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Bodenseekirchentag

„Luther würde heute beiden Kirchen Thesen anschlagen“

Friedrichshafen / Lesedauer: 6 min

Ökumenisch und international – „Vielfalt ist bereichernd, wenn sie kommunikativ bleibt“
Veröffentlicht:23.06.2016, 20:41

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„Komm ’rüber“ heißt das Motto des 17. Internationalen Ökumenischen Bodenseekirchentags, der am heutigen Freitag, 24. Juni, in Konstanz beginnt. Die Einladung gilt geografisch seeübergreifend wie auch im übertragen Sinne. Katholisch/ evangelisch markieren 500 Jahre nach der Reformation keine unüberwindlichen konfessionellen Grenzen oder gar Feindschaften. Vielmehr bilden sie zwei Seiten einer Medaille, die die Christenheit verbindet. Anton Fuchsloch und Martin Hennings haben sich mit den beiden Vorsitzenden der Friedrichshafener Gesamtkirchengemeinden, Bernd Herbinger (katholisch) und Gottfried Claß (evangelisch) über das Thema Ökumene unterhalten.

Am 31. Oktober 1517 hat Martin Luther mit dem Wittenberger Thesenanschlag einen Sturm ausgelöst, der zur Spaltung der Kirche führte. Die Ablasspraxis, die Luther geißelte, gibt es in der katholischen Kirche bis heute, der Vatikan ist immer noch ein Staat, die Kurie ein undurchschaubarer Machtapparat, das Kirchenrecht ein Paragrafen-Monster, und man hält eisern an Traditionen wie dem Zölibat fest und lässt Frauen nicht in geistliche Ämter... So viel hat sich doch nicht verändert – oder?

Herbinger: Sicher, es gibt noch die Institutionen, aber es geht ja darum, wie sie gelebt werden. Man darf nicht vergessen, dass die Reformation innerhalb der katholischen Kirche auch eine Reform ausgelöst hat. Die alte Kirche gibt es in dieser Form nicht mehr. Sicher, es gab Verkrustungen und Tendenzen, die vom Evangelium wegführten, aber Traditionen sind wichtig. Nur in höchster Not wird mit ihnen gebrochen. Wenn sie mit dem Zentrum zusammengeführt werden, können sie auch wieder lebendig werden. Ein Schlüsselelement in der neueren Geschichte war das Zweite Vatikanische Konzil. Ablass hat heute nichts mehr mit Geld zu tun, sondern mit einer tiefen Versöhnung. Zölibat ist kein Zwang, sondern das Ideal Jesu, das gibt es ja auch im Buddhismus. Dass Frauen von Weiheämtern ausgeschlossen sind, ist heute allerdings schwer zu vermitteln. Gleichwohl geht die Orthodoxie, das Judentum und der Islam diesen Weg auch.

Müsste ein Luther im Blick auf die katholische Kirche heute Thesen anschlagen?

Claß: Er würde sicher in beiden Kirchen Thesen anschlagen. Die evangelische Kirche ist heute ja nicht mehr die wie vor 500 Jahren. Wir haben von der katholischen Kirche viel angenommen und profitiert. Das Abendmahl ist aus seinem Schattendasein herausgekommen. Andere Elemente aus der katholischen Liturgie sind für uns eine große Bereicherung. Was mir vor allem wichtig ist: Wir feiern das Reformationsjubiläum nicht mehr mit einem antikatholischen Unterton, sondern als gemeinsames Christusfest. Das ist ein großer Fortschritt.

Ökumene hat inzwischen in beiden Kirchen einen hohen Stellenwert - vor allem in Sonntagspredigten. Wenn's ums Eingemachte geht, trennen sich die Wege. Was geht gemeinsam, was nicht?

Claß: An der Basis läuft einiges gemeinsam. Wenn Sie aktuell die Unterstützerkreise für Flüchtlinge anschauen, da mischen sich die Konfessionen. Die Teestube, das Hospiz und nicht zuletzt Häfler helfen sind Beispiele, wo wir gemeinsame Sache machen. Ungelöst ist die Abendmahlpraxis, aber dahinter steht das Amtsverständnis. Diese theologische Nuss lässt sich nicht so leicht knacken. Die Differenz zwischen Pfarrer und Laien ist bei uns nicht so ausgeprägt. Dass Frauen zur Ordination zugelassen werden, steht für uns nicht mehr infrage. Aus der Ökumene der Gastfreundschaft könnte und müsste noch viel mehr eine Ökumene der Kooperationen werden. Unsere Ressourcen werden schmaler, etwa in der Jugendarbeit. In Sigmaringen gibt es ein gemeinsames Pfarrbüro. Solche Schritte weiterzugehen, begrüße ich und hoffe, dass das Reformationsjubiläum dazu einen Schub gibt.

Könnte denn nicht katholischer und evangelischer Religionsunterricht zusammen gehen?

Claß: Es gibt schon Kooperationsklassen, wenn die Schülerzahlen zu klein sind. Grundsätzlich würde ich es aber als eine Verarmung empfinden, wenn der konfessionelle Religionsunterricht ganz abgeschafft würde. Es geht ja auch darum, gewisse Traditionen zu achten und zu pflegen. Die Unterschiede sind nicht nur Hürden, sondern stellen auch einen Reichtum dar.

Herbinger: Die gleiche Frage stellt sich bei der Caritas und der Diakonie. Fachleute haben abgeraten und gesagt: Eure Spuren in das jeweilige Lager sind gelegt, eine übergreifende Organisation würde als etwas empfunden, das zu keinem richtig gehört. Beim Religionsunterricht stellt sich diese Frage bald nicht mehr, weil die Zahl der Schüler, die den Religionsunterricht besuchen, stark zurückgeht.

Sie gehen aufeinander zu, andere grenzen sich ab und haben damit Erfolg. Ist die gemeinsame Welt, was Ökumene ja übersetzt heißt, nur ein Ideal?

Claß: Wir haben in unserer Gesellschaft einen ausgeprägten Individualismus und zugleich eine ungestillte Sehnsucht nach Halt und Heimat. Es gibt eine Menge religiöse Angebote auch außerhalb der Großkirchen, aber viele Gemeinschaften grenzen sich untereinander ab und wollen nur Gleichgesinnte. Vielfalt in den eigenen Reihen ist nämlich eine Zumutung, die man aushalten muss. Das ist die Stärke der Großkirchen. Bei uns gibt es eben Pietisten und Liberale. Die Kirchen leisten damit einen Dienst an der ganzen Gesellschaft, indem sie zeigen, wie man mit Vielfalt umgehen kann. Wir haben aus einer Tradition, die geprägt war vom Konfrontation und Krieg, gelernt. Das ist ein hohes Gut. Fundamentalistische Verengung machen wir nicht mehr mit.

Herbinger: Wir haben ein gewisses öffentlich-rechtliches Siegel. Das hat mit Transparenz zu tun. Die Verflechtung zwischen Kirchen und Staat hat sich im Nachkriegsdeutschland als Segen erwiesen.

Denken Sie 10, 20, 30 Jahr weiter. Dann stellt sich vermutlich nicht nur die Frage nach Konfessionen, sondern nach dem Christentum allgemein. Wäre es da nicht glaubwürdiger, mit einer Stimme zu sprechen?

Claß: Das Christliche ist auf jeden Fall wichtiger als das Konfessionelle. Mit ist es 100mal lieber, wenn jemand katholisch wird, wenn er aus der evangelischen Kirche austritt anstatt sich ganz zu verabschieden. Die demografische Entwicklung wird uns aber enger zusammenrücken lassen, und sie könnte uns zu viel radikaleren Schritten zwingen. Aber die Frage ist, sollen wir das brachial schon jetzt vollziehen und damit gewachsene Traditionen und Strukturen über Bord werfen? Wir haben je gerade voneinander viel profitiert, weil wir auch das Eigene gepflegt haben. Vielfalt ist bereichernd, wenn sie kommunikativ bleibt.

Herbinger: Wir haben hier noch eine ungebrochene kirchliche Landschaft. Wir konnten alle Räte besetzen. Klar, es gäbe schon ein paar Mauern niederzureißen. Die Frage ist, wo können wir etwas ganz Neues gemeinsam machen. Für Experimente sind wir offen. Beide Kirchenleitungen ermutigen uns sogar dazu, vor Ort mehr zusammenzuarbeiten. Aber das rein konfessionell Trennende ist für uns kein wirkliches Thema mehr. Wir sprechen uns ab, tauschen uns aus und machen gemeinsame Sache, wo es geht.