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Herausforderungen

Wölfle: „2017 wird auf der Südbahn gebaut“

Friedrichshafen / Lesedauer: 8 min

Landrat Lothar Wölfle zu den Herausforderungen in 2017 – Viele Flüchtlinge, viele Wahlen und viel Verkehr
Veröffentlicht:05.01.2017, 18:12

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Was das neue Jahr bringt, weiß keiner. Doch eins ist für Landrat Lothar Wölfle so sicher wie das Amen in der Kirche: „2017 wird auf der Südbahn gebaut“. Ereignisse, Entwicklungen und Entscheidungen des zurückliegenden Jahres zu reflektieren, erweist sich aber gerade in diesen unsicheren Zeiten als nützlich. Zum Jahreswechsel haben viele Menschen diesen Rückblick ganz provat gewagt. Lothar Wölfle erinnert im Gespräch mit Anton Fuchsloch an die herausragenden Themen der Kreispolitik. Eine große Rolle spielten wieder die Flüchtlinge, aber auch die Gästekarte, die Verkehrspolitik, steigende Sozialausgaben und die Beteiligung am Regionalen Informations- und Technologiezentrum Ritz sind für den Landrat wichtige Eckpunkte.

2015 stand das Thema Asyl und die Unterbringung von Flüchtlingen ganz oben auf der Agenda. Sie haben ein neues Amt für Migration und Integration geschaffen. Wo liegen die neuen Herausforderungen und wie kann ein Amt diese bewältigen?

Vor einem Jahr ging es vor allem um eines: ein Dach über dem Kopf für die Ankommenden zu schaffen. In der Zwischenzeit reden wir viel mehr über Integration, Deutschkurse und Arbeitsmarktvermittlung. Ich kann niemand in eine Arbeit vermitteln, wenn der oder diejenige nicht deutsch kann. Unsere Kreisvolkshochschule bietet inzwischen Integrationskurse an, eine große Zahl Ehrenamtlicher lernt mit den Flüchtlingen Deutsch. Da haben wir Fortschritte gemacht. In das Amt für Migration und Integration ist die Ausländerbehörde integriert, sodass wir hier kurze Wege haben. Jüngstes Beispiel der Kooperation ist ANIA (Ankommen-Informieren-Arbeiten) eine gemeinsame Anlaufstelle mit der Bundesagentur für Arbeit und unserem Jobcenter, um kleineren und mittleren Betrieben unter die Arme zu greifen. Die Notunterkünfte konnten wir zum Jahresende 2016 alle auflösen. In den Gemeinschaftsunterkünften betreuen wir immer noch rund 1400 Menschen.

Wie lange bleiben sie dort und was kommt dann?

Die Leute bleiben bei uns in den Gemeinschaftunterkünften maximal zwei Jahre. Dann kommen sie automatisch in die Anschlussunterbringung, die in der Zuständigkeit der Städte und Gemeinden liegt. Da arbeiten wir eng zusammen, das heißt, wir verteilen die Leute nicht einfach nach Gutdünken, sondern schauen mit allen Beteiligten, ob und wie es passen könnte. Manche haben ja schon eine gewisse Sozialstruktur aufgebaut, sind eingebunden oder sind schon in Arbeit. In Sachen Wohnraum tun wir uns als Zuzugsregion generell schwer. Das gilt nicht nur für Flüchtlinge. Was wir brauchen, sind vor allem erschwingliche Wohnungen. In dieser Beziehung gehen manche Städte und Gemeinden neue Wege und versuchen, Abhilfe zu schaffen.

Im Bodenseekreis herrscht nahezu Vollbeschäftigung, die Wirtschaft boomt, die Steuereinnahmen sprudeln, es wird an allen Ecken und Enden investiert, gebaut und als Ferienziel ist der Bodensee gefragt wie nie. Paradiesisch ist es hier, könnte man meinen, und doch wächst da und dort die Unzufriedenheit, und immer mehr Menschen hängen am Tropf des Staates. Die Sozialausgaben steigen jedenfalls von Jahr zu Jahr. Woran liegt’s?

Es scheint ja ein Widerspruch zu sein: Die Wirtschaft prosperiert, aber im Sozialhaushalt tun sich immer größere Defizite auf. 2017 werden wir im Bodenseekreis erstmals die 100 Millionen Euro-Marke knacken. Im Bereich der SGB II-Leistungen, landläufig Hartz IV genannt, sind wir relativ stabil. Wir haben 2800 Haushalte, die Transferleitungen beziehen, das sind Hilfen zum Lebensunterhalt. Die Quote der Langzeitarbeitslosen liegt seit Jahren stabil bei etwa einem Prozent. Deutliche Steigerungen haben wir im Bereich der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen. Das ist der größte Brocken im Sozialhaushalt.Das hat einerseits mit der Demografie zu tun: die Menschen werden älter, das heißt die Fallzahlen nehmen zu, aber auch die Kosten steigen.

Wie lange geht das gut? Müssen wir politisch neue Wege gehen? Muss das Ehrenamt eine größere Rolle spielen?

Wir dürfen die Menschen nicht überfordern. Es gibt im sozialen Bereich schon viel Ehrenamt. Wir müssen gesamtgesellschaftlich überlegen, was wir uns leisten können und was wir uns leisten wollen. Im Zuge der Einführung des Bundesteilhabegesetzes gibt es zum Beispiel Bestrebungen, den Begriff der Behinderung wesentlich weiter zu fassen. Im Sinne der Betroffenen ist das vielleicht richtig, aber wir müssen aufpassen, dass wir keine Anspruchskonkurrenzen aufbauen. Es gibt immer noch Leistungen, die unabhängig von der wirtschaftlichen Situation des Betroffenen gewährt werden. Auch darüber müssen wird nachdenken.

Das Zauberwort Inklusion wird die Probleme nicht lösen können?

Nicht wirklich. Aber wir haben viele Möglichkeiten, eine bessere Normalität von Menschen mit und ohne Behinderung hinzukriegen. Das zeigt sich zum Beispiel im Kindergarten, da funktioniert Inklusion zum Teil hervorragend. Es muss auch nicht immer das große Geld kosten. Wo guter Wille da ist, lässt sich viel bewegen.

Im Straßenbau ziehen sich die Verfahren unendlich hin. Wann kommt endlich Bewegung in die Prozesse?

Ich hätt’s manchmal auch gern schneller. Aber wir haben gesetzliche Vorgaben, was Eingriffe in die Natur, aber auch was Bürgerbeteiligung betrifft. Diese hat ja nicht nur Nachteile, was die zeitliche Abwicklung angeht. Hier kann man durchaus Dinge abarbeiten, was später im Planfeststellungsverfahren ohnehin thematisiert werden muss. Inzwischen baut der Bund an zwei Stellen, der B31 in Friedrichshafen und Überlingen. Der Bund beziehungsweise das Land plant an zwei Stellen, die B 30 in Meckenbeuren und der B31 in Hagnau. Der Kreis baut in Kehlen, hoffentlich demnächst auch in Markdorf, und ich hoffe, dass wir auch in Kluftern und Schnetzenhausen weiterkommen. Wo es mehr sein dürfte, ist in Bermatingen und Salem, wo es zwar auf Landesebene Absprachen gibt, die werden wir politisch einfordern.

Irritationen gibt es über die zeitliche Schiene im Hinblick auf die Elektrifizierung der Südbahn. Sind sie berechtigt?

Nein. Ich bin überzeugt, dass 2017 auf der Südbahn gebaut wird. Vier von fünf Planfeststellungbereiche sind mittlerweile rechtskräftig. Nur im Kreis Lindau gibt es noch eine Klage. Es laufen bereits vorbereitende Arbeiten für Umspannstationen. Ob wir dann schon im Herbst 2021 oder erst im Frühjahr 2022 elektrisch fahren, spielt nicht mehr die große Rolle.

Und das Geld?

Das steht bereit. Es gibt eine Finanzierungsvereinbarung zwischen Bund und Land. Politisch ist die Sache in trockenen Tüchern. Mit einer Ausnahme: Die Zusage des Landesverkehrsministers für einen Halt in Merklingen einzurichten, sorgt für fahrplantechnische Probleme auf der Strecke Ulm Lindau. Der Interessenverband Südbahn hat die Planung mit einer Vorfinanzierung in die Gänge gebracht und sähe sich am Ende mit diesem zusätzliche Halt ausgebremst. Ich gönne den Merklingern den Bahnhof, aber wenn sich das Land dort engagiert, muss es sich auch an die Zusagen für die Südbahn halten.

Und die Bodenseegürtelbahn?

Am 25. Januar wollen wir ein Gutachten dazu vorstellen. Die Strecke ist ja leider nicht im Bundesverkehrswegeplan, aber wir sind in guten Gesprächen mit dem Land, um andere Finanzierungsmöglichkeiten auszuloten. Zielsetzung wäre, in einem Zeitraum von rund zehn Jahren die Strecke so auszubauen und zu elektrifizieren, dass wir den Halbstundentakt haben.

Als Vorsitzender der Verbandsversammlung der Oberschwäbischen Elektrizitätswerke (OEW) und Aufsichtsratsmitglied beim größten Energieversorger des Landes, der EnBW gehören Sie zu den Entscheidern in der Energiepolitik. Wohin geht die Reise? Müssen die Kunden mit steigenden Preisen rechnen und wann fallen für die OEW-Landkreise wieder Ausschüttungen ab?

Die EnBW ist das Energieunternehmen von den Großen, das sich am konsequentesten auf die Energiewende eingestellt hat. Insofern bin ich zuversichtlich, dass die EnBW besseren Zeiten entgegengeht. Die große Unbekannte ist die Politik. Mittlerweile ist der Anteil der öffentlichen Abgaben am Strompreis höher als der Herstellungspreis. Machen wir uns nichts vor: Wir werden die Hochgeschwindigkeitsstrom-trassen vom Norden nach Süden mit unserem Strompreis bezahlen. Der Kostenfaktor, sie nicht als Freilandleitung, sondern unter die Erde zu verlegen kann bei zehn liegen. Das werden wir über die Nutzungsentgelte bezahlen. Was die Ausschüttung der OEW angeht, bin ich zuversichtlich, dass wir in meiner noch laufenden Amtszeit von den Anteilen etwas zurückbekommen. Die Zeiten der Ausschüttung werden wieder kommen. Wir sind darauf angewiesen, wie das Land übrigens auch.

Neben der Bundestagswahl werden im Lauf des Jahres im Bodenseekreis in elf von 23 Städten und Gemeinden Bürgermeister gewählt. Was erwarten Sie von dem Superwahljahr 2017? Einen politischen Erdrutsch, einen Generationswechsel, ein weiter so?

Es wird sicher Veränderungen geben. Fünf Kollegen sind mir bekannt, die aufhören werden. Für diese Gemeinden hoffe ích auf genügend gute Kandidaten. Aber machen wir uns nichts vor: Die Zeiten, in denen wir zehn Bewerber auf eine attraktive Stelle hatten, sind vorbei. Ich erlebe junge Kollegen aus dem Verwaltungsbereich, die sagen, wegen ein oder zwei Gehaltsstufen täglich in der Öffentlichkeit stehen, kein Wochenende ohne Termine, kaum einen freien Abend zu haben, das tue ich mir nicht an.

Das vollständige Gespräch finden Sie im Internet unter

www.schwaebische.de/woelfle2017