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„Es muss noch viel mehr Deutschkurse geben“

Friedrichshafen / Lesedauer: 4 min

Linke-MdB Annette Groth zur Flüchtlingssituation und zu ihrem Abschied als Bundestagsabgeordnete
Veröffentlicht:18.10.2016, 17:58

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Sie ist über die Wahlalternative Soziale Gerechtigkeit (WASG) zur Politik gekommen. Damit war der Weg zur Partei Die Linke nicht mehr weit. Für Die Linke holte Annette Groth im Wahlkreis Bodensee ein Bundestagsmandat. Mittlerweile sitzt die Stuttgarterin, die in Litzelstetten eine Wohnung hat, die zweite Legislaturperiode im Bundestag. Besonders als menschenrechtspolitische Sprecherin ihrer Fraktion hat sie sich einen Namen gemacht. Auch damit ist es nun genug, die 62-Jährige kandidiert nicht mehr, will sich künftig wieder „vermehrt der Politik an der Basis“ widmen, sagt Politikerin im Interview mit Alexander Mayer.

Sie haben immer wieder Flüchtlingsunterkünfte im

Die Situation im Kreis ist zufriedenstellend. In den Städten und im Landratsamt sitzen mit Blick auf Asylarbeit einige engagierte Leute. Nicht zu vergessen die Helferkreise, ohne die vieles nicht so gut funktionieren würde. Zufriedenstellend heißt aber, dass es noch genügend zu tun gibt. Das gilt insbesondere für die Unterbringung von unbegleiteten Minderjährigen und auch allein reisenden Frauen. Es ist aus anderen Unterkünften bekannt, dass es dort immer wieder Übergriffe sexueller Art gibt. Eine Psychologin in Berlin sagte mir, Flüchtlingsunterkünfte seien ein Paradies für Pädophile. Es gibt zwar keine gesicherten Daten darüber, die Dunkelziffer aber scheint sehr hoch zu sein. Dann ist da auch noch das Thema Familienzusammenführung. Diese ist nach wie vor mit vielen bürokratischen Hürden verbunden und stellt für viele Geflüchtete eine ganz schreckliche Härte dar.

Was haben Sie erreicht?

Ich habe in etlichen Fällen eine Familienzusammenführung von syrischen Flüchtlingen im Bodenseekreis hinbekommen. Unter den Syrern sind übrigens auch viele Palästinenser. Auch in Friedrichshafen. Da weiß ich von unglaublicher Verzögerung bei der Bearbeitung ihres Falles. Diese Warterei ist für die Betroffenen zermürbend und macht krank.

Inwiefern hat der Wahlkreis

Wir versuchen zusammen mit den Grünen im Verkehrsausschuss immer wieder Stuttgart 21 auf die Tagesordnung zu bringen. Immer wieder habe ich mich für die Elektrifizierung der Südbahn und die Bodensee-Gürtelbahn eingesetzt. Bei der Elektrifizierung sieht man ja endlich das Licht am Ende des Tunnels. Doch ich muss ehrlich sein, wenn man in der Opposition im Verkehrsausschuss sitzt, können wir die besten Anträge stellen, letztendlich werden wir jedoch meist überstimmt. Aber steter Tropfen höhlt den Stein.

Kritiker werfen ihnen vor, sie seien als Wahlkreisabgeordnete im Bodenseekreis nicht sehr präsent. Wie stehen Sie dazu?

Ich mache viele Sachen unbemerkt. Ich bin nicht so, dass ich permanent die Presse rufe, wenn ich politisch aktiv bin, vor Ort etwas mache und bewirken will. Etwa dann, wenn ich mich für die Landwirtschaft, für Kleinbauern und Kleinbäuerinnen einsetze und einen anständigen Milchpreis fordere.

Sie kandidieren für die nächste Bundestagswahl nicht mehr. Warum der Abschied?

Das hat mehrere Gründe. Der einfachste: Ich werde im Jahr der Wahl 63 Jahre alt. Ich habe mich immer für die Rente mit 63 eingesetzt. Da bin ich konsequent. Dann war ich auch immer eine Verfechterin von Rotation. Dieses Prinzip gibt auch anderen die Chance, in den Bundestag zu kommen. Nach zwei oder drei Legislaturperioden sollte man eigentlich wieder ins normale Berufsleben zurückkehren. Ich bin die zweite Periode im Bundestag. Ich glaube, dass Politiker, die ihr ganzes Leben im Bundestag sitzen, die um sich greifende Politikverdrossenheit fördern. Und schließlich: Ich möchte wieder Politik an der Basis machen. Dafür möchte ich wieder mehr Zeit haben.

Wie beurteilen Sie ihre bisherige Zeit als Bundestagsabgeordnete, insbesondere mit Blick auf ihr Engagement als menschenpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke?

Da habe ich einiges getan. Da habe ich auch Anerkennung über Fraktionsgrenzen erhalten. Hätte man mehr auf mich gehört, hätte man in Deutschland hinsichtlich der Flüchtlinge vorausschauend planen können. Es war spätestens im Frühjahr 2015 klar, dass ein Großteil der Flüchtlinge, die in Griechenland angekommen sind, weiter nach Norden wollen. Gerade auch nach Deutschland. Die Probleme, die wir hier etwa mit der Unterbringung haben, sind hausgemacht.

Sie sind noch knapp ein Jahr im Amt. Was wollen Sie in dieser Zeit politisch für den Bodenseekreis noch erreichen?

Wenn ich es mit politischen Weggefährten hinbekomme, dass es noch mehr Therapieplätze und Wohnungen, gerade für traumatisch Geflüchtete gibt, dann bin ich zufrieden. Darüber hinaus muss es noch viel mehr Deutschkurse geben. Sie müssen schon kurz nach der Ankunft in Friedrichshafen beginnen und nicht erst mit der Anerkennung. Die meisten Flüchtlinge, die heute im Kreis ankommen, haben nämlich eine hohe Bleibeperspektive. Die Bleibeperspektive sollte aber nicht nur für Syrer gelten, sondern auch für Afghanen und Iraker.