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Menschenwürde

„Heilig Abend“ missachtet Menschenwürde

Ehingen / Lesedauer: 2 min

Daniel Kehlmanns Verhörstück in Echtzeit diskriminiert staatliche Sicherheitsdienste
Veröffentlicht:11.12.2019, 17:45

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Unverzüglich seines Dienstes zu entheben wäre ein Kriminalbeamter, der sich so benimmt wie der von Schauspieler Wanja Mues in Daniel Kehlmanns Stück „Heilig Abend“ dargestellte Typ. Rund 300 Zuschauer erlebten am Montag in der Ehinger Lindenhalle eine in allen Ländern, die den Namen Republik verdienen, verpönte grobe Verletzung der Menschenwürde.

Ein Polizist vernimmt eine der Planung eines Terroranschlags verdächtige Philosophieprofessorin auf höchst dilettantische Weise – aggressiv und überheblich. Was bei Roland Freislers Schergen und Erich Mielkes Komplizen gängige Praxis war, geht in einer Demokratie keineswegs. Auch künstliche Fernsehkommissare können kaum Vorbild sein.

Untadelig und bewundernswert ist in jeder Hinsicht was Jacqueline Macaulay und Wanja Mues an schauspielerischer Leistung abliefern. Gerade das macht das 90-minütige Theaterstück umso bedrückender, zumal es eine Realität vorspielt, die es so einfach nicht geben darf. Er weiß scheinbar alles über sie und zielt auf ein Geständnis ab, obwohl ihm klar sein müsste, dass es allein Sache eines unabhängigen Gerichts ist, über Schuld oder Unschuld zu befinden, falls der Staatsanwaltschaft ein für eine Anklage ausreichender Tatverdacht vorliegt. Selbst wenn es wie in Kehlmanns Stück um die kurzfristige Verhinderung einer schlimmen Straftat geht, ist Bedrohung einer zur Sache befragten Person nicht der richtige Weg, zumal eine erzwungene Aussage keine Garantie für einen Fahndungserfolg ist.

Als „Frau Professor“ redet der Verhörer die Person an, die er festnehmen ließ, um zu erfahren, wo sich die angeblich von ihr versteckte Bombe befindet. Beide Rollen des Stücks seien mit der gleichen argumentativen Kraft ausgestattet, meinte vor zweieinhalb Jahren der Kulturberichterstatter einer renommierten süddeutschen Radiosendeanstalt. Schon der Unterton der Anrede der Frau mit ihrer Dienstbezeichnung statt, wie es sich gehört, mit dem Familiennamen, stellt die angebliche Gleichheit in Frage. Er behandelt sie von oben herab. Sie wehrt sich von unten, wenn sie empört auf seine Zumutungen reagiert, statt klarzustellen, dass sie keineswegs gewillt ist, mit dem fiesen Kerl ein Gespräch zu beginnen. Ein kommandiertes „Setzen sie sich!“ und Anspielungen wie „Sie waren ein schönes Paar“ muss man sich ebenso wenig gefallen lassen wie Annäherungen von hinten, ganz zu schweigen von aggressivem Imponiergeschrei. Als die Frau, weil sie ja nur einer Einladung zu einem Gespräche Folge geleistet hatte, sich der unangenehmen Situation zu entziehen gedenkt, ist der Ausgang versperrt. Ist Argumentationsgleichheit, wenn eine Person der Macht einer anderen ausgeliefert ist? Vielleicht für Leute, die ihre Meinung der ihrer Chefs angeglichen haben.