Zürich
Monteverdi-Oper in Zürich
Zürich / Lesedauer: 4 min

Schwäbische.de
Vor mehr als 40 Jahren kam Claudio Monteverdis letzte Oper „L’incoronazione di Poppea“ am Opernhaus Zürich in einer bahnbrechenden Interpretation des Regisseurs Jean-Pierre Ponnelle und des Dirigenten Nikolaus Harnoncourt auf die Bühne. Seither hat sich das Stück über die unmoralischen Machenschaften am Hof des antiken römischen Kaisers Nero weltweit im Repertoire etabliert. In Zürich hat nun der katalanische Regisseur Calixto Bieito seine Sicht auf Giovanni Francesco Busenellos Libretto und die anonym überlieferte Partitur inszeniert. Musikalisch wird die Produktion von dem Originalklangspezialisten Ottavio Dantone geleitet.
1643 wurde das Musikdrama „Die Krönung der Poppea“ in Venedig uraufgeführt. Busenello und Monteverdi haben erstmals in der damals noch jungen Operngeschichte geschichtlich verbürgte Personen als Protagonisten gewählt und nicht wie üblich mythische Gestalten. Erzählt wird, wie die Titelheldin ihre raffinierten Verführungskünste einsetzt, um die mächtigste Frau an der Seite von Nero (in der Oper Nerone) zu werden. Dabei muss dessen Frau Ottavia ebenso aus dem Weg geräumt werden wie ihr eigener Liebhaber Ottone. Der Philosoph Seneca, der als Berater Nerones für Moral und Vernunft eintritt, wird von diesem zum Selbstmord gezwungen.
Auch sonst gehen Nerone und Poppea für ihre Ziele über Leichen. Provokant endet die Geschichte mit der Heirat und Krönung der Intrigantin. Das Publikum der Uraufführung wusste freilich, dass Poppeas historisches Vorbild von Nero später durch einen Fußtritt getötet wurde. In der anarchischen Karnevalsaison, in der die Oper erstmals auf die Bühne kam, verstand man einen moralisch derart auf den Kopf gestellten Plot als sarkastisch-bittere Anklage gesellschaftlicher Dekadenz.
Bieito findet die Ambivalenz dieses Werks faszinierend. Der Egoismus der Figuren erinnert ihn an narzisstische Selfie-Sucht unserer Tage. Was lag also näher, als ein Videospektakel zu entfesseln, bei dem sich das Publikum auch selbst bestaunen darf? In Zürich sitzt das Orchestra La Scintilla inmitten eines kreisrunden Laufstegs. Dahinter auf der Bühne (Rebecca Ringst) sehen wir andere Opernbesucher auf ansteigenden Sitzreihen. In der Mitte zwischen ihnen setzen Treppen den Laufsteg nach oben fort.
Zum Prolog der Götter Fortuna, Virtù und Amore purzeln drei kichernde Teenager in blütenweißen Hemden herein (Kostüme: Ingo Krügler). Jake Arditti, Florie Valiquette und Hamida Kristoffersen sehen aus wie verwöhnte Internatszöglinge, die beim ausgelassenen Spiel zwischen virtuellen Realitäten und Wirklichkeit kaum unterscheiden können. Die Seitenwände über dem Orchester sind bedeckt mit großen Bildschirmen. Die Bühnenrückwand wird in ganzer Breite von einer riesigen Kinoleinwand eingenommen.
Videos (Sarah Derendinger) zeigen teils aparte, teils abstoßend grausame Bilder. Filmsequenzen in Zeitlupe und Stills wechseln ab mit übergroß projizierten Live-Clips der Darsteller, die von Kameras auf Schritt und Tritt verfolgt werden. Ihre freiwillige Überwachung empfinden sie anscheinend als eine Art Pop-Show der Reichen und Schönen. Eitelkeiten und Intrigen werden hier nicht nur auf dem Laufsteg ausgestellt, sondern im Zoom und vervielfacht auch rings über der Szene sichtbar. Leider lenkt diese Bilderflut von der Musik ab und erdrückt sie auf Dauer. Bieitos aufdringliche Zuspitzung allgemeiner Verkommenheit in brutalen Szenen und blutigen Ansichten wirkt eher statisch und ermüdend.
Virtuose Wutattacken
Das Orchester spielt fein ziseliert im Detail und vital bei tänzerischen Rhythmen. Dantones Instrumentation setzt auf eine reich bestückte Generalbassgruppe und ist farblich den Charakteren und emotionalen Situationen jeweils perfekt auf den Leib geschneidert. Julie Fuchs findet stets die richtigen Tonlagen für die Abgefeimtheiten Poppeas. David Hansen realisiert als Nerone vorbildlich Monteverdis Ideal eines ganz an der Sprache orientierten Gesangs. Dazu gehören auch spektakulär überdrehte Koloraturen, virtuos herausgeschleuderte Wutattacken und Spitzentöne, die treffen wie Pfeile.
Stéphane d’Oustrac (Ottavia) zelebriert ihr Leiden mit sattem, dramatisch aufgeladenem Mezzosopran. Nahuel Di Pierro hält als basskräftiger Seneca bis zu seinem Badewannentod an Vernunft und Moral fest. Delphine Galou leiht Poppeas Ex Ottone den androgynen Klang ihrer tiefen Kontra-Altstimme. Deanna Breiwick läuft als blondiertes Model-Dummchen Drusilla zu großer Form auf. Auch die restlichen Gesangssolisten beeindrucken. Beim pervertierten Happy End posieren Nerone und Poppea als Sieger, doch über der Szene grinst der irre Kaiser mit blutverschmiertem Gesicht.