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Gerüchte in Sozialen Netzwerken rufen immer öfter die Polizei auf den Plan

Ulm / Lesedauer: 6 min

Im Netz kursieren viele Gerüchte. Manche davon beunruhigen die Menschen und schüren Ängste, wie Fälle in der Region zeigen.
Veröffentlicht:05.02.2019, 18:10

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Stille Post 2.0 – dieses Phänomen beschäftigt die Polizei immer öfter. Denn Gerüchte, die sich über Whatsapp , Facebook & Co. rasend schnell verbreiten, sind nicht immer harmlos. Manchmal sind es Nachrichten, die verunsichern, die Angst einjagen – und die nicht selten schlichtweg erfunden sind oder zumindest mit den Tatsachen nicht mehr viel zu tun haben.

Meistens läuft das so: „Dem Freund eines Freundes eines Freundes ist etwas passiert. Dieser Vorfall wird dann ungeprüft vertextet und verbreitet, verbreitet, verbreitet“, erklärt Christian Eckel , Pressesprecher des Polizeipräsidiums Schwaben Süd/West. Wie gehen die Ermittler vor, wenn sie auf solche Nachrichten aufmerksam werden? Was machen Gerüchte mit der Gesellschaft? Und was droht demjenigen, der sie in die Welt setzt?

Bellenberg, 2017 : Eltern sind alarmiert. Eine fremde Frau soll Kinder auf dem Schulweg angesprochen haben, um sie im Auto mitzunehmen. Die Geschichte wird weiter erzählt. Die Polizei ermittelt schließlich eine Bellenbergerin, die tatsächlich einräumt, Schulkinder angesprochen zu haben. Sie habe sich Sorgen gemacht, weil diese im Straßenverkehr nicht richtig aufgepasst hätten, so die Polizei. Umstehende hätten dies wohl falsch interpretiert.

Fälle wie dieser sind Eckel nicht fremd: „Derartige Nachrichten – ,Ich habe gehört, dass Kinder angesprochen wurden, passt auf’ – registrieren wir regelmäßig und sie halten uns immens auf Trab.“

Jeder Hinweis wird ernst genommen

Denn jeder Hinweis werde ernst genommen, wie Eckel sagt. Die Polizei erfahre in der Regel von den Meldungen, die im Netz die Runde machen – und zwar auf unterschiedliche Weise: Verunsicherte Bürger melden sich, Beamte sind dienstlich oder privat im Internet unterwegs und stoßen auf Ungereimtheiten, Journalisten fragen nach dem Wahrheitsgehalt einer Geschichte.

„In vielen Fällen gelingt es durch einen erheblichen Aufwand, Klarheit zu schaffen“, sagt der Polizeisprecher. Die Ermittler tauschen sich je nach Fall mit Polizeikollegen, anderen Behörden, mit Schulen oder Vereinen aus. Manchmal können Vernehmungen und Überwachungen folgen. Wird es nötig, den Urheber oder Verbreiter der Meldung ausfindig zu machen, nehmen Polizisten, die für diese Art von Ermittlung geschult sind, mit Betreiberfirmen Kontakt auf. Wenn es kompliziert wird – zum Beispiel weil die Identität des Urhebers bewusst verschleiert wurde –, dann können Internetkriminalisten der Kriminalpolizeien den Fall übernehmen.

Babenhausen, 2018 : Im Unterallgäu und im Landkreis Neu-Ulm ploppen Whatsapp-Nachrichten auf. Drei dunkelhäutige Männer sollen am frühen Morgen einen Deutschen überfallen haben. Auch die AfD-Ortsgruppe publiziert einen entsprechenden Post auf ihrer Facebook-Seite. Die Polizei teilt mit: Die Geschichte stimmt so nicht. Es gab eine Rangelei zwischen zwei offenbar angetrunkenen Männern. Einer bekam einen Faustschlag ab, der andere verschwand unerkannt.

Polizeisprecher Eckel erklärt, welche Motive bisweilen hinter Gerüchten stecken. Demnach können Hetze, Langeweile oder Geltungsbedürfnis zur Verbreitung vorsätzlicher Lügen führen. „Das spielt bei uns aber eine untergeordnete Rolle“, sagt er. Für üblich handeln Ersteller und Teiler ihm zufolge gutgläubig, weil sie den zugrunde liegenden Vorfall ernst nehmen und andere davor bewahren wollen.

Geschichte kann sich verändern

Wie bei der klassischen Flüsterpost kann sich die Geschichte allerdings mit der Zeit ändern – sie wird ergänzt, verfälscht, mehrere Versionen entstehen. Und diese wiederum können plötzlich für sich stehen, sodass die Menschen die Wahrnehmung haben: Es gab sogar mehrere Personen, denen so etwas passiert ist! Medienfroscher Stephan Russ-Mohl – aufgewachsen in Memmingen und Gründer des Europäischen Journalismus-Observatoriums – ist der Meinung: „Sehr oft gibt es Nutznießer.“ Oftmals gehe es auch nur darum, Chaos zu stiften. Mittlerweile sind Trolle oder Social Bots im Netz eingesetzt, die negative Stimmung machen und provozieren.

Was das auflösen kann? „Das hängt vom jeweiligen Gerücht ab. Im dümmsten Fall Radikalisierung und Fehlentscheidungen: ,Ich bin gegen alle Asylbewerber’ oder ,Ich wähle xyz’ oder eben ,Ich lasse meine Kinder nicht impfen’“, erklärt der Medienexperte. Polizeihauptkommissar Eckel spricht von einer „erheblichen Störung des Sicherheitsgefühls“, die auf diese Weise entstehen kann.

Illertissen, 2018 : Ein Foto macht die Runde, es zeigt einen dunkelhäutigen Mann, der von anderen festhalten wird. Er soll „vermutlich versucht“ haben, am Weiherspielplatz ein Mädchen zu entführen oder zu vergewaltigen, heißt es. Die Aufregung ist groß. Die Polizei teilt mit, dort tatsächlich einen Mann festgenommen zu haben. Das Verfahren wird letztlich allerdings eingestellt. Laut Staatsanwalt haben sich keine nachweisbaren Anhaltspunkte für ein strafbares Handeln ergeben.

Narrenfreiheit für Gerüchte?

Haben diejenigen Narrenfreiheit, die Gerüchte im Web platzieren und verbreiten? Mitnichten. Eine pauschale Antwort will Staatsanwalt Thomas Hörmann jedoch nicht geben. „Entscheidend ist immer, ob Tatsachenbehauptungen bewusst wahrheitswidrig aufgestellt werden und der Täter das auch weiß.“ In Betracht kämen bei solchen Äußerungen im Netz zum Beispiel die Straftatbestände der falschen Verdächtigung, des Vortäuschens einer Straftat, der üblen Nachrede, Verleumdung, Volksverhetzung – was stets bestimmter Voraussetzungen bedarf.

Zudem sei etwa bei einer Beleidigung zu prüfen, bis zu welchem Punkt es sich noch um freie Meinungsäußerung handelt. „Auch die Verbreitung kann natürlich strafrechtlich relevant werden, wenn sich jemand die Aussage eines anderen bewusst zu eigen macht“, erklärt Hörmann. Der Strafrahmen hängt vom jeweiligen Vorwurf ab – und kann von einer Geldstrafe bis zu mehreren Jahren Haft reichen.

Ulm, 2019 : Unbekannte sollen aus einem Auto heraus Kinder in den Ulmer Stadtteilen Mähringen und Lehr angesprochen haben. Dort haben die Schönenberg-Grundschule und deren Außenstelle ihren Sitz. Etwa zehn Hinweise von Müttern gehen bei der Ulmer Polizei ein, eine Frau meldet einen Wagen mit einem auswärtigen Kennzeichen. Schulleiter Christian Armbruster verfasst einen Elternbrief, in dem er die Warnungen beschreibt. Die Ulmer Polizei fährt in der Umgebung der Schulen vermehrt Streife und überprüft alle Hinweise sofort. „In keinem der Fälle hat sich der Verdacht bestätigt“, sagt Polizeisprechen Holger Fink. Beim Wagen mit dem auswärtigen Kennzeichen habe es sich um ein Firmenauto eines Vaters gehandelt.

Tempo im Netz hat sich erhöht

Das Tempo im Netz hat sich in den vergangenen Jahren erhöht. Ist ein Gerücht erst einmal in der Welt, lässt es sich schwer ausbremsen. „Leider verbreitet sich Unfug meist sehr viel schneller als entsprechende Korrekturen“, sagt Medienforscher Russ-Mohl. Das bestätigt Polizeisprecher Eckel. Was tatsächlich dran ist, das verhalle oft oder werde nicht in privat betriebene Netzwerke eingespeist. Er appelliert deshalb, Gerüchte gar nicht erst ungeprüft zu teilen, sondern sie zu verifizieren. „Wer von solchen Sachverhalten Kenntnis erlangt, sollte mit der Schule, der Polizei oder den angeblichen Betroffenen selbst Kontakt aufnehmen“, rät er.

Russ-Mohl ist der Meinung, dass die Menschen im Umgang mit Nachrichten im Web geschult werden müssten: „Hier haben sowohl die Schulen als auch die Medien eine große Herausforderung zu bewältigen. Und natürlich auch Eltern gegenüber ihren Kindern. Nur: Eine Schulung ist leichter gesagt als getan.“ Dass sich Menschen auf Gerüchte stürzen, liege auch daran, dass vor allem junge Leute oft nicht bereit seien, für Recherche und Faktenprüfung angemessen zu bezahlen – am Kiosk, im Abo oder online.