Lesung

„Wir sind dabei gewesen“

Laichingen / Lesedauer: 5 min

Herausragendes Zusammenspiel von Musik und Komponisten-Briefen in Laichingen
Veröffentlicht:21.03.2019, 17:58

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Mit einem unvergesslichen Abend sind die zahlreich erschienenen Gäste bei einer Lesung von Komponisten-Briefen sowie einem Konzert mit Stücken derselben am Mittwoch belohnt worden.

Eine Besonderheit dieses Abends anlässlich des 25-jährigen Jubiläums der „Stunde der Kammermusik“ im Alten Laichinger Rathaus war auf der einen Seite die akzentuierte Lesung durch die mit Laichingen verbundene junge Schauspielerin Stefanie Steffen aus Berlin sowie die musikalische Darbietung, ausgeführt von zwei noch sehr jungen Schwestern, der elfjährigen Pianistin Dascha und der neunjährigen Geigerin Sascha Klimas. Beide Mädchen kann man durchaus als „Wunderkinder“ bezeichnen. Die Programmauswahl, bei der Volker Hausen von David Waldbaur unterstützt wurde, erwies sich als ansprechend.

Was Hausen in seiner Einführung gesagt hatte, bewahrheitete sich beim Vorlesen der Briefe durch Stefanie Steffen . Die meisten Komponisten waren einander in Freundschaft verbunden und zeigten dies auch in teilweise bewundernden Briefen. So widmete Wolfgang Amadeus Mozart seine sechs Streichquartette Joseph Haydn, weil er hoffte, dass sie Haydns „Gunst nicht gänzlich unwürdig“ seien. Und Franz Schubert wiederum hegte eine starke Verehrung Beethoven gegenüber. Dass die berühmten Komponisten auch schwierige Menschen sein konnten, wurde ebenso deutlich. Wer den Film „Amadeus“ über Mozart gesehen hat, wird sich daran erinnern, wie dieser im Film oft völlig ungezogen herumalbert. Dies schildert auch die Schriftstellerin Karoline Pichler , eine Zeitgenossin des Komponisten.

Mitten im Klavierspiel fuhr er auf „und begann in seiner närrischen Laune, wie er es öfters machte, über Tisch und Sessel zu springen, wie eine Katze zu miauen und wie ein ausgelassener Junge Purzelbäume zu schlagen...“ Andererseits beschäftigte er sich frühzeitig mit dem Tod: „...ich lege mich nie zu bette ohne zu bedenken, daß ich vielleicht, so jung als ich bin, den andern Tag nicht mehr seyn werde.“

Mit Charme und Lächeln

Stefanie Steffen, ein halbes Laichinger Gewächs, weil hier zum Gymnasium gegangen (in Nellingen aufgewachsen), bezaubert bei der Lesung der Briefe das Publikum. Mit Charme und verschmitztem Lächeln bringt sie die Zuhörer zum Lachen, wenn sie über Schuberts heimliche Kompositionen liest, die er trotz Verbots des Vaters anfertigt. Dann wieder kann sie mit tiefem Ernst über Schuberts Verehrung für Beethoven sprechen, dessen Tod im März 1827 ihn auf das Heftigste erschütterte. Oder auch, wenn sie die Reaktion Queen Victorias von England auf den Tod Mendelssohn-Bartholdys wiedergibt. Auch die Ankündigung Robert Schumanns von Johannes Brahms , bringt Steffen in all ihrem Enthusiasmus zum Ausdruck: „Und er ist gekommen, ein junges Blut, an dessen Wiege Grazien und Helden Wache hielten.“

Dascha Klimas am Flügel spielt mit ihren elf Jahren viele Erwachsene in den Schatten. Nach jeder Lesung eines Komponisten bringt sie eines von dessen Stücken zu Gehör. Den 1. Satz von Mozarts „Sonata in A-Dur“ spielt Dascha lebhaft, kraftvoll und zugleich einfühlsam, holt alle Nuancen des Stücks heraus.

Die Sonate in D-Dur für Violine und Klavier von Schubert tragen die Schwestern Sascha und Dascha perfekt aufeinander abgestimmt vor, ohne dass sie Blickkontakt haben. Die neunjährige Sascha spielt ohne Noten, völlig vertieft in ihr Instrument. Sie holt warme schmeichelnde Töne ebenso heraus wie kräftige. Beide Mädchen spielen auch schnelle Passagen mit erstaunlicher Präzision.

Dascha spielt danach zwei Stücke aus Felix Mendelssohn-Bartholdys „Lieder ohne Worte“. Gefühlvoll und einfühlsam schenkt sie dem Publikum einen einmaligen Musikgenuss – auch sie spielt hier ohne Noten. Beim letzten Musikstück vor der Pause, dem Ungarischen Tanz von Johannes Brahms, werden die Schwestern von Papa Oleksandr Klimas auf der Violine begleitet. Hier spielt ein perfekt aufeinander eingestimmtes Trio, die Violine des Vaters jubelt in den höchsten Tönen.

Wagner – „ein Sonnenuntergang“

Trotz des umfangreichen Programms geht das Publikum auch nach der Pause mit und reagiert immer wieder mit Emotionen, so als Stefanie Steffen aus einem Brief Antonin Dvořáks vorliest, wie viele Sänger und Musiker er in der Royal Albert Hall zu London antraf. Aber auch die Aussage von Claude Debussy über Richard Wagner ruft lebhafte Reaktionen hervor: „Ein wenig großsprecherisch ausgedrückt, wie es ja zu ihm passt, war Wagner ein schöner Sonnenuntergang, den man für eine Morgenröte hielt.“ Dass der britische Komponist Benjamin Britten ein großer Freund und Verehrer des Russen Dmitri Schostakowitsch war, dürfte den meisten im Publikum unbekannt gewesen sein. Und dass Britten mitten im Zweiten Weltkrieg den Wehrdienst verweigerte, ebenso. Interessiert horchen auch alle auf, als von den Angriffen in sowjetischen Medien gegen Schostakowitsch zu Stalins Zeiten berichtet wird. Wenn eine Schauspielerin wie Stefanie Steffen vorträgt, wird selbst die Lesung von Briefen zum Ereignis.

Und auch die beiden kleinen Schwestern beweisen trotz der vorgerückten Stunde ihre Professionalität. Dvořáks „Humoreske“ tragen sie in perfektem Zusammenspiel vor. Selbst ein kleiner Patzer der Violine führt zu sofortiger Wiederholung der Passage, ohne Worte sind die Schwestern aufeinander abgestimmt. Die nächsten Stücke werden von Dascha allein bestritten. Bei Claude Debussys „Claire de lune“ spielt sie kraftvoll, dann wieder zart, schnelle Läufe wie ein Wasserfall. Sie spielt auswendig, scheint mit dem Flügel zu verschmelzen.

Die zwölf „Variationen“ von Benjamin Britten stellen hohe Anforderungen an Dascha, die sie mit Bravour meistert. Ähnlich ist es beim „Klavierkonzert Nr. 2“ von Schostakowitsch . Schwierigste Passagen meistert die junge Künstlerin wie ein Kinderspiel. Niemals würde man diesem zarten Persönchen die Kraft zutrauen, mit der sie den Flügel zum Schwingen bringt.

Das Publikum honoriert dementsprechend diese Ausnahmeleistungen mit Standing Ovations. Die junge Pianistin bedankt sich mit zwei Zugaben, der „Revolutionsetüde“ von Frédéric Chopin und einer ruhigen Etüde von Sergej Rachmaninow.

Volker Hausen prophezeit der jungen Pianistin eine große Zukunft und meint abschließend „Wir können dann sagen, wir sind dabei gewesen.“