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„Wir müssen tun, was Trump sagt“ – Ulms IHK-Chef über die Gefahr aus China

Ulm / Lesedauer: 10 min

Der Digitalisierung begegnet Ulms IHK-Präsident Jan Stefan Roell gelassen. Brexit? Das wird sich regeln! Sorgen macht er sich aber wegen der Industriepolitik Chinas.
Veröffentlicht:21.10.2018, 18:53

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Der Digitalisierung begegnet Jan Stefan Roell optimistisch, dem Brexit blickt er gelassen entgegen, Sorgen macht dem neuen Präsidenten der Industrie- und Handelskammer Ulm vor allem eine Sache: die Industriepolitik der Volksrepublik China. Benjamin Wagener und Ludger Möllers haben mit dem Chef des Ulmer Prüfmaschinenbauers Zwick-Roell über die digtale Revolution, fehlende Fachkräfte und die rote Gefahr gesprochen.

Warum wollten Sie IHK-Chef werden?

Es passt von meiner Lebenssituation, ich übergebe bei meinem Unternehmen mehr und mehr die Führungsverantwortung. Und ich habe sehr profitiert von der Gesellschaft. Es ist schön, wenn ich ein bisschen zurückgeben kann – an die Region und die Wirtschaftsunternehmen.

Warum braucht die Wirtschaft eine IHK?

Wir kümmern uns um drei Bereiche: Wir bilden, beraten und bündeln. So organisieren wir die duale Berufsausbildung, die Prüfungen, die Gesellenbriefe kommen von uns. Wir sind aktiv im Bereich Weiterbildung und Qualifizierung. Wir beraten die Mitgliedsunternehmen und deren Mitarbeiter, damit sie sich auf die Herausforderungen der Zukunft einstellen können. Und schließlich bündeln wir die Interessenvertretung der regionalen Wirtschaft: Wer soll denn sonst gegenüber der Politik formulieren, was die Wirtschaft braucht? Wer soll das Sprachrohr sein?

Mit welchen Themen werden Sie auf die Politik in der nächsten Zeit zugehen?

Das wichtigste Thema ist die Digitalisierung, die Industrie 4.0, das Internet der Dinge – also die technische Revolution, in der wir gerade drinstecken. Da müssen wir gemeinsam mit der Politik die Voraussetzungen schaffen, damit unsere Unternehmen da gut durchkommen. Und das Wichtigste ist, dass der Breitbandausbau funktioniert. Das ist die Erfolgsvoraussetzung Nummer 1. Wenn wir das nicht schaffen, dann werden die Leute aus dem ländlichen Raum weggehen, weil sie dort nicht arbeiten können.

Was können Sie tun?

Neben dem Breitbandausbau, den die Politik in den Griff zu bekommen hat, müssen wir die Initiativen zur Digitalisierung bündeln. Wir richten Stiftungsprofessuren an Hochschulen und Unis ein. Und wir müssen Ausbildungs- und Weiterbildungsangebote vernetzen.

Wen wollen Sie auf diese Weise fördern?

Nicht in erster Linie die großen Industrieunternehmen. Die können das mit ihren IT-Abteilungen selber. Aber die mittelständischen Unternehmen in Industrie, Dienstleistung und Handel brauchen dabei Hilfe. Die brauchen Experten, die sie beraten, auf Ideen bringen, ihnen bei Diskussionen die Augen für neue Chancen und Produkte eröffnen.

Ist den mittelständischen Unternehmen denn bewusst, wie groß der Wandel wirklich sein wird?

Es wird Dinge geben, die ändern sich nicht oder nur ganz wenig, und es gibt Dinge, die ändern sich dramatisch. Der Feinmechaniker arbeitet oft noch so wie vor 40 Jahren, die Arbeit des technischen Zeichners hat sich völlig verändert. Es ist nicht leicht herauszufinden, welche Geschäfte von der Struktur her disruptiv sein werden, welche Geschäfte von technischen Entwicklungen überrollt werden. Aber ich kann schauen, was es heute gibt, mich damit beschäftigen, meine Antennen auf Empfang stellen, mir eine geistige, finanzielle und personelle Beweglichkeit erhalten, um reagieren zu können. Wir brauchen Experimentierfreude, um Sachen jetzt einfach einmal auszuprobieren.

Aber passt diese Start-up-Kultur zu einem schwäbischen Mittelständler?

Ich sehe gerade viele Familienunternehmen, in denen die jüngere Generation Verantwortung übernimmt, mit neuen Ideen jenseits des business as usual in wichtige Positionen strebt. Ich habe den Eindruck, diese Generation will die Unternehmen so attraktiv machen, dass man auch in Zukunft hier in der Region arbeiten will. Ich bin da nicht so pessimistisch.

Und was macht der 55-jährige Konstrukteur, dem die digitale Welt völlig fremd ist?

Das wird sich alles finden. Es wird ja nicht von heute auf morgen alles umgestellt, sondern die alten Produkte laufen weiter. Und dann ist es so, dass der 55-Jährige sich um das bestehende Produktprogramm kümmert und der 28-Jährige um die künftigen Produkte.

Was können wir vom Silicon Valley, was von den großen Tech-Unternehmen der USA lernen?

Die Amerikaner haben uns voraus, die Kultur des Scheiterns positiv und nicht negativ zu sehen. Das ist wirklich etwas, was wir übernehmen können und übernehmen sollten. Natürlich haben die US-Unternehmen auch den Vorteil eines Marktes, der viermal so groß ist wie Deutschland, der per se experimentierfreudiger ist als wir und der unendlich große Ressourcen für Wagniskapital hat.

Was ist mit dem Thema Fachkräfte? Ist das Problem wirklich so groß?

Ja, das müssen wir auf verschiedenen Ebenen angehen. Wir müssen die Berufe ausbilden und anbieten, die morgen wirklich gebraucht werden – so zum Beispiel wie den Kaufmann für E-Commerce. Dann müssen wir die berufliche Ausbildung insgesamt attraktiv machen. Viele glauben, dass es gut ist, wenn alle jungen Leute an die Uni gehen. Ich behaupte, zum Teil produzieren wir da unglückliche Menschen, die scheitern und nach zwei Jahren sagen, das ist nichts für mich.

Wie wollen Sie das ändern?

Wir müssen umgekehrt vorgehen und sagen, mit einer Berufsausbildung kannst du keinen Fehler machen, denn du kannst danach weiterstudieren, wenn du willst. Aber am Thema Bildung hängt auch mein Lieblingsthema ...

... und das wäre?

Die Sprachförderung. Ich glaube fest daran, dass die Sozialisierung und die Sprachförderung entscheidend sind für den beruflichen Aufstieg. Und wenn ich höre, dass rund 50 Prozent der Migrantenkinder eine intensive Sprachförderung brauchen, um überhaupt die Grundschule zu schaffen, dann müssen wir in diesen Familien dafür werben, dass die deutsche Sprache kein notwendiges Übel, sondern eine wunderschöne Erfolgsvoraussetzung für eine berufliche Karriere ist. Denn es geht nicht ohne Deutsch.

Brauchen wir ein Einwanderungsgesetz, um das Fachkräfteproblem zu lösen?

Was die Große Koalition macht, geht in die richtige Richtung. Beim Einwanderungsgesetz müssen wir wegkommen von der Exklusivität der akademisch Gebildeten, damit auch Fachkräfte kommen können. Natürlich ist die Anerkennung der fachlichen Ausbildung schwierig, weil es in den allermeisten Ländern eben keine duale Ausbildung wie bei uns gibt. Da müssen wir dann einfach darauf vertrauen, dass der Bewerber, der den Job jahrelang gemacht hat, auch etwas kann.

Was ist mit den Flüchtlingen, die seit ihrer Ankunft ohne gesicherten Aufenthaltsstatus arbeiten?

Bei diesen Geduldeten brauchen wir aus meiner politischen Überzeugung heraus eine Stichtagsregelung, und der Stichtag muss weit in der Vergangenheit liegen. Denn das Letzte, was wir brauchen, ist ein Sog aus der Hoffnung heraus, als Wirtschaftsflüchtling kann man in Deutschland Einwanderer werden. Ich befürworte eine Stichtagsregelung vor dem Hintergrund, dass die Betriebe, die sich bei der Integration Mühe gegeben haben, nun auch die Früchte ernten wollen. Die haben zurecht kein Verständnis, wenn die gut Integrierten, möglicherweise gut Deutsch sprechenden Menschen plötzlich nach Hause geschickt werden.

In der Industrie wächst die Angst, dass die Brexit-Verhandlungen zwischen Großbritannien und Europa scheitern und das Vereinigte Königreich ohne Abkommen ausscheidet. Was würde das bedeuten?

Mir geht als Bürger nicht in den Kopf, warum England schlechter behandelt werden sollte als Kanada. Mit Kanada haben wir auch keine Freizügigkeit. Wir können nicht einfach nach Kanada ziehen, Kanadier nicht einfach in Ulm leben, aber wir können handeln ohne irgendwelche Begrenzungen. Es gibt keinen Grund, diesen Status den Engländern vorzuenthalten.

Was wird passieren?

Es wird ein Abkommen wie mit Kanada geben oder vielleicht gar keines. Wenn es gar keines gibt, dann haben wir eine paar Monate große Schwierigkeiten, doch dann werden die Politiker die Themen lösen. Denn England ist ein zu wichtiger Handelspartner. Es würde ja kein Airbus mehr fertig werden, wenn keine Tragflächen mehr aus England nach Toulouse geliefert werden. Ich halte den Brexit nicht für den richtigen Weg und war dagegen. Aber nun müssen wir die Dinge so auf die Reihe bringen.

Chinesische Unternehmen investieren verstärkt in deutsche Mittelständler. Wie beurteilen Sie diese Expansion?

Die Tatsache, dass sie investieren, ist nicht das Gefährliche. Viel größer ist die Gefahr, dass die Chinesen in ihrem eigenen Land staatlich beschützte Großunternehmen aufbauen, die dann im Inland ihre Produkte und Dienstleistungen so lange verbessern, bis sie Weltstandard haben. Und danach greifen Sie auf dem Weltmarkt an und erobern Branche für Branche, ganz systematisch. Für mich ist diese Vorgehensweise der Volksrepublik ein Alarmsignal.

Verlieren wir also das Rennen um die Elektromobilität?

In der Elektromobilität hat der chinesische Staat entschieden, dass 25 Großstädte jeweils 3000 Elektrobusse einsetzen müssen. Das sind 75 000 Elektrobusse. Dazu haben die Chinesen sechs Werke gebaut, um diese Busse zu bauen. Und wer 75 000 Busse gebaut hat, der weiß, wie man einen Elektrobus baut.

Was ist die richtige Gegenstrategie?

Das werden Sie nun vielleicht nicht gerne hören, aber wir müssen das tun, was Donald Trump sagt: Wenn die Chinesen ihre Märkte nicht für unsere Produkte öffnen, dann öffnen wir unsere Märkte für deren Produkte nicht. Wir müssen die Chance haben, den chinesischen Konzernen vor Ort Konkurrenz zu machen, und dazu muss man in den Markt rein. Aber wenn China seine Märkte abriegelt, die chinesischen Unternehmen sich intern Konkurrenz machen, ihre Produkte verbessern und dann aus diesem geschützten Bereich auf den Weltmarkt gehen, ist das nicht fair.

Kann Europa einen Gegenpol bilden?

Ja, wenn die Europäische Union als Wirtschaftsgemeinschaft zusammensteht und mit einer Stimme spricht. Wir haben nur eine Chance auf der Welt, wenn Europa sich zusammenrauft. Wir müssen unsere 500 Millionen Verbraucher bündeln, um auf der Welt Einfluss zu haben.

Die Autoindustrie verspielt aber gerade den guten Ruf der deutschen Wirtschaft ein wenig, oder?

Ich bin sehr, sehr, sehr betrübt, ärgerlich, enttäuscht, dass deutsche Großkonzerne betrogen und gelogen haben. Damit haben sie sich und uns eine furchtbare Hypothek mitgegeben in die Welt, erste Aussage. Zweite Aussage: Ich finde es absolut falsch, dass die Politik entscheidet, welches Antriebskonzept das beste für die Zukunft ist. Das muss die Industrie selber herausfinden.

Wer weiß, ob der elektrische Antrieb und die Versorgung aus einer Batterie heraus das zukunftsträchtigste System ist. Drittens: Ich habe null Verständnis, wenn wir aufgrund von Problemen in einigen wenigen Städten im ganzen Land über Fahrverbote sprechen, ohne im europäischen Vergleich die Kirche im Dorf zu lassen. Manchmal habe ich das Gefühl, wir müssen uns das Leben so schwer wie möglich machen.

Was sind Sie für ein Manager und für ein Unternehmer?

Ich mag Menschen, ich mag Verantwortung.

Und was ist Stefan Roell für ein Mensch, wenn er nicht die IHK führt und nicht auf seinem Chefsessel sitzt?

Ich habe eine große Familie, und wir machen gerne Musik. Und ich gehe gerne in den Wald und mache Holz. Meine Kinder machen da häufig mit. Das ist doch schön!

Chef des Ulmer Materialtestmaschinenbauers Zwick-Roell

Der gebürtige Rheinländer – geboren 1954 in Düsseldorf – studierte in München Elektrotechnik und Betriebswirtschaftslehre, bevor er seine Karriere bei der Unternehmensberatung McKinsey begann. 1985 wechselte Jan Stefan Roell als Geschäftsführer zur RK Amsler Prüfmaschinen AG in die Schweiz. Sieben Jahre später übernahm der heute 63-Jährige als geschäftsführender Gesellschafter den Ulmer Prüfmaschinenhersteller Zwick-Roell.

Das Unternehmen mit rund 1500 Beschäftigten gehört zu den führenden Herstellern von Materialprüfmaschinen. Im Jahr 2018 strebt Zwick-Roell einen Umsatz von 240 Millionen Euro an. Der Gewinn lag 2016 bei 26,4 Millionen Euro. Im Juli wählte die Vollversammlung der Industrie- und Handelskammer Ulm Roell zum Nachfolger von Präsident Peter Kulitz, der den Verband 15 Jahre geführt hatte.