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Konzentrationslager

Friedrichshafen hatte ein Konzentrationslager: Historikerin erklärt, was dort passierte

Friedrichshafen / Lesedauer: 7 min

Ein knappes Jahr lebten rund 1200 Häftlinge am Rand der Stadt und arbeiteten für die Rüstungsindustrie
Veröffentlicht:23.01.2019, 13:36

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Auch in Friedrichshafen gab es ein Konzentrationslager. Es handelte sich nicht um ein Vernichtungslager, sondern um ein Arbeitslager. Ein Krematorium hatte es nicht. Trotzdem kamen auch hier Menschen zu Tode. Die Historikerin Christa Tholander hat zum KZ Friedrichshafen langjährige Forschungen betrieben. Die SZ stellt sie in Grundzügen dar. Denn wer über ein KZ in Friedrichshafen spricht, schaut heute oft in erstaunte Gesichter.

Das KZ war eine Außenstelle des Konzentrationslagers Dachau und bestand vom 22. Juni 1943 bis 29. September 1944 mit sieben Unterbringungsbaracken und einigen kleinen Versorgungsbaracken. Das Stammlager Dachau hatte aus verschiedenen Konzentrationslagern ausschließlich männliche Häftlinge abgezogen, die ab Juni 1943 nach Friedrichshafen gebracht wurden. Insgesamt befanden sich im KZ Friedrichshafen schließlich rund 1200 männliche Häftlinge aus elf Nationen, die Mehrzahl davon Deutsche.

Eigesetzt für ein Geheimprojekt

Aber warum überhaupt diese Verlegungen? Grund war die Rüstungsproduktion. Die Häftlinge wurden für ein streng geheimes Projekt eingesetzt: die Produktion der „Wunderwaffe“ V2. Gefragt waren nicht irgendwelche Kräfte, sondern Facharbeiter, bevorzugt Schweißer. Allerdings gab es auch Hilfsarbeitertätigkeiten. Dem Projekt wurde wegen der zunehmend schwierigen militärischen Lage höchste Dringlichkeit eingeräumt.

 Der Pole Zdislaw Olenderek ist einer von rund 1200 KZ-Häftlingen in Friedrichshafen. Die Aufnahme entstand 1940 in Auschwitz. Damals war er 20 Jahre alt. 1945 wurde er von den Amerikanern in Dachau befreit.

Bereits Ende 1942 wurde an der Hochstraße auf einem Grundstück von Luftschiffbau Zeppelin (LZ) gegenüber dem Eingang zum Städtischen Hauptfriedhof mit dem Bau eines Barackenlagers für zivile Ausländer begonnen. „Den südlichen Geländebereich verpachtete LZ an die Unternehmen Maybach Motorenbau und einen kleinen Bereich im Westen an die Dornier Metallbau, die hier Barackenlager für ihre Zwangsarbeiter errichteten“, so Christa Tholander .

Für das KZ wurde ein Teil des schon bestehenden LZ-Lagers „Don“ mit einem Zaun umgeben. Die Gefangenen arbeiteten ausschließlich für LZ. LZ stellte das Lager mit seiner Infrastruktur, aber auf die darüber hinausgehenden Lebensbedingungen hatte LZ keinen Einfluss: Zuständig für die Versorgung der Häftlinge und ihre Aufsicht war das Stammlager Dachau. Untergebracht waren die Häftlinge in sieben Baracken, ausgestattet mit dreistöckigen Holzpritschen, darauf Strohsäcke sowie pro Mann eine Decke.

Energische Strebernatur

Lagerkommandant SS-Obersturmführer Georg Grünberg stammte aus Freiburg an der Elbe. Seine Personalakte charakterisiert ihn als „Strebernatur“ sowie „sprunghaft, energisch“. Stets sah man ihn im Lager elegant gekleidet und mit einer Reitpeitsche in der Hand. „Grünberg war arrogant, brutal im Auftritt und verurteilte über das normale Maß hinaus auf das Gemeinste pauschal die jeweiligen Häftlingsgruppen, wenn innerhalb einer Gruppe auch nur das Geringste geschehen war“, schildert ein Häftling, der als Kapo mit Grünberg häufig in Kontakt kam. Im Lager galt völlige Unterordnung.

Christa Tholander beschreibt Verhältnisse von Willkür. Was richtig und was falsch, was erlaubt und was verboten war, hing demnach auch von der momentanen Stimmung der ungefähr 30 SS-Angehörigen ab, die das Lager bewachten. Besonders groß war die Unsicherheit unter den fremdsprachigen Häftlingen. Sie befürchteten Bestrafungen in der Folge nicht verstandener Befehle.

Die Häftlinge arbeiteten bei LZ in zwei Elf-Stunden-Schichten, zuzüglich einer Stunde Pause. Von den LZ-Mitarbeitern wurden die Häftlinge nach eigenen Aussagen korrekt behandelt. Allerdings standen sie auch hier unter Bewachung und die Wachmänner unterbanden den Kontakt mit den deutschen Beschäftigten nach Möglichkeit. Weil spätere Zeugenaussagen von LZ-Mitarbeitern ausgeschlossen werden sollten, fanden Bestrafungen nur im Lager statt. Da die Häftlinge für die Rüstungsproduktion unverzichtbar waren, fielen Strafen und Misshandlungen nicht so exzessiv aus wie in einem Vernichtungslager.

 Der Lagerkomplex an der Hochstraße mit dem Lager von Maybach Motorenbau „Seeblick I“, dem LZ-Lager „Don“ und dem Dornier-Lager „Wolga III“. Nach Aussagen von KZ-Häftlingen war das hier rot umrandete KZ-Lager separiert.

Schlimm waren sie dennoch. So zählte zu den Strafen unter anderem das „Pfostenstehen“: Der Gefangene wurde an einen Pfosten gebunden und musste den ganzen Tag über stehen, manchmal auch zwei Tage lang, unabhängig von Witterung und Temperatur. Auch Ohnmacht änderte nichts am vollen Vollzug der Strafzeit. Zudem kam es zu Prügelstrafen mit Gummiknüppel und Ochsenziemer. Lagerkommandant Grünberg soll solche Strafen auch selbst vollzogen haben. Die Bestraften mussten die verabreichten Schläge mitzählen, kamen aber meistens nur bis 18. Dann verloren sie laut Augenzeugenberichten das Bewusstsein. Verbürgt ist auch die Bestrafung eines 35-jährigen Polen, weil er eine Flucht in die Schweiz geplant haben soll. Er wurde mit 48 Ochsenziemer-Schlägen bis zur Ohnmacht gepeitscht und musste am nächsten Tag seine Arbeit als Schweißer wieder aufnehmen.

Verlegung nach Raderach

Elf Luftangriffe auf Friedrichshafen brachten die Produktion der Raketenteile bei LZ am 20. Juli 1944 zum Stillstand. Bereits Anfang Mai 1944 hatte LZ einen Teil der Häftlinge nach Saulgau verlegt, wo die Produktion bis Kriegsende weiterlief. Die meisten Häftlinge kamen in ein Lager bei Raderach – in Baracken ohne Betten. In Raderach wurde die Prüfstelle der Heeresversuchsanstalt Peenemünde zum Test der Raketenmotoren der V2 errichtet.

Bereits seit Mitte 1942 befanden sich im dortigen Lager Zwangsarbeiter auswärtiger Unternehmen. Deren Arbeitskräfte arbeiteten nun gemeinsam mit 300 Häftlingen von LZ am Bau der Versuchsanlagen. Ein Teil der in Raderach einquartierten KZ-Häftlinge wurde weiterhin in Friedrichshafen eingesetzt. Hin- und Rückweg mussten sie laufen. In Friedrichshafen demontierten sie Maschinen, beseitigten Trümmer und entschärften Bomben. Sie mussten auch an dem 1943 begonnenen Stollen für LZ arbeiten, der insgesamt 5000 Personen in bis zu 21 Metern Tiefe bei Luftangriffen Schutz bieten sollte. Gegraben wurde mühsam mit dem Spaten, der Aushub in Wannen hinausgetragen.

42 tote KZ-Häftlinge

Das Lager in Raderach wurde am 29. September 1944 aufgelöst. Kommandant Georg Grünberg und einige Häftlinge kamen zum Stollenbau für die Untertageverlagerung der Friedrichshafener Industrie in ein Lager nach Überlingen-Aufkirch. Die meisten aber, 762 Häftlinge, wurden über das KZ Dachau ins KZ Buchenwald-Dora gebracht. Viele werden dieses Lager nicht überlebt haben. Innerhalb von zwei Jahren starben dort über 20 000 Menschen durch Zwangsarbeit.

Wie viele Häftlinge sind im KZ Friedrichshafen bis 28. April 1944 ermordet worden? Im Sommer 1944 wurden zwei junge russische Häftlinge nach einem misslungenen Fluchtversuch erschossen. Sie hatten versucht, durch einen Abwasserschacht auf dem LZ-Gelände zu entkommen. Der mutmaßliche Täter, SS-Mann Johannes Grün, starb bereits 1947, lange vor den 1958 begonnenen Ermittlungen über NS-Verbrechen im Bundesgebiet durch die Zentrale Stelle Ludwigsburg.

Viele Tote durch Bombenangriffe der Aliierten

Die Datenbank der Gedenkstätte Dachau nennt im Ganzen 42 tote KZ-Häftlinge in Friedrichshafen. Die meisten davon starben, eine bittere Ironie, durch Bombenangriffe der Alliierten: Insgesamt 33 Todesopfer forderten der Tagesangriff der US Air Force vom 18. März 1944 sowie der Nachtangriff der Royal Air Force vom 27. auf den 28. April 1944.

Bei den restlichen sieben Häftlingen wurde auf den Totenscheinen Herzmuskelschwäche, Schädelbasisbruch, Lungenschwindsucht, inneres Verbluten oder schwere Quetschung des Oberkörpers als Todesursachen angegeben. Von 19 Häftlingen fehlt bis heute ein offizieller Begräbnisort. Die anderen wurden in Lindau eingeäschert und auf dem Aeschacher Friedhof in Lindau beigesetzt.

Nach Kriegsende wurden sämtliche KZ-Beschäftigte von den alliierten Militärbehörden in Lagern interniert und vernommen. Vergehen gegen die Menschlichkeit wurden durch Verhöre herausgefiltert und bei Verurteilungen die zweijährige Kollektivstrafe als Gefängnisstrafe angerechnet. Georg Grünberg konnte sich einer Verhaftung durch die amerikanische Militärbehörde entziehen, indem er sich in Zivil zu seiner Familie nach Norddeutschland durchschlug. Bei der Entnazifizierung im Jahr 1950 wurde er als bloßer Mitläufer eingestuft. 1976 starb er in Freiheit in seiner Geburtsstadt.