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Fachpflegeheim

Fachpflegeheim zeigt seine Art zu leben

Riedlingen / Lesedauer: 4 min

Die Nachbarn machen sich ein Bild vom Leben im neuen Haus in Riedlingen
Veröffentlicht:03.01.2013, 11:10

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Eine neue soziale Einrichtung hat die Stadt im August bekommen: das psychiatrische Fachpflegeheim im Kapuzinerweg. Es ist ausgelagert von Bad Schussenried und steht unter der Trägerschaft des Zentrums für Psychiatrie (ZfP) Südwürttemberg. Dessen Bewohner sorgen auch für Unsicherheit bei den Riedlingern. Denn immer wieder sehe man im Städtchen Menschen, die wohl in das Fachpflegeheim am ehemaligen Kapuzinerkloster gehören. Wie soll man reagieren? Sind diese geschäftsfähig? Dürfen sie einkaufen? Fragen wie diese beantwortete Christoph Vieten, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Leiter des Geschäftsbereiches Arbeit und Wohnen beim ZfP. Als Beispiel für eines der Krankheitsbilder erklärte Vieten, dass Einzelne manchmal zwei verschiedene Socken anzögen oder im Sommer die Winterkleidung. Das Personal bemühe sich, das zu steuern.

Etwa zwei Drittel der 45 Bewohner hier können selbstständig unterwegs sein. Diese Möglichkeit des freien Bewegens in der Stadt sei auch Teil des Selbstständigkeitstrainings. Dabei sollen die Menschen lernen, mit eigenem Geld umzugehen, also einzukaufen. Die „praktischen Dinge des Lebens“ sollen geübt und gefördert werden: der Umgang mit dem Telefon, Arztbesuche, aber auch so kleine Dinge wie aufstehen zur richtigen Zeit, Kleidung aussuchen, Medikamente nehmen, kochen. Dieses Training in Kleingruppen sei ein wichtiger Bestandteil der Arbeit hier. Ein Ziel sei es, machte Vieten deutlich, die Menschen in eine Übergangsform der Selbstständigkeit zu entlassen – falls ihr Krankheitsbild es zulasse. Dazu gebe es kleine Wohngruppen in angemieteten Wohnungen, mit nach und nach „ausgedünnter“ Betreuung.

Ein Teil der hier lebenden Menschen mache vom freien Bewegen in der Stadt jedoch keinen Gebrauch, da sie zu scheu seien. Vieten gab auch zu bedenken, dass nicht alle im Stadtbild auffälligen Menschen hier ins Heim gehörten.

Als sehr hell, sehr wohnlich, großzügig und offen beschreiben Besucher das neue Wohnheim. Vier Blöcke sind um einen großzügigen Innenhof angeordnet. Drei der untereinander verbundenen Einheiten sind die Wohngruppen mit jeweils fünfzehn Einzelzimmern.

Das Büro der Schwestern und Pfleger, ein Pflegebad und ein Fernsehraum, ein offener Speiseraum und eine Küche gehören zu jeder Einheit. Jeder Wohntrakt wird familienähnlich geführt. Hier wird das gemeinsame Mittagessen eingenommen, Frühstück und Abendessen zubereitet. Auch zwei Katzen, schon aus Schussenried mit umgezogen, sind wichtige und geschätzte Mitbewohner mit Körbchen und Kratzbaum.

Der vierte Teil der Anlage ist der „Funktionsbereich“ mit einem großen Raum zum Basteln und Musizieren. Auch kleine industrielle Vorfertigungen werden hier erstellt. Die Lage, in Stadtnähe, wird von allen Beteiligten als „einmalig“ beschrieben. Sogar mit dem Rollator sei es möglich, am öffentlichen Leben teil zu nehmen.

Einer der neuen Bewohner in Riedlingen freut sich besonders, wieder in der Nähe des Bussens zu sein. Er fühlt sich sehr wohl hier und genießt es, dass er sich relativ leicht selbstständig bewegen kann – trotz mehrerer Schlaganfälle zu seiner psychischen Erkrankung. In Bad Schussenried sei das nicht möglich gewesen. Das Heim dort sei mehrgeschossig und etwa einen Kilometer vom Stadtzentrum entfernt. Hier sei es ideal, betont Vieten.

Nachbarschaft eingeladen

Um sich vorzustellen, sich kennenzulernen und um Berührungsängste abzubauen, hat die Leitung des Heims auch schon die Nachbarschaft zu einem Kaffeeplausch mit Besichtigung eingeladen – und überaus zahlreich kamen die Interessierten. Eine Besucherin beschreibt ihre nächtlichen Betrachtungen, das ungewohnte Licht in der Nachbarschaft. Ihre Gedanken, die zu den hier untergebrachten Menschen wandern. Das habe sie bisher belastet. Jetzt, nach den Gesprächen und der ausführlichen Besichtigung, sei sie beruhigt.

Eine andere Besucherin empfindet es als Beispiel für „das Leben“. Menschen, die mehr oder weniger deutlich anders sind, werden nicht abgeschoben; sie gehören dazu. Wie der Kindergarten zwei Häuser weiter.

Über „Paten“ würde sich das Fachpflegeheim freuen, über Menschen, die sich ehrenamtlich hier einbringen könnten. Singen, vorlesen, spazieren gehen, zum Einkaufen begleiten wären Möglichkeiten, sich zu engagieren. Die Verbindung zur Gemeinde sei wichtig.