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Warum ein Ulmer mit einer Internet-Suchmaschine für Fabriken in China Erfolg hat

Ulm / Lesedauer: 4 min

Niklas Vesely vermittelt im Reich der Mitte Kontakte – und erzählt aus seinem Alltag
Veröffentlicht:13.11.2018, 22:22

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Niklas Vesely lebt eine Hälfte des Jahres in Ulm, die andere Hälfte in Guangzhou. Doch wenn er von zwei Welten spricht, meint er nicht nur die Unterschiede zwischen China und Deutschland. Allein in der weitläufigen Hafenstadt im Süden sind die Gegensätze gewaltig. „Es ist unglaublich, was für verrückte Geschichten hier passieren“, sagt Vesely. Er hat große und kleine Fabriken von innen gesehen, die Arbeitsbedingungen und die Prozesse kennengelernt – und wird täglich mit den Unterschieden in der Elf-Millionen-Einwohner-Stadt und ihrer Region konfrontiert.

Der 30-Jährige betreibt einen Skateboard-Handel und hat nebenher an den Wochenenden ein außergewöhnliches Projekt gestemmt. Seine Internetseite listthe.com funktioniert wie eine Suchmaschine für Fabriken. Ob Gucci oder Aldi – wer wissen will, welche chinesischen Fabriken Taschen oder anderes fertigen oder für eine bestimmte Marke produzieren, kann dort stöbern. Vesely hat die Containerdaten internationaler Häfen gesammelt. Aus ihnen lässt sich ablesen, wer welche Produkte woher bezieht.

Weltmarken geben Prozesse vor

Inzwischen, berichtet Vesely, nutzen nicht nur Unternehmer aus Europa und den USA seine Seite, sondern auch Chinesen. Das mache ihn stolz. Der Ulmer kann erklären, warum es so wichtig ist, die richtige Fabrik zu finden: Etwa ein Prozent der Produktionsstätten in China fertige für Weltmarken wie Adidas und Nike. Viele Unternehmer, die diese Fabriken führen, hätten im Westen gelebt und dort Bedarf und Erwartungen kennengelernt. Zudem gäben die Weltmarken die Prozesse vor, die dadurch westlichen Standards entsprächen. Die Fabriken würden regelmäßig geprüft.

Es ist wie Tag und Nacht. Man spürt, man hat etwas enorm Wertvolles in der Hand“

Anderen, schildert Vesely, sei ein um wenige Cent niedrigerer Preis wichtiger als die Qualität. Der Unterschied ist groß, davon ist der 30-Jährige überzeugt: „Es ist wie Tag und Nacht. Man spürt, man hat etwas enorm Wertvolles in der Hand“, sagt Vesely über die Produkte der Ein-Prozent-Fabriken, wie er die Unternehmen nennt.

Familien oder Dorfbewohner schließen sich zusammen

Der Ulmer beobachtet, dass deutsche Kleinunternehmer oft auf die anderen Produzenten hereinfallen. Die meisten, rund 80 Prozent der Fabriken, bestünden aus Familien oder Dorfbewohnern, die sich zusammentun und gemeinsam etwas nähen oder kleben. Dadurch komme es zu kleinen und großen Problemen.

Etwa, weil die Arbeiter den Körperbau von Europäern nicht kennen und T-Shirts nähen, die keinem passen. Oder weil sie Stoffe verwenden, die Allergien auslösen können oder leicht entzündlich sind. Prüfsiegel wie das CE-Kennzeichen, das eigentlich nur in Europa vergeben werden darf, brächten die Produzenten einfach selbst an. Mit dem Risiko, dass ein Hemd Feuer fängt oder ein Wäschetrockner explodiert. In diese Falle, berichtet Vesely, tappen vor allem Kleinunternehmer, die in China produzierte Waren günstig über Amazon und andere Internetseiten vertreiben wollen.

Wenn die Bilder perfekt sind, ist das ein ganz schlechtes Zeichen“

Zwischen den Kleinstproduzenten und den großen Fabriken gebe es weitere Hersteller, die nach oben streben, so Vesely. Sie hätten als Kleinstproduzenten Erfolg gehabt, seien gewachsen und kämpften nun um weitere Kunden. Doch mit der Qualität der Ein-Prozent-Fabriken könne ihre Ware nicht mithalten. Denn es fehle die Erfahrung. Diese Firmen werben mit makellosen Produktfotos im Internet. „Wenn die Bilder perfekt sind, ist das ein ganz schlechtes Zeichen“, sagt Vesely. Dann seien es gestohlene Fotos.

Die großen Fabriken werben nicht. Sie antworten auch nicht auf Anfragen. Aus ihrer Sicht ist beides verlorene Zeit. Sie vertrauen darauf, dass seriöse Kunden auch ohne Werbung zu ihnen finden. Und sie wollen konkrete Aufträge, egal von wem. „Wer in China produzieren will, kann sich den großen Marken anhängen“, sagt Vesely.

Ich komme relativ einfach in die Fabriken – besonders, wenn ich einen Kunden habe“

Er hat etliche Fabriken gesehen – die ganz großen und die ganz kleinen. Als Student im Auslandssemester ließ Vesely sich vom größten Skateboard-Händler Asiens zum Fabrik-Sucher ausbilden. Jetzt handelt der Ulmer nicht nur mit Skateboards, er vermittelt auch Firmen an Unternehmen aus der westlichen Welt. „Ich komme relativ einfach in die Fabriken – besonders, wenn ich einen Kunden habe“, berichtet Vesely.

Der 30-Jährige hat die Erfahrung gemacht, dass die Chinesen die Deutschen für Fleiß, Ordnung und Präzision bewundern. Auch die kleinste Straßen-Fabrik arbeite so schnell wie möglich und nach den aus eigener Sicht höchsten Qualitätsansprüchen. Nur deckten sich die Ansprüche nicht unbedingt mit den deutschen Erwartungen.

Krasse Gegensätze in der Millionenstadt

So groß wie die Unterschiede zwischen den Fabriken sind, so groß sind auch die Unterschiede in Guangzhou selbst. Da gibt es ärmliche, ländliche Regionen. Und da gibt es das Zentrum mit seinen Wolkenkratzern, Gebäuden aus Marmor und einer fahrerlosen Metro aus Glas. „Guangzhou ist komplett verrückt“, sagt Vesely. Er schätzt die Nähe zu den Fabriken und zu anderen Start-up-Gründern, die günstigen Lebensmittel – und das Wetter.