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Hauptbahnhof

Der ganz normale Großstadt-Wahnsinn

Ulm / Lesedauer: 4 min

Der Mord in der Schillerstraße richtete den Blick der Ermittler auf den Hauptbahnhof
Veröffentlicht:09.06.2017, 18:19

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Freitagnacht in Ulm am Hauptbahnhof: Partyvolk mischt sich mit Zugreisenden und Heimatlosen. Ein offensichtlich volltrunkener Mann, der eine speckige Lederjacke trägt, wird von der Bundespolizei aus dem Bahnhofsgebäude begleitet. Vor der Tür übergibt er sich, was von Jugendlichen, die am Bauzaun lehnen, mit höhnischem Applaus bedacht wird. Eine Bierflasche fällt herunter, niemand hebt die Scherben auf.

Der Ulmer Hauptbahnhof kann ein äußerst unwirtlicher Ort sein, an dem sich – wie fast in allen Großstädten - die Probleme bündeln: Alkoholismus und Drogen sind allgegenwärtig. Nicht zuletzt der Fall des getöteten 64-Jährigen, dessen Leiche nach einem Wohnungsbrand in der Ulmer Schillerstraße gefunden worden war, richtete den Blick der Ermittler auf den Hauptbahnhof.

Der 15-jährige Tatverdächtige hatte, wie berichtet, zugegeben, auf den Mann eingestochen und anschließend den Brand im Mehrfamilienhaus gelegt zu haben. Weitere Einzelheiten nennen weder Staatsanwaltschaft noch Polizei , weil der geständige Täter noch minderjährig ist. Somit kann über das Verhältnis zwischen Täter und Opfer nur gemutmaßt werden. Die beiden dürften sich am Ulmer Bahnhof kennengelernt haben, wie die Polizei auf Nachfrage sagte. Der wohnsitzlose 15-jährige deutsche Staatsangehörige habe sich oft dort aufgehalten. Der 64-Jährige lebte in unmittelbarer Nähe zum Bahnhof, habe dort regelmäßig Gaststätten besucht.

Fragen ergeben sich: Was bringt einen 64-jährigen Mann und einen 15-jährigen Wohnsitzlosen zusammen? Licht auf die Hintergründe des mysteriösen Tötungsdelikts in der Schillerstraße wird die kommende Verhandlung vor dem Landgericht auch nur bedingt bringen: Der Prozess wird vermutlich nicht-öffentlich sein, weil der Täter noch minderjährig ist.

Gaststätten mit zweifelhaftem Ruf

Einige Gaststätten rund um den Bahnhof haben einen zweifelhaften Ruf. Fakt ist: Wer zu Fuß und alleine in Richtung Ehinger Tor läuft, muss oft nur Minuten warten, bis mutmaßliche Dealer den Augenkontakt suchen.

Ab und an schlägt die Polizei zu: Erst vor zehn Tagen wurden laut Polizeibericht zwei Männer am Hauptbahnhof aufgegriffen. 200 Gramm Amphetamin, 240 Ecstasy-Tabletten, 25 Gramm psilocybinhaltige Pilzen sowie Haschisch und Marihuana hatten sie dabei. Für eine etablierte „Drogen- oder Stricherszene“ im Hauptbahnhof liegen der Bundespolizei dennoch keine Erkenntnisse vor, wie Daniel Kroh von der für Ulm zuständigen Bundespolizeiinspektion Stuttgart sagt. Auch Streetworker, mit denen unsere Zeitung gesprochen hat, sehen keine Prostitutionsprobleme am Bahnhof.

Doch wie bei einem Prozess rund um einen versuchten Mord im November vergangenen Jahres öffentlich wurde, werde eine schmale Seitengasse der Bahnhofstraße in einschlägigen Kreisen „Puffgasse“ genannt. Nach Ladenschluss soll laut einer Zeugenaussage hier die Straßenprostitution blühen und Drogen mehr oder weniger offen gehandelt werden.

Als „leicht ansteigend, aber dennoch auf niedrigem Niveau“ bewertet die Bundespolizei die Entwicklung der Drogendelikte im Ulmer Hauptbahnhof. Allerdings seien in unmittelbarer Bahnhofsnähe Arztpraxen ansässig, die Substitutionsbegleitungen durchführen, was dazu führe, das „entsprechende Personengruppen“ oft am Bahnhof anzutreffen seien.

Methadon-Verkäufe sind an der Tagesordnung

Bei der Substitutions-Therapie wird eine illegale Substanz, wie etwa Heroin, durch ein legales, jedoch ebenfalls abhängig machendes verschreibungsfähiges Medikament ersetzt. Dadurch soll beispielsweise die Beschaffungskriminalität reduziert werden. Einige Drogenkranke verkauften in Bahnhofsnähe ihr Methadon weiter.

Das gesamte Straftatenaufkommen im Ulmer Hauptbahnhof bilanziert die Bundespolizei derzeit als rückläufig und wenig auffällig. Analog wird das bei der Ulmer Polizeidirektion bewertet: „Keine auffällige Entwicklung“ erkennt Wolfram Bosch von der Pressestelle. Allerdings schränkt Bosch ein: „Wo sich viele Leute treffen, passiert mehr.“

Die oft trinkenden und manchmal auch randalierenden Jugendgruppen hat die Polizei im Blick: „Im Rahmen der täglichen Dienstwahrnehmung fallen Personen aus der Punker- und Drogenszene auf“, sagt Kroh in bestem Behördendeutsch. Allerdings ist durch die derzeitige Baustelle der frühere Treffpunkt vor dem Schnellrestaurant weggefallen. Probleme mit der Abstimmung gebe es nicht: Denn vor dem Bahnhof ist per Gesetz die Landespolizei, also die Ulmer Polizeidirektion, zuständig. Und im Bahnhof die Bundespolizei. Wenn es Probleme gebe, werde auch über diesen räumlichen Zuständigkeitsbereich hinaus gehandelt.