Bausünde
Die charmantesten Bausünden
Kultur / Lesedauer: 5 min

Schwäbische.de
Worüber andere die Nase rümpfen, das zieht sie magisch an: Turit Fröbe steht auf Bausünden. Seit 20 Jahren fährt die Architekturhistorikerin durch die Lande und weiß mittlerweile, wie Bauherren ticken. In ihrem neuen Buch hat sie sich die „Eigenwilligen Eigenheime“ der Deutschen vorgenommen. Im Interview mit Christa Sigg spricht Turit Fröbe über Toskana-Villen und Steingärten, Pseudo-Historismus und das Trauma des fehlenden Dachs.
Frau Fröbe, Sie unterscheiden zwischen guten und schlechten Bausünden. Sind die Übergänge nicht fließend?
Überhaupt nicht! Die guten Bausünden finden die Leute hässlich, da kommt sofort eine Reaktion auf: Wie konnte das passieren?! Das sind aber oft Dinge, die eine gewisse Originalität haben, die von Fantasie zeugen. Die schlechten Bausünden sehen Sie nicht. Die sind so banal und so langweilig, dass das Auge abrutscht.
Haben Sie Beispiele?
Das sind die einfallslosen Investorenarchitekturen an unseren Einfallstraßen. Auch diese ganzen Fertighäuser mit kleinen oder gar keinen Fenstern gehören dazu. Sie sind austauschbar, das ist das Entscheidende. Gute Bausünden sind dagegen absolut originell, es gibt sie nur einmal. Und besonders in der Innenstadt verraten sie oft viel über die Stadt selbst, mit der sie untrennbar verbunden sind.
Nun werfen Sie einen Blick auf „Eigenwilligen Eigenheime“ und plädieren erst einmal für Verständnis. Muss man das auch für die Toskana-Villen aufbringen, die bald in jedem Dorf anzutreffen sind?
Grundsätzlich hilft Humor. Man sollte überhaupt Bausünden mit mehr Gelassenheit begegnen. Sie sind ja im Privaten meistens liebevoll gemacht, also darf man für Bauherren durchaus Verständnis haben. Und in unserer Gesellschaft ist die baukulturelle Bildung nicht sonderlich ausgeprägt.
Worauf spielen Sie an?
Es geht weniger um das historische Wissen als den Umgang mit unserer aktuellen Architektur. Vielen, die sich für eine Toskana-Villa entscheiden, ist in der Regel gar nicht klar, was sie sich da hinstellen. Mein Verständnis ist aber sehr begrenzt, wenn es um die Bauindustrie geht, die solche Lösungen von der Stange bietet. Die Häuslebauer verlassen sich doch darauf, dass das Angebotene in Ordnung ist. Und irgendwann wird eine Mode daraus.
Was erzählen diese „exotischen“ Eigenheime?
Sie zeigen oft, wo sie lieber stünden. Bei den Toskana-Villen ist das sehr eindeutig, dann gibt es diese blockhüttenhaften Schwedenhäuser oder Mississippi-Häuser wie aus „Vom Winde verweht“. In piefigen Wohngebieten kann man damit seine Weltläufigkeit ausdrücken. Außerdem zeigen die Häuser häufig, was sie eigentlich gerne wären: ein Fachwerkhaus, eine Ritterburg, eine Villa. All diese Bauten senden Nachrichten in den Außenraum, deshalb darf man sie ruhig als Street-Art begreifen.
Viele Bausünden sind auch den finanziellen Möglichkeiten geschuldet.
Natürlich ist es immer einfacher, wenn Geld keine Rolle spielt. Aber Bausünden sind in allen Segmenten zu finden. Und wenn die Mittel für die großen Lösungen der Bauindustrie fehlen, geht man in den Baumarkt. Abgesehen davon kann man wirklich jedes qualitativ hochwertige Gebäude in eine Bausünde verwandeln. Anbau, Umbau, Überformung, Dekoration – die Baumärkte bieten unendlich viele komische Dinge.
Was ist denn gerade angesagt?
Früher hat man eher die Fassade umgestaltet, inzwischen verlagert sich das immer häufiger in den Garten. Will man ihn nicht zeigen, kann das genauso der Zaun, die Mauer oder die vorgesetzte Garage übernehmen. Der Trend geht auch weg vom Grün.
Ist das Umweltbewusstsein denn nicht stärker geworden?
Sollte man meinen. Stattdessen nehmen die reinen Schottergärten zu. Oder Gabionen, diese mit Steinen gefüllten Drahtkörbe. Relativ häufig sieht man allerdings chilenische Araukarien oder zugeschnittene Buchsbäume. Und da Letztere sehr anspruchsvoll in der Pflege sind, gibt es sie längst aus Plastik. Ich komme immer wieder in sterile versteinerte Siedlungen, in denen kein Insekt überleben kann, weil kein echter grüner Halm mehr steht. Die zweite Mode, die ich wirklich fürchterlich finde, sind Fototapetenzäune mit vorgetäuschten Hecken, Mauern oder sogar Gabionen.
Gibt es Ecken in Deutschland, die besonders bausündengefährdet sind?
Spitzenreiter ist das Saarland, dort ist das Bastel- und Heimwerkertum bestens verankert. Genau das hatte ich in Baden-Württemberg erwartet, doch das Gegenteil ist der Fall. Es gibt vereinzelte Bausünden, aber die bleiben allein. Normalerweise schaukeln sich die Nachbarn gegenseitig hoch, jeder packt noch mehr vors Haus. Hier tanzt man dagegen nicht gerne aus der Reihe.
Wie sieht es in Bayern aus?
Bislang bin ich bei meinen Streifzügen in Bayern nie enttäuscht worden und habe schon jede Menge überraschende und originelle Bausünden gefunden. Das eine oder andere Motiv hat es auch in das neue Buch geschafft. Grünwald ist stark vertreten, aber es sind auch Fundstücke aus Ingolstadt oder Bad Füssing dabei.
Nun kommt ja auch die echte Gründerzeitarchitektur wieder gut an.
Klar, inzwischen sind die Wohnungen flächendeckend saniert. Die flexiblen Grundrisse passen hervorragend zu unseren Wohnwünschen. Aber ursprünglich wurden sie jahrzehntelang als Bausünden, als reine Fassadenarchitektur wahrgenommen. Die gesamte Architektur der Moderne ist eine einzige Reaktion auf diesen Historismus. So gesehen ist das wirklich der Treppenwitz der Geschichte, dass jetzt als Reaktion auf die Moderne diese Pseudo-Gründerzeit-Investorenarchitektur aufploppt.
Kennen Sie Architekten solcher Bausünden?
Nein, an der Universität wissen die Studierenden spätestens nach der Aufnahmeprüfung, dass zum Beispiel das Thema Satteldach tabu ist. Zwischen Architekten und Bauherren liegen Welten, und es gibt ein großes Missverständnis. Da müsste man drangehen. Am schönsten sieht man die Missverständnisse übrigens an den umgestalteten Bungalows. Viele Eigentümer leiden so sehr unter dem fehlenden Dach, dass sie alles tun, um wenigstens beim Blick aus dem Fenster das Gefühl zu haben, in einem ganz normalen Haus zu wohnen. Da bekommen die Fenster Butzen, Säulen werden davorgesetzt und irgendwo noch Dachziegel untergebracht. Das fehlende Dach scheint wirklich ein Trauma zu sein.
Eigentlich müssten Sie in einer Bausünde wohnen.
Gründerzeit. Also eine Bausünde der alten Schule. Aber das Wohnen ist kein Problem, schlimm ist es, ständig auf eine Bausünde zu schauen.