Wortgefecht
„Politik gehört nicht in die Berge“ – Deutscher Alpenverein widmet sich seiner braunen Vergangenheit
München / Lesedauer: 4 min

Schwäbische.de
Es ist ein Wortgefecht namenloser Bergsteiger auf Papier – 2964 Meter über dem Meeresspiegel. „Wir grüßen Deutschland, indem wir den größten Deutschen grüßen: Heil Hitler“, schreibt „Ein Deutscher“ im Jahr 1934 ins Gipfelbuch der Schesaplana, dem höchsten Berg im Rätikon. Direkt darunter steht ein unzweideutiges „Sau Hitler“, was der nächste Schreiber mit einem „Heil Hitler“ kontert. Worauf zwei weitere Alpinisten erwidern: „Politik gehört nicht in die Berge!“ Und: „Bravo, unterstützt.“
Dieser Gipfelbuchdisput, dokumentiert in dem Werk „Berg Heil! Alpenverein und Bergsteigen 1918 bis 1945“, steht sinnbildlich für die politischen Auseinandersetzungen jener Zeit im Deutschen Alpenverein ( DAV ), der damals noch Deutscher und Österreichischer Alpenverein hieß. Dessen Verhältnis zu seinen zahlreichen jüdischen Mitgliedern war in den Jahren nach der Gründung 1869 noch von großer Toleranz geprägt.
Ab Ende des 19. Jahrhunderts jedoch – also lange bevor die Nazis an die Macht gelangten – nahmen Antisemitismus und ein extremer Nationalismus im Alpenverein stetig zu. Nach dem Ersten Weltkrieg seien jüdische Mitglieder zunehmend ausgeschlossen und verdrängt worden, sagte DAV-Präsident Josef Klenner bei einem Vortragsabend zum Thema „Jüdische Bergsteiger*innen: Bewundert, ausgegrenzt und verleugnet“ in München.
Er betonte: „Die Abläufe vom späten 19. Jahrhundert bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs beweisen zweifelsfrei, dass der Alpenverein kein Mitläufer, sondern – das muss man ganz klar sagen – Mittäter war.“
DAV widmet sich spät dem Thema der Aufarbeitung
Es sind dies deutliche Worte zu einem Thema, um das der weltgrößte Bergsteigerverband und sein Pendant im Nachbarland, der Österreichische Alpenverein , jahrzehntelang einen Bogen gemacht haben. Erst Ende der 1980er-Jahre gab es Klenner zufolge „erste, zaghafte Versuche, die Geschehnisse der NS-Vergangenheit zu hinterfragen“.
Und bis zu einer systematischen Aufarbeitung sollte es gar bis zum Anfang dieses Jahrhunderts dauern – ausgehend von einer „Proklamation gegen Intoleranz und Hass“, die der DAV 2001 verabschiedete. Darin entschuldigte sich der Alpenverein ausdrücklich, dass er seinen jüdischen Mitglieder seinerzeit keinen Schutz geboten habe.
Dabei waren Jüdinnen und Juden anfangs ein fester Bestandteil vieler DAV-Sektionen. In Großstädten wie Wien und Berlin machten sie laut Klenner ein Fünftel der Mitglieder aus. Auch Paul Preuß, der bekannteste Bergsteiger jener Zeit, war Jude. Der 1913 tödlich verunglückte Österreicher wird heute als geistiger Vater des Freikletterns gerühmt, nachdem er jahrzehntelang fast in Vergessenheit geraten war – auch, weil die Nazis ihn und seine Verdienste totgeschwiegen hatten.
„Mehr als zwei Jahrzehnte lang spielte es im Alpenverein keine Rolle, ob jemand jüdisch war oder nicht“, betonte Klenner. Ab den 1890er-Jahren jedoch hätten erste Sektionen sogenannte Arierparagrafen in ihre Satzungen aufgenommen, um jüdische Mitglieder auszuschließen. Vonseiten des Hauptverbands war dies zunächst untersagt; im Mai 1920 hob der DAV das Verbot jedoch auf. Und ab diesem Zeitpunkt – mithin 13 Jahre vor der Machtergreifung – wurden Juden „in großem Umfang ausgeschlossen und aus dem Vereinsleben gedrängt“, so der DAV-Chef.
Neugründung mit altem Führungspersonal
Am dramatischsten war die Entwicklung in der Sektion Austria in Wien unter Führung des glühenden Antisemiten Eduard Pichl. Die dort verstoßenen Juden gründeten 1921 die Sektion Donauland, der sich in der Folge hunderte meist jüdische Bergsteiger anschlossen – darunter auch der Psychiater Viktor Frankl, der später vier Konzentrationslager überlebte und seine Erlebnisse in dem Bestseller „… trotzdem Ja zum Leben sagen – Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager“ schilderte.
Viktor Frankl und andere jüdische Alpinisten erlebten in den Bergen heftige Anfeindungen. An Hütten tauchten zunehmend Hakenkreuze auf; dazu kamen Plakate mit Aufschriften wie „Juden und Mitglieder des Vereins Donauland sind hier nicht erwünscht.“ 1924 setzten rechtsradikale Kräfte im Verband unter fadenscheinigen Gründen den Ausschluss der Sektion Donauland durch. „Und damit“, so formulierte es Präsident Josef Klenner,
waren dem Antisemitismus im Alpenverein keine Grenzen mehr gesetzt.
Entsprechend bejubelte das Gros der Mitglieder erst die Machtergreifung der Nazis und 1938 auch die Eingliederung ihres Vereins in den Nationalsozialistischen Reichsbund für Leibesübungen, die im Rekordtempo über die Bühne ging. Neuer „Führer des DAV“ war Arthur Seyß-Inquart, der spätere Reichskommissar für die Niederlande. Als einer der 24 Hauptkriegsverbrecher wurde Seyß-Inquart bei den Nürnberger Prozessen schuldig gesprochen und hingerichtet.
Derweil lösten die Alliierten den DAV auf; erst 1952 kam es zur Wiedergründung – teils mit Personen an der Führungsspitze, die schon zu NS-Zeiten aktiv gewesen waren, so Josef Klenner. „Das war sicher einer der Hauptgründe, wieso man sich nicht mit den eigenen Verstrickungen im Nationalsozialismus auseinandergesetzt hat.“
