welche Partei welche Kompetenzen hat.

Es gibt nicht nur eine neue Regierungskoalition, sondern auch eine neue Partei im Landtag. Wie hat sich die parlamentarische Arbeit durch den Einzug der AfD geändert?

Ich muss schon sagen, dass es dieses Jahr Phasen gab, in denen unsere Abgeordnetenbezüge eher Schmerzensgeld waren. Früher hatten wir vier Parteien, die bei einer Debatte gesprochen haben. Heuer waren es zeitweise vier Parteien plus zwei Parteien – die AfD plus die abgespaltene AfD – plus Gedeon. Wir hatten dadurch eine Verhältnisverschiebung dahingehend, dass 50 Prozent der Debatte quasi von der AfD und ihren Ablegern bestritten wurden – das war sehr mühsam und ziemlich zum Abgewöhnen. Teilweise kamen von den AfD-Rednern haarsträubende Dinge. Ein Beispiel: Es wird eigentlich über das Thema Müll diskutiert, dann wird von der AfD der Bogen zu Asyl und Flüchtlinge hin gespannt. Wir anderen Parteien haben leider den Fehler gemacht, dass wir der AfD oft zu schnell ins Wort gefallen sind. Zwischenrufe erzeugen natürlich ein ungutes Klima. Es ist uns nicht immer gelungen, die Debattenkultur zu halten.

Wie sind Sie denn persönlich mit dem ersten halben Jahr der neuen Legislative zufrieden? Gibt es vielleicht so etwas wie ein persönliches Erfolgserlebnis?

Als Abgeordneter sind Sie vor allem im Kollektiv erfolgreich. Ich persönlich bin zufrieden, dass wir einige neue Initiativen auf den Weg gebracht haben, zum Beispiel die Veränderung des Agrarförderprogramms oder die Wohnraumförderrichtlinien, die vor allem im unteren Wohnraumsegment Entlastung bringen werden.

Im September 2017 ist Bundestagswahl. Sie haben jetzt Erfahrungen mit Grün-Schwarz gemacht. Wäre diese Koalition für Sie ein Modell für den Bund oder würden Sie Rot-Rot-Grün bevorzugen, was theoretisch derzeit auch möglich erscheint?

Wenn ich zwischen diesen beiden Möglichkeiten wählen müsste, würde ich mich für Schwarz-Grün entscheiden, weil mir diese Konstellation etwas tragfähiger erscheint. Trotzdem hoffe ich, dass nach der Bundestagswahl auch andere Konstellationen und Koalitionen möglich sind.

Die Grünen waren zuletzt sehr erfolgreich am Bodensee . Denkt die Partei eigentlich an eine Verbesserungen der Infrastruktur, um den Erfolg zu halten? Zum Beispiel an ein Parteibüro in der Kreishauptstadt Friedrichshafen?

Ein Parteibüro in Friedrichshafen wäre für uns als Partei mit eher kleiner Mitgliederzahl sehr teuer und aufwendig. Einen Raum mit einem Mitarbeiter können wir uns nicht leisten. Wir haben aber ein Wahlkreisbüro, das gut ausgestattet ist ...

... in Überlingen.

Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Die Leute, die etwas von mir wollen, sind mit Smartphones unterwegs oder erreichen mich auch per E-Mail. Beim Umgang mit dieser Korrespondenz und beim Abarbeiten sind wir unheimlich gut. Alles, was aus dem Wahlkreis kommt, steht ganz oben auf der Liste. Es ist unser Anspruch, einen sehr guten Service für die Bürgerinnen und Bürger zu bieten. Und das tun wir auch für Friedrichshafen. Ich gebe aber zu: Ein Grund für das Büro in Überlingen ist auch, dass ich dort in der Nähe wohne. Ab und zu muss ich halt in die Post schauen oder mal etwas unterschreiben.

Ein Lieblingsthema der Grünen ist die Bodenseegürtelbahn. Wie sieht’s denn im Moment aus?

Ich kann unserem Landrat und unserer Kreisverwaltung nur ein Kompliment dafür machen, wie sie die Dinge vorangetrieben haben. Inzwischen liegt dem Nahverkehrsausschuss ein Gutachten vor, dessen Inhalt ich noch nicht kenne. Wir peilen einen Standard an, der einen schnellen und zwei langsame Züge pro Stunde in jede Richtung ermöglicht. Dieser Standard wäre mit Baumaßnahmen verbunden. Aber im Vergleich zu dem Geld, das wir in den Straßenbau stecken, wäre diese Investition überschaubar und würde für eine hohe Entlastung sorgen. Trotz der miserablen Ausstattung der Verbindung und unpünktlichen Zügen steigt die Nachfrage – das zeigt mir das Potenzial, das in der Bodenseegürtelbahn steckt. Wichtig ist: Der Druck aus der Region muss hoch bleiben.

Bleiben wir auf der Schiene. Die Ankündigung der Bahn, neue Mehrkosten für S21 vom Land einklagen zu wollen, hat die Debatte um das Großprojekt wieder befeuert. Wie ist Ihre Meinung zu den Forderungen der Bahn?

Da ist ja von gewaltigen Summen die Rede. Der Kostendeckel (930 Millionen Euro; Anm. d. Red.) war eine sehr gute und kluge Entscheidung. Wenn es wirklich zu einer weiteren Kostenbeteiligung kommt, würde uns das im Haushalt alle Mittel und Investitionen für den Nahverkehr absaugen. Meine Meinung dazu: Nur unter Waffengewalt. Stuttgart 21 ist inzwischen in einem Stadium, in dem man nur noch hoffen kann, dass alles einigermaßen gut geht. Irgendwie müssen wir da jetzt durch.

Kommen wir wieder an den See zurück. Wie stehen Sie zu der Idee einiger Fischer, Felchenzuchtanlagen im Bodensee einzurichten?

Der Bodensee hat – landwirtschaftlich gesprochen – eine Nutzfläche von 536 Quadratkilometern. Diese große Fläche müsste auch aushalten, dass zwei bis drei Hektar für eine Aquakultur genutzt werden – natürlich unter strengen Genehmigungsauflagen. Medikamentierungen kommen für mich auf gar keinen Fall infrage. Wenn es jemanden gibt, der das ohne die negativen Begleiterscheinungen hinkriegt, sage ich: Lasst es uns ausprobieren.

Letzte Frage. Wie geht’s denn Ihrer Lebenspartnerin Sabine Becker, nachdem sie als Oberbürgermeisterin in Überlingen abgewählt wurde? Schmiedet sie schon neue Pläne?

Sie geht sehr gut damit um. Aber für neue Pläne ist es noch zu früh. Das Wahlergebnis war heftig. Ich habe die Lage auch anders eingeschätzt.