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Von fremden Ländern und dem Bedürfnis nach Aufbruch

Memmingen / Lesedauer: 3 min

Die Mewo Kunsthalle zeigt mit aktuellen künstlerischen Positionen, welche Formen „Fernweh“ annehmen kann. Aufhänger ist das Chinesische Zimmer im Stadtmuseum Memmingen.
Veröffentlicht:26.09.2023, 18:00

Von:
  • Antje Merke
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Fernweh ist die Sehnsucht nach einem Ort unseres Begehrens. Fernweh ist verschwistert mit einem Bedürfnis nach Aufbruch. Die neue Ausstellung in der Mewo-Kunsthalle mit dem gleichnamigen Titel widmet sich der kulturellen Annäherung an fremde Länder. Vier zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler wurden nach Memmingen eingeladen, um sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Aufhänger ist das Chinesische Zimmer im Stadtmuseum Memmingen.

Ein Mann mit langem Lippenbart und spitzem Hut nimmt eine Tasse Tee entgegen, ein anderer mit zu Berge stehendem Zopf führt einen Vogel an der goldenen Leine spazieren, ein dritter Mann sitzt mit rotem Kimono in einem dreirädrigen Gefährt mit Segel. Verziert sind die einzelnen Felder mit fremden Pflanzen wie Agaven oder Kakteen. Der unbekannte Künstler, der das sogenannte Chinesische Zimmer um 1776 ausgeschmückt hat, hatte zwar keine Ahnung von China, aber dafür eine blühende Fantasie.

Reisen ‐ die Sehnsucht nach dem Leben

Mit dem Gebäude, in dem heute das Stadtmuseum untergebracht ist, wollte der Memminger Kaufmann Benedict von Herman seine Weltläufigkeit unter Beweis stellen und seine Geschäftspartner beeindrucken. Tatsächlich galt von Herman zu Lebzeiten als reichster Schwabe, denn er besaß das größte deutsche Handelsunternehmen in Venedig. Die Ausstattung des Hermansbaus orientierte sich deshalb auch deutlich an venezianischen Palazzi. Eine Kopie des Zimmers steht jetzt im großen Saal der Mewo-Kunsthalle ‐ sie bildet Anfang und Ende der „Fernweh“-Schau. Drumherum reihen sich die Arbeiten von vier Gegenwartskünstlern und zwei Klassikern der Moderne.

„Reisen ist die Sehnsucht nach dem Leben“, schrieb Schriftsteller und Journalist Kurt Tucholsky einst und spricht damit vielen von uns wohl aus der Seele. Oftmals beschleicht uns der Drang nach Abwechslung, der Wunsch, etwas Neues zu erleben und das Bedürfnis, einfach mal ganz woanders zu sein. Bevor der Begriff „Fernweh“ 1835 erstmals auftauchte, brachte Goethe diese Sehnsucht mit Worten wie „Fluchtgefühl“, „umgekehrtes Heimweh“ oder auch „Sehnsucht ins Weite statt ins Enge“ zum Ausdruck. Fernweh beschreibt aber nicht unbedingt die Sehnsucht nach einem fernen Land oder Ort. Vielmehr bezeichnet es die Sehnsucht nach einem Gefühl, das wir mit diesem Ort verbinden. Sei es Abenteuer, Freiheit oder Entspannung.

Träumen von Japan oder China

Der Sehnsuchtsort des Deutsch-Franzosen Jérôme Chazeix (Jahrgang 1976) ist Japan. Mit Tapeten, Fahnen, Paravents, Kimonos und zwei Videos hat er in der Kunsthalle eine faszinierende Installation geschaffen, die den Betrachter in dieses Land entführt. Fotos von Tokio, Masken und abstrahierte Landschaften in knallbunten Farben zieren die Tapete. Dabei spielt er auch bewusst mit Klischeevorstellungen. Zum Beispiel, dass Japanerinnen Kimonos tragen und ihr Gesicht weiß schminken. Die Paravents aus Stoff zeigen übrigens Wolken, so wie sie die Japaner malen ‐ flach und länglich, nicht rund und bauschig wie bei uns.

Ming Lu, Jahrgang 1993, stammt zwar aus China, lebt inzwischen aber in Berlin. In ihren jüngsten Arbeiten spielt sie mit dem Spannungsfeld zwischen zeitgenössischer Kunst und traditionellem chinesischem Kunsthandwerk. Bestes Beispiel in Memmingen sind ihre wunderschönen Peking-Enten aus Porzellan. Ihre Verbundenheit mit China zeigt sich auch in ihren Goldstickereien. Dafür hat sie Alltagsgegenstände wie Wäsche- klammern, Nägel oder Gläser in dieser traditionellen Technik mit Goldgarn auf schwarzem Grund sticken lassen. Ein raffiniertes Spiel zwischen dem Vertrauten und dem Fremden, das den Blick schärft.

Auch der gebürtige Kolumbier Carlos Monroy, Jahrgang 2021, und die afro-karibische Künstlerin Sonia Boyce, Jahrgang 1962, setzen sich in ihren Werken mit fremden Kulturen auseinander. Sie sind allerdings ziemlich irritierend und bleiben noch lange im Gedächtnis. Eine eindrucksvolle Ausstellung, die zeigt, wie andere Kulturen die Kunst inspiriert.


Dauer: bis 4. Februar 2024, Öffnungszeiten: Di.-So. und Fei 11-17 Uhr. Infos zu den Führungen unter: www.mewo-kunsthalle.de