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Hubschraubergeschwader

Bundeswehr: So marode ist die Truppe wirklich

Ulm / Lesedauer: 6 min

Das „Verfügbarkeitsmanagement“ sorgt für Frust bei der Truppe – Ministerin von der Leyen „beschönigt die Hauptprobleme“
Veröffentlicht:20.02.2018, 19:15

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Zwölf von 36 Transporthubschraubern beim Hubschraubergeschwader in Laupheim sind startklar. Kein einziges der sechs deutschen U-Boote ist einsatzbereit. Die Panzerlehrbrigade 9 in Munster, die als „Speerspitze“ der Nato vorgesehen ist, meldet gerade neun von 44 benötigten Panzern in brauchbarem Zustand.

Selbst bei Winterbekleidung, Nachtsichtgeräten und Zelten herrscht Mangel: Fast täglich werden derzeit Listen erstellt, was bei der Bundeswehr nicht fliegt, nicht taucht, nicht fährt oder schlicht fehlt.

Und dann ein neuer Skandal beim Ausbildungszentrum Spezielle Operationen in Pfullendorf: Als der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hans-Peter Bartels (SPD) am Dienstag in Berlin seinen Jahresbericht vorstellt, spricht der „Anwalt der Soldaten“ vor allem über Defizite, Fehlleistungen und mangelndes Vertrauen der Truppe in ihre Führung.

Trotz erheblicher Reformanstrengungen hat sich der Zustand der Bundeswehr Bartels’ zufolge nicht verbessert. Die Lücken bei Personal und Material seien teils noch größer geworden. 21 000 Dienstposten von Offizieren und Unteroffizieren seien nicht besetzt. Das Resultat: Überlastung und Frustration. „Gleichzeitig ist die materielle Einsatzbereitschaft der Truppe in den vergangenen Jahren nicht besser, sondern tendenziell noch schlechter geworden“, sagt Bartels. Die Einsatzbereitschaft der Waffensysteme sei „dramatisch niedrig“. Die eingeleiteten Trendwenden müssten „deutlich mehr Fahrt aufnehmen“.

Im politischen Berlin dreht sich, noch während Bartels spricht, die Erregungsspirale. Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Volker Wieker, weist pflichtgemäß Berichte über mangelnde Ausrüstung und Einsatzbereitschaft der Truppe zurück. Die Soldaten leisteten hervorragenden Dienst. „Mir jedenfalls sind sowohl in Deutschland als auch von unseren Verbündeten keine Klagen zu Ohren gekommen“, sagt er. Die Truppe sei ausreichend ausgerüstet, um ihre Bündnis- und Einsatzverpflichtungen zu erfüllen, kontert der oberste deutsche Soldat, räumt aber ein, dass die Einsatzbereitschaft noch nicht zufriedenstellend sei. Um die Lücken bei der Bundeswehr zu schließen, habe man einen Entwicklungsplan bis zum Jahr 2030 aufgelegt.

Meldungen drücken auf die Moral

Um zu verstehen, was der Generalinspekteur unter „ausreichend ausgerüstet“ meint, hilft ein Blick auf das Hubschraubergeschwader 64 im oberschwäbischen Laupheim: Dort stehen, während sich Politiker und Militärs in Berlin streiten, 36 schwere Transporthubschrauber vom Typ CH-53 in den Hangars. Sie können jeweils bis zu 36 Soldaten samt Ausrüstung transportieren. Die Bundeswehr fliegt diesen Typ seit 1972, ein Nachfolgemodell soll frühestens im Jahr 2023 in Laupheim eintreffen. „Zwölf dieser Hubschrauber sind heute startklar, der Rest nicht“, teilt ein Sprecher der Luftwaffe mit. Fünf weitere Maschinen seien in Afghanistan, sechs Helikopter in externer Wartung. Immerhin: 12 von 14 kleineren Mehrzweckhubschraubern, mit denen Spezialkräfte transportiert werden können, sind startklar.

„Solche Meldungen drücken auf die Moral der Truppe, die Motivation schwindet zusehends“, berichtet Hauptmann Florian Kling: „Wer hat schon Lust in einem Betrieb zu arbeiten, der tagtäglich miese Schlagzeilen produziert?“ Kling ist Sprecher des Arbeitskreises „Darmstädter Signal“. Der Zusammenschluss aktiver und ehemaliger Bundeswehrmitglieder hat sich zum Ziel gesetzt, die Bundeswehr und Verteidigungspolitik als „Staatsbürger in Uniform“ kritisch zu begleiten. Heute spricht Kling für Soldaten, „die einfach nur ihre Arbeit tun wollen: Immer, wenn etwas passiert, sind 95 Prozent der Uniformträger, die für Deutschland Gutes tun und sich für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einsetzen wollen, betroffen.“ Die Defizite bei einsatzgerechter Ausrüstung seien „Ausdruck fehlender Wertschätzung, Anerkennung und Achtung der Soldaten durch die Politik.“

Alltagsdienst soll verbessert werden

Kling sieht vor allem das Vertrauen in die Führung der Bundeswehr, vor allem in Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU), schwer beschädigt. Die Ressortchefin hatte der Truppe 2017 pauschal „Haltungsprobleme“ bescheinigt – und sich danach entschuldigt. Dennoch: „Seither hat sich das Vertrauen dramatisch verschlechtert“, kritisiert Kling und bekräftigt: „Sie beschönigt die Hauptprobleme.“ Aus Furcht vor negativen Konsequenzen melden nach Klings Wahrnehmung militärische Vorgesetzte Defizite bei Ausrüstung oder Ausbildung nicht mehr oder nur geschönt an ihre vorgesetzten Dienststellen. „Angst und Absicherungsmentalität sind inzwischen an der Tagesordnung.“ Weiter habe das Verteidigungsministerium den normalen Dienstweg weitgehend außer Kraft gesetzt und verschiedene Hotlines, beispielsweise für Missbrauchsfälle, eingerichtet: „So werden die Vorgänge skandalisiert!“

Zurück ins politische Berlin. Der Wehrbeauftragte schlägt am Dienstag „Fast-Track-Projekte“ vor, um den Alltagsdienst von Soldaten zu verbessern, etwa durch die schnelle Beschaffung von Stiefeln, Funkgeräten oder Nachtsichtbrillen. „Viele Soldatinnen und Soldaten wünschen sich an der einen oder anderen Stelle eine Art Befreiungsschlag im Sinne schneller Beschaffungspakete.“ Und warum passiert nichts? Bartels klingt wenig optimistisch: „Weil alles nach Schema F abgewickelt wird.“

Nachtsichtbrillen? Ausgeliehen!

Dieses Schema kennen beispielsweise die Soldaten der Panzerpionierkompanie 550 in Stetten am kalten Markt (Landkreis Sigmaringen) aus eigener, bitterer Erfahrung. Alle gut 200 Männer und Frauen der Einheit sind auf dem Papier mit einer Nachtsichtbrille ausgestattet. In der olivgrünen Wirklichkeit aber muss die Kompanie immer wieder ihre Geräte – vom Nachtsichtgerät bis zum Bergepanzer – an Einheiten ausleihen, die im Auslandseinsatz, in der Vorbereitung auf Missionen oder auf Übungen nicht über genügend eigenes Material verfügen. In der Bundeswehr ist dies politisch seit Jahren gewollt: „Verfügbarkeitsmanagement“ heißt es hinter Kasernenmauern, „Mangelverwaltung“ sagt der Zivilist. „Das führte dazu, dass wir zeitweise noch genau drei Nachtsichtgeräte in der Kompanie hatten“, sagt ein Offizier, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Entsprechend gering sei die Motivation junger Kameraden, sich längerfristig beim Bund zu verpflichten: „Wer will schon auf der Stube herumsitzen, weil für einen geregelten Übungsbetrieb nicht genügend Fahrzeuge, Waffen, Geräte vorhanden sind?“ Frust sei die Folge, Gammeldienst, Langeweile.

Russland als Bedrohung

Unterstützung bei der Beschaffung von Munition und beim Gerät erhalten Einheiten wie die Stettener Pioniere vom Deutschen Bundeswehrverband. Verbandsvorsitzender André Wüstner sagte am Dienstag: „Jetzt muss beschleunigt werden.“ Die Politik erhöhe zwar die Zahl der Aufträge und Einsätze, unterfüttere diese aber nicht. Wüstner weiß: Union und SPD haben im Koalitionsvertrag vereinbart, die Bundeswehrtruppen in Afghanistan und Mali aufzustocken. Zudem will von der Leyen künftig den ganzen Irak mit einer Ausbildungs- und Beratungsmission unterstützen.

Neben den Einsätzen im Ausland rückt für die Bundeswehr angesichts der als bedrohlich wahrgenommenen russischen Außenpolitik auch die Landes- und Bündnisverteidigung wieder stärker in den Fokus. Mit dem vorhandenen Gerät seien diese Aufträge nicht zu stemmen, meint der Bundeswehrverband. „Das muss sich in den nächsten drei Jahren verändern. Das Jahr 2018 wird eine Art Jahr der Wahrheit.“ Wüstner sieht nicht nur das Ministerium, sondern auch den Bundestag in der Pflicht, die Ausrüstung zu verbessern. „Ich hoffe, dass sich spätestens im März der Verteidigungsausschuss mit der Einsatzbereitschaftslage auseinandersetzt – mit der Belastung der Truppe, aber auch mit dem Finanzbedarf. Das ist jetzt elementar.“