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Aussegnungshalle

Wenn am Grab die Familie fehlt

Friedrichshafen / Lesedauer: 5 min

Sozialbestattungen ermöglichen Armen und Menschen ohne Angehörige ein würdiges Begräbnis
Veröffentlicht:31.10.2013, 10:55

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Auf dem städtischen Friedhof in Friedrichshafen ist der Herbst die schönste Jahreszeit. Die Sonne hat den Nebel vertrieben, die Blätter schimmern golden. Die parkähnliche Anlage mit ihrem reichen Baumbestand spiegelt etwas von jenem Glanz der Vergänglichkeit wider, der sich erleichternd und tröstend auf Trauernde auswirkt. Besonders wenn sie aus der düsteren Aussegnungshalle heraustreten, deren beklemmende Atmosphäre nicht einmal das überlebensgroße Mosaik des Auferstandenen mildern kann.

Doch bei dieser Beerdigung steht kein trauernder Angehöriger am Grab. „Wir nehmen heute Abschied von Heinz-Dieter K. , einem Menschen, der lange Jahre in dieser Stadt gelebt hat und der jetzt im Hospiz gestorben ist“, leitet Bernd Strohmaier an diesem goldenen Oktobertag die Trauerfeier ein. Die Friedhofsverwaltung hatte den Sozialdiakon der katholischen Gesamtkirchengemeinde für die Beerdigung angefragt. Brüder, Schwestern, Frau, Kinder oder sonstige Angehörige waren nicht auffindbar gewesen.

Ob es eine Familie überhaupt gibt, daran zweifeln Weggefährten, die den 63-Jährigen aus einer Teestube kannten und ihn nun auf seinem letzten Weg begleiten. „Sie sind in Stellvertretung hier“, sagt der Diakon in seiner Ansprache vor einer etwa zehnköpfigen Gemeinde. Nur wenige tragen Schwarz. Es sei ein Werk der Barmherzigkeit, das er im Namen der Kirche an dem Verstorbenen vollziehe. Strohmaier fragt nicht nach der Konfession des Toten, wohl aber nach seiner Biografie. 1946 in Sachsen geboren, sei K. vor 20 oder 30 Jahren nach Friedrichshafen gekommen und war in einem Metall verarbeitenden Betrieb beschäftigt. Unter welchen Umständen er seine Stelle und dann seine Wohnung verlor, weiß niemand so genau. Auf jeden Fall landete er zuerst in einer Obdachlosenunterkunft, dann in einem kleinen Zimmer im Dachgeschoss einer Gastwirtschaft. Zuletzt lebte er von 480 Euro Rente im Monat. Die Miete von mehr als 300 Euro zahlte das Sozialamt.

Etwa zehn Sozialbestattungen wie im Falle Heinz-Dieter Ks. finden allein in Friedrichshafen pro Jahr statt. Wie viele es landesweit sind, können die Behörden nicht verlässlich sagen (siehe Kasten). Sie greifen aber immer dann, wenn entweder keine Angehörigen ausfindig gemacht werden können oder wenn diese so verarmt sind, dass ihnen die Bestattungskosten nicht zugemutet werden können, teilt das Sozialministerium mit. Hinter den blanken Fakten stecken bewegende Schicksale. Heinz-Dieter habe immer wieder von einer Tochter und von Enkeln erzählt, sagt Reinhard Bode, aber gesehen habe er die Verwandten nie. Bode ist der zweite Vorsitzende der Teestube, die von einem Verein betrieben wird. Die Einrichtung in Friedrichshafen ist Treffpunkt für hilfsbedürftige Menschen. Hier hat auch der verstorbene K. Reinhard Bode vom frühen Tod seiner Frau erzählt und davon, dass er seiner Tochter ein Medizinstudium finanziert habe. Jetzt sei sie Ärztin und habe mit ihrem Mann eine Praxis. Wie sehr sich K. in der Rolle des liebenden und sorgenden Vaters gesehen hat, erfuhr auch Annemarie Ammann. Der ehrenamtlichen Mitarbeiterin der Teestube geht das Bild nicht aus dem Sinn: Immer wieder habe er davon geschwärmt, wie er seine Tochter nach ihrer Geburt zum ersten Mal in den Händen gehalten und sie auf die Brust gelegt habe. Er wusste rührende Geschichten von seinen Enkeln, berichtete von abenteuerlichen Reisen in die Türkei, nach Libyen, Indien und in andere ferne Länder.

Nachdem Heinz-Dieter K. aber ebenso einsam starb, wie er die letzten Jahre gelebt hatte, weder Tochter, noch Enkel sich auf der Beerdigung zeigten, zweifeln alle daran, dass es die Familie wirklich gibt. „Er hat sich seine Welt zusammengebaut, wie er sie gerne gehabt hätte“, sagt Annemarie Ammann. Sie kennt die Schicksale der Menschen, die in die Teestube kommen und so den Kontakt zur Normalität aufrecht erhalten. „Ich war auch mal jemand“, lautet der Antrieb für manche Lebensgeschichte, die sie zu hören bekomme. Was stimmt und was erfunden ist, sei oft nicht zu unterscheiden.

Früher gab es anonyme Gräber

Für Heinz-Dieter habe der Tod am Ende seinen Schrecken verloren. „Er wusste, dass er bald sterben wird. Bevor er ins Hospiz kam, haben wir zusammen noch im Ailinger Hof sein Lieblingsgericht, Schnitzel mit Kartoffelsalat, gegessen“, sagt Bode. Und als ob er darauf gewartet hätte, sei er während seines letzten Besuchs gestorben. Weil er außer einem Chaos im Zimmer nichts hinterlassen hat, war die Kommune für die Bestattung zuständig. Früher wurden solche Verstorbenen in einem anonymen Gräberfeld beerdigt. Seit sieben Jahren bekommen sie in Friedrichshafen ein Urnengrab mit Namen, sagt die Friedhofsverwalterin Monika Kostros. Bis zu drei Urnen finden in einer Kammer der Urnenwand Platz. Dort bleibt die Asche 15 Jahre hinter einer Granitplatte und wird dann im Sockel in der Erde versenkt.

„Eine würdige Bestattung ist der letzte Liebesdienst, und ein Werk der Barmherzigkeit, das wir einem Menschen erweisen“, sagt Bernd Strohmaier in der Aussegnungshalle. In der Tiefe seines Lebens sei jeder mit Gott verbunden, ist der Diakon überzeugt. Er weiß sich darin mit Papst Franziskus verbunden, der von den Dienern der Kirche erwartet, dass sie „barmherzig sind, sich der Menschen annehmen, sie begleiten – wie der gute Samariter, der seinen Nächsten wäscht, reinigt, aufhebt.“

Mancherorts stehen ehrenamtliche Trauergäste am Grab. Mehr dazu:

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