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Kindeswohl

Gewalt gegen Kinder nimmt zu

Ulm / Lesedauer: 3 min

Die Bilanz der vergangenen zehn Jahre ist erschreckend
Veröffentlicht:15.11.2018, 20:26

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Die Gewalt gegen Kinder in Ulm nimmt zu. Im laufenden Jahr wurden bei der Stadt Ulm bereits 170 Fälle, in denen das Kindeswohl gefährdet war, aktenkundig. Im vergangenen Jahr waren es 143 und in den Jahren zuvor 120 bis 130. Diese Zahlen stellte Siegfried Sauter , der Leiter der städtischen Abteilung Familie, Kinder und Jugendliche nun vor.

Und auch Bettina Müller , Leiterin des Ortsverband Ulm/Neu-Ulm des Kinderschutzbundes hat wenig Ermutigendes zu berichten: Über 200 Kinder im Jahr werden im Jahr wegen körperlicher, emotionaler oder sexueller Gewalt sowie bei Vernachlässigung betreut.

Die Zahlen sind in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen“

Davon fast die Hälfte wegen sexuellen Missbrauchs. Weitere 116 Kinder mit Gewalterfahrungen mussten im laufenden Jahr abgewiesen werden, weil schlichtweg die Kapazitäten des Ortsverbandes längst am Limit seien. „Die Zahlen sind in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen“, sagt die Diplom-Psychologin, die seit 2017 den Kinderschutzbund Ulm/ Neu-Ulm leitet, aber schon eine Jahrzehnt an Bord ist.

Zehn Jahre alt hat auch schon der „Runde Tisch Häusliche Gewalt“, an dem sich regelmäßig Akteure, von Polizei , Jugendamt, Kinderschutzbund und Frauenberatungsstellen treffen, um gemeinsam besser helfen zu können. Die Kinderschutzbund-Chefin Müller sowie der Jugendamtsleiter Sauter sehen vielfältige Gründe für den Anstieg an Gewalt gegen Kinder. „Die Menschen sind ja nicht schlechter geworden“, sagt Sauter. Doch die Sensibilität in der Bevölkerung für das Thema habe zugenommen, sodass heutzutage mehr Anzeigen gestellt würden.

Stress als Grund

Müller sieht zudem einen gestiegenen Stressfaktor als einen Grund für die Zunahme von Schlägen gegen Kinder: Eine immer höhere Arbeitsbelastung etwa, würde auf Kosten der Familie gehen. Und zunehmend würden von Gewalt betroffene Kinder sich – etwa animiert durch Flyer – selbstständig beim Kinderschutz um Hilfe bitten.

In neun von zehn Fällen sehen die gewalttätigen Männern die Schuld bei der Frau.“

Die Zahl der Fälle von häuslicher Gewalt unter Erwachsenen ist nach Einschätzung von Rainer Türke, als Ordnungsamtsleiter Vertreter der Ortspolizeibehörde, gleichbleibend hoch. In etwa 15 bis 20 Fällen pro Jahr verhängt die Polizei in Ulm eine Verlängerung des „Aufenthaltsverbots“ nach dem Polizeigesetz, das Frauen von ihren gewalttätigen Partnern schützen soll. Mit zum polizeilichen Prozedere gehöre auch eine Gefährderansprache, die meist auf wenig Verständnis stoße: „In neun von zehn Fällen sehen die gewalttätigen Männern die Schuld bei der Frau.“ Türke weiß freilich, dass die Dunkelziffer an häuslicher Gewalt um ein wohl Vielfaches höher ist.

Einig sind sich sämtliche Akteure des Runden Tisches, dass sich die Gewaltproblematik durch sämtliche sozialen Schichten ziehe. Anja Schlumpberger, die Vorsitzende des Vereins „Frauen helfen Frauen“ berichtet von einer „großen Hilflosigkeit“ von Frauen, die mit einem gewalttätigen Partner zusammen leben. In Deutschland habe einer Studie zufolge jede fünfte bis siebte Frau körperliche oder sexuelle Übergriffe durch den Partner erlebt. Oft stehe Macht und Kontrolle im Zentrum des Handeln des Mannes.

Täterperspektive in die Arbeit integrieren

Auch die Täterperspektive sitzt seit einem Jahr indirekt mit am Runden Tisch: Mario Stahr betreut in einem auf drei Jahren angelegten Projekt der Diakonie Ulm prügelnde Männer. Sein Motto: „Gewalttätigkeit ist nicht angeboren. Sie können damit aufhören.“ Mit 15 Männern hat er seitdem gesprochen. Nur einer sei komplett uneinsichtig gewesen und habe weitere Gespräche verweigert. Als einen Mosaikstein bezeichnet Diana Bayer, die Leiterin des Frauenbüros das neue Angebot. Nur im Zusammenwirken aller Akteure könnte die Interventionskette funktionieren, die weitere Gewalt verhindern sollten.