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„Mich hat’s gebissen“: Pfuhler in der Rolle seines Lebens

Ulm / Lesedauer: 6 min

Am Michelsberg kam er zu Welt, er lebt in Hamburg – Jetzt spielt Philip Schwarz im Musical auf der Wilhelmsburg
Veröffentlicht:21.07.2021, 11:00

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Wenn Philip Schwarz mit den Vampiren kämpft und sich drei lüsterne Blutsaugerbräute auf ihn werfen, wenn er um sein Leben singt und am Ende des Abends dafür den großen Applaus erntet – dann schließt sich ein Kreis. Auf der Ulmer Wilhelmsburg spielt Philip Schwarz gerade den Vampirjäger Jonathan Harker , in Frank Wildhorns Musical „Dracula“. Und nur ein paar Hundert Meter entfernt von der Festung ist der Schauspieler geboren: Am Michelsberg, in einer Ulmer Klinik kam er zu Welt, in Pfuhl, Neu-Ulm, wuchs er auf. Jetzt gibt das Multitalent im Sommermusical des Theaters Ulm den Guten, den adretten Sympathieträger, den Liebenden mit mächtig Mut. Und jeden Abend, wenn der Kampf gegen den Vampirfürsten ausgefochten ist – kehrt Schwarz zurück in sein Sommerquartier, ins Elternhaus im beschaulichen Pfuhl. Hier spürt er: „Heimat ist da, wo das Herz aufgeht“, sagt Philip Schwarz.

Was Schwarz, als Wahl-Hamburger, an Pfuhl so gefällt? „Dieses Lebensgefühl, die Menschen, die Donau, frische Brezen. Hier ist das Leben ein bisschen entschleunigt. Man kommt in seine alte Heimat und vieles ist unverändert.“ Lieblingsplätze finde er fast überall, wo er spielt und singt – in Wien, Hamburg oder Heilbronn. In New York zieht es ihn immer an den Broadway und in den Central Park. Aber Pfuhl ist ihm anders vertraut: „Hier ist mein Elternhaus, hier bin ich aufgewachsen, hier habe ich im Garten gespielt, Puppentheater inszeniert und Sommerfeste mit Freunden gefeiert.“

Die Lust an der Kreativität liegt in der Familie: Philip Schwarz’ Vater war Journalist beim Bayerischen Rundfunk, seine Mutter Balletttänzerin in Ulm . Sieben Jahre alt war Philip Schwarz, da zog er mit der Mutter nach Hamburg. Hier wurde das Multitalent bald flügge: In Hamburg studierte an der renommierten „Stage School“, seine Schauspielqualitäten schärfte er am Wiener Konservatorium. Seither tanzt Schwarz in allen Sparten.

Er ist der strahlende, frische Typ für Katie-Fforde-TV-Romanzen (Folge: „Wachgeküsst“, 2019). Wenn er nicht bei „Notruf Hafenkante“ oder den „Rettungsfliegern“ für Serien-Episoden im Einsatz ist, spricht er bei „Feuerwehrmann Sam“ eine feste Hörspielrolle. „Ausritte“ führten ihn schon nach Bad Segeberg, als „Halbblut“ oder Indianer bei den Karl-May-Spielen. Er schwärmt: „Die Arbeit mit den Pferden war einfach fantastisch.“ In der „Feuerzangenbowle“ spielte er am Berliner Kurfürstendamm, auch eine Schlagerrevue hat er im Repertoire. Aber Musical? Diese Disziplin hatte der Tenor eine Zeit lang aus dem Blick verloren. Bis das Theater Ulm anklopfte. Schwarz erlebte, mitten in Corona, sein erstes Vorsingen live über Zoom. Intendant, Regisseur, Dirigent, alle blickten und horchten und ihnen gefiel, was sie sahen.

Eine Traumrolle, noch dazu in Ulm – Schwarz zögerte nicht: „Ich hatte schon als Kind eine starke Faszination für Vampire, für die Dracula-Geschichte. Und diese Rolle des Jonathan Harker passt einfach zu mir. Mir war klar: Ich muss diese Figur spielen.“

Harker ist der junge Anwalt, der Seriöse, und vielleicht kribbelt da die Neugier in Schwarz, der sich als Junge auch gut vorstellen konnte, Jura zu studieren. Ganz solide. So trocken geht es bei Dracula allerdings nicht zu: „Ich finde es spannend, wie Jonathan um seine Mina kämpft, die Strapazen im transsilvanischen Schloss meistert und dadurch eine Verwandlung durchmacht.“

In Frank Wildhorns Blutsaugerwerk (sein größter Hit bislang: „Jekyll & Hyde“), in einer komplexen, dichten Handlung, muss Schwarz seine Rolle finden. Zig Gedanken habe er dafür gewälzt: Er blätterte im Roman-Original von Bram Stoker, sah Dracula-Filme von alt und schwarz-weiß bis „Twilight“ auf Netflix. „Die Recherche im Vorfeld ist mir enorm wichtig. Weil mir das Futter für meine Figuren gibt. Dafür nehme ich mir bei meinen Rollen immer ausgiebig Zeit.“ Und diese Zeit gab ihm die Pandemie. Acht Wochen lang konnte das „Dracula“-Ensemble in Ruhe proben – abgesichert, bei ständiger Corona-Testung.

Der Fürst aller Vampire hat es auf Harkers Liebste abgesehen. Dabei überzeugt dieser Dracula mit Wucht, Charme und Charakter in der Stimme. Thomas Borchert spielt „Dracula“ – er ist eine Größe in der Szene, er ist der Graf Krolock schlechthin aus dem Musical „Tanz der Vampire“. „Als ich mit meiner Ausbildung in Hamburg begann, war Thomas Borchert schon ein bekannter Musicaldarsteller“, erinnert sich Schwarz. Aber der Mann aus Pfuhl hat da keine Manschetten. Mit Stars spielt er immer wieder, mit Tatort-Kommissarin Sabine Postel oder auch Eva Habermann. Trotzdem: Natürlich hat Schwarz früher Borcherts CDs gehört, und eine Zeit lang nahm er Gesangunterricht bei Borcherts ehemaligem Lehrer. Die Wege kreuzen sich inzwischen und jeder kennt jeden in der Musical-Familie.

Schwarz verrät, dass er genau beobachte, was er von den Kollegen, von solchen Hochkarätern lernen kann. Borchert bringt nicht nur eine starke physische Kraft auf der Bühne, als breitschultrige Dracula-Schattengestalt: „Er hat eine direkte, sehr gerade Art zu singen, die mitten ins Herz trifft.“ Keine Schnörkeleien oder Kapriolen, keine Musical-Klischees in der Phrasierung – uneitel.

Musical ist Mehrkampf, ein Extremsport auf dem Feld der Kunst. Schwarz muss Gesang, Schauspiel und Tanz jonglieren, alles zugleich. Schwarz liebt dabei Rollen mit gehörig Action und psychologischem Drama. Ihn interessieren die gebrochenen Figuren, an denen er forschen kann: Warum ist dieser Mensch so geworden, wie er ist? Was hat er erlebt? So entstehen diese einzigartigen Musical-Momente, immer scharf an der Kante des Gefühlsausbruchs: „Wenn ich im Musical eine Szene spiele und Worte nicht mehr genügen, um diese großen Gefühle auszudrücken, dann packe ich meine Emotion in die Musik, den Gesang.“

In Deutschland lächeln manche über das Genre, über vermeintlich leichte Muse, Mamma Mia und Mary Poppins. Doch als Schwarz in Wien „Elisabeth“ sah, das Sisi-Musical, blieb keine Frage offen. Für solche intensiven Stücke hat er Musical studiert. Auch die Erfahrung in Ulm scheint ihn zu beflügeln: „Mich hat’s wieder gebissen.“ Für neue Musical-Anfragen ist er offen.

Die Kulturszene erwacht, Vorspiele und Vorsingen finden wieder statt. Im Sommer schneiten zwei Drehanfragen bei Schwarz herein. Episodenrollen für Serien in Hamburg. „Die musste ich wegen Dracula absagen – aber das war es mir wert“, erzählt er. Und so genießt er die Tage in der Heimat, die Arbeit am Michelsberg in der Burgkulisse. „Es gab natürlich immer die leise Sorge, dass doch ein Corona-Fall im Ensemble auftreten könnte. Aber es gab keinen einzigen, so blieb alles entspannt.“

Wenn da nicht der Dauerregen wäre. Die Zuschauer sitzen im Trockenen – aber für die Darsteller wird eine patschnasse, überschwemmte Bühne zur Gefahr. Einmal sei er fast ausgerutscht und weggeschlittert. Ein Raunen ging durchs Publikum. Doch: „Richtig unangenehm wird es, wenn ich in einer langen Szene bewusstlos auf der Chaiselongue liege und mir der Regen ins Gesicht tropft“, sagt Schwarz. Aber das kann einen waschechten Vampirjäger nicht ernsthaft erschüttern.