Attitüde
Punk, Pop, Attitüde: Die Ärzte legen neue Biografie vor
Kultur / Lesedauer: 5 min

Für unzählige Musikfans sind sie Kult: Jetzt legen Die Ärzte ihre neue Biografie vor.
Manchmal ist es besser, den Ratschlag des Lehrers mit dem erhobenen Zeigefinger in den Wind zu schlagen und das komplette Gegenteil von dem zu tun, was der Erzieher rät. „Jan, egal was du später mal machst, mach bitte nichts mit Musik.“ Dieser legendäre Satz ist wohl einer der größten Irrtümer der deutschen Musikgeschichte. Ausgesprochen hat ihn 1981 ein Pauker namens Klöck, der Adressat hieß Jan Vetter, besser bekannt als Farin Urlaub . Der Mann, der in den vergangenen 30 Jahren mit Die Ärzte rund sieben Millionen Platten verkauft, unzählige Konzerte gespielt und nebenbei noch Soloplatten und Fotobände mit Reiseimpressionen veröffentlicht hat, tat gut daran, auf die Worte des Pädagogen zu pfeifen. Denn sonst wäre die Musikwelt ärmer. Die Ärzte brachten der deutschsprachigen Popmusik den abseitigen Humor bei und zeigten auch politisch aktiven Punks, dass es viel mehr gibt als hohle Phrasen. Stefan Üblacker zeichnet in „Das Buch ä“ den Weg der Band nach, die man nicht deklinieren darf (es heißt immer „Die Ärzte“).
Die Geschichte der Band beginnt in Berlin, und so dürfen natürlich die Gründung und die diversen Vorgänger wie Soilent Grün nicht fehlen. Thematisiert wird natürlich auch der Clinch mit den Toten Hosen, den vor allem die Medien immer wieder für Quoten und Auflage anfachten. Dazu wird Schlagzeuger Bela B. zitiert: „Die einen hatten lustige Klamotten an, die anderen waren lustig. So habe ich es gesehen.“ Der Bogen spannt sich vom Aufstieg in den 80ern zum Teenie-Phänomen mit Bravo-Dauerpräsenz über die Auflösung auf dem Höhepunkt der Karriere über die Reunion Anfang der 1990er bis zur Gegenwart.
Entgegen den Trends
Erstaunlich, wie sich die Band nicht nur gegen die Indizierung ihrer Platten, sondern auch immer wieder gegen die aktuellen Trends auf dem Musikmarkt behauptet. Sind es in den 1980er-Jahren die Hitfabrikanten von Modern Talking, tauchen in den 1990er-Jahren plötzlich mit Techno und Eurodance Bands wie Culture Beat, Snap! und 2Unlimited auf. Und als in Rostock plötzlich Unterkünfte von Asylbewerbern brennen, haben Die Ärzte eine Mission. Auf ihrer Comeback-Platte „Die Bestie in Menschengestalt“ 1993 setzen sie mit „Schrei nach Liebe“ ein unmissverständliches Zeichen gegen rechts. Mit Rodrigo Gonzales ist ein neues Mitglied am Bass dabei. Der frühere Rainbirds-Musiker folgt auf den ersten Bassisten Hans „Sahnie“ Runge, der die Band für ein Wirtschaftsstudium verließ, und Hagen „The Incredible Hagen“ Liebing, der ebenfalls einen geregelten Job der Musikerkarriere vorzog.
Wenn man auf die Geschichte der Band zurückblickt, wirkt daran so vieles so unglaublich, als ob ein Musikfan sich seine Träume wahr gemacht hat. Da ist der Auftritt bei der Verleihung des Musikpreises Comet, bei dem Bela und Rod in Ritterrüstungen auftauchen und ihren Idolen von Kiss den Preis fürs Lebenswerk überreichen dürfen. Übrigens die einzige Preisverleihung, bei der Die Ärzte jemals waren.
Oder die Unplugged-Session „Rock’n’Roll Realschule“, bei der Farin, Bela und Rod auf elektrischen Rollstühlen umherfahren – einfach, weil sie es können und Lust drauf haben. Natürlich hat der Mainstream Die Ärzte schon lang kassiert, „Männer sind Schweine“ lief am Ballermann und verschwand so aus dem Live-Repertoire. „Ich hab bis heute ein ambivalentes Verhältnis zu dem Song“, erzählt Farin Urlaub im Buch. Er sei zwar dankbar für die Aufmerksamkeit, die das Stück der Band gebracht habe, aber es gebe so viel bessere Songs, dass es eben ärgerlich sei, wenn man auf diesen Song reduziert werde. Trotz aller Massentauglichkeit hat sich das Trio seine Subversivität bewahrt. Man denke nur an die Lesetour zur ersten offiziellen Bandbiografie „Ein überdimensionales Meerschweinchen frisst die Erde auf“. Die dämlichsten Momente und flachsten Witze stellt die Band als Gratis-MP3s zum Download ins Netz. Was mancher vielleicht noch nicht wusste: Die Lesetour begann zwei Tage nach den Terroranschlägen vom 11. September und erst war nicht klar, ob sie überhaupt stattfinden wird. Die Abwägung, ob man die Veranstaltung absagen soll, kommt einem in diesen Tagen erstaunlich vertraut vor – und Die Ärzte kommen zum Ergebnis, dass die Terroristen gewonnen hätten, wenn die Welt stillstünde.
Klare politische Haltung
Die Biografie lässt kaum etwas aus und spannt den Bogen bis in die Gegenwart. Wie wichtig „Schrei nach Liebe“ über all die Jahre geblieben ist, wird dann am Ende noch mal anhand der „Aktion Arschloch“ deutlich. Als in der Flüchtlingskrise Asylunterkünfte brennen, regt der Lehrer Gerhard Torges über die sozialen Netzwerke an, den Song wieder an die Spitze der deutschen Charts zu befördern. Es klappt, im September 2015 geht das Lied auf die Pole Position, sogar die „Washington Post“ berichtet darüber. Die Tantiemen gehen an Pro Asyl. Auch über drei Dekaden nach ihrer Gründung stehen Die Ärzte nicht nur für durchgeknallten Wahnsinn, sondern auch für eine klare politische Haltung. Traurig ist nur, dass dieser Song auch 23 Jahre nach Veröffentlichung wieder so relevant ist.
Stefan Üblacker: Das Buch ä – Die von die ärzte autorisierte Biografie, 928 Seiten inkl. Bildseiten, Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, 29,99 Euro.