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Neu im Kino: „Wochenendrebellen“ ‐ eine Geschichte mit Herz und Humor

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Jede Woche ein neues Stadion. Auf der Suche nach einem Lieblingsverein fahren ein Vater und sein autistischer Sohn mit dem Zug quer durch die Republik. Eine Herausforderung für beide.
Veröffentlicht:27.09.2023, 18:00

Von:
  • Schwäbische.de
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en meisten Fußballfans wird ihr Lieblingsverein gewissermaßen „in die Wiege gelegt“. Der zehnjährige Jason versteht allerdings schon das Sprichwort mit der Wiege nicht. Denn er nimmt es wörtlich ‐ wie alles im Leben. Jason ist ein Asperger-Autist. Zwischentöne, Metaphern oder Ironie erschließen sich ihm nicht; und emotionale Signale kann er nicht deuten.

Auch seinen Lieblingsverein kann er nicht einfach wählen. Er muss ihn sich nach einem strengen Kriterienkatalog aussuchen. Dazu gehören Fragen wie die, ob die Schuhe auf dem Platz bunt sind, ob es ein albernes Maskottchen und umklappbare Flutlichtmasten gibt und ob „Nazis“ zu den Fans zählen. Aber auch, wie es im Stadion um Umweltschutz und behindertengerechte Toiletten bestellt ist.

Jason ist eine reale Person und mittlerweile volljährig. 2017 erschien das von ihm und seinem Vater Mirco geschriebene Buch „Wir Wochenendrebellen“, nach dessen Vorlage Richard Kropf das Drehbuch zum (fast) gleichnamigen Film geschrieben hat. Darin geht es um das gemeinsame Projekt, einen Lieblingsfußballverein für Jason zu finden. Wochenende für Wochenende reisen Vater und Sohn quer durch Deutschland, um jeden einzelnen Verein aus der ersten, zweiten und dritten Liga live spielen zu sehen. Immer mit der Bahn, denn Jason ist sehr umweltbewusst; ein kleiner „Öko-Diktator“, sagt sein Vater.

Teil einer Abmachung

Öffentliche Verkehrsmittel und Fußballstadien sind für den Jungen aber echte Herausforderungen, da sie voller Reize und Menschen sind, wo es eng zugeht und man mit vielen in Körperkontakt kommt. Also unübersichtlich, laut und in ständiger Veränderung. Alles Gift für Menschen, die Ruhe, Ordnung und Regelmäßigkeit brauchen.

Doch Jason will es so. Denn das Projekt ist Teil einer Abmachung zwischen ihm und seinen Eltern. Mirco verspricht, so lange mit Jason durch die Gegend zu reisen, bis ein Lieblingsverein gefunden ist, und Jason gelobt, sich in der Schule weniger provozieren zu lassen. Denn wegen immer neuer „Ausraster“ droht ihm der Wechsel auf die Förderschule, was für den sozial eingeschränkten, aber hochintelligenten Jason einer Katastrophe gleichkäme.

Wie schwer dem Jungen die Bewältigung des Alltags fällt, vermittelt der Film von Regisseur Marc Rothemund eindrücklich auf Bild- wie Tonspur. Hintergrundrauschen nimmt er genauso intensiv wahr wie Geräusche im Vordergrund. Autisten, so lernt man in „Wochenendrebellen“, können nur schwer filtern; sie reagieren stark auf Reize, bestehen auf Logik und sind auf vertraute Strukturen angewiesen. Alles Anforderungen, mit denen sie im Alltag ständig kollidieren. Jason reagiert mit Wut bis hin zu körperlicher Gewalt, wenn es nicht so läuft, wie es nach seinem Gehirn ablaufen sollte. Und zwar auch bei Aspekten, die für andere Menschen vollkommen nebensächlich sind ‐ etwa der Tatsache, dass jemand auf seinem Stammplatz im Bushäuschen sitzt.

Nachvollziehbare Achterbahnfahrt der Gefühle

Sinnlich nachvollziehbar werden auch der Stress und die Beklemmung, die Jason ‐ und mit ihm seinen Vater ‐ befallen, als sie sich zum ersten Mal in die Menschenmasse eines Fußballstadions begeben, dicht gedrängt vor den Sicherheitsschleusen, das gefürchtete Abtasten durch die Security noch vor sich. Wie angespannt Jason in solchen Situationen ist und wie viel Beherrschung der Vater aufbringen muss, um dies aufzufangen, vermögen das feinfühlige Drehbuch und die geschickte Regie souverän zu transportieren.

Dass „Wochenendrebellen“ so gut funktioniert, ohne sich in die einfachen Lösungen eines „Feel-Good-Movies“ zu flüchten oder das kräftezehrende Zusammenleben mit einem Autisten zu verharmlosen, liegt auch an den Darstellern, allen voran an Cecilio Andresen als Jason. Der 2011 geborene Schauspieler beeindruckt nachhaltig. Ihm gelingt die schwierige Balance zwischen der Darstellung eines oft nicht unbedingt sympathischen Jungen, der von seinem Vater zu hören bekommt, dass alles einfacher sei, als bei ihm zu sein, und einem Jungen, der mit seiner Originalität und Begeisterungsfähigkeit tief berührt und unter der ständigen Diskrepanz zwischen innerer Ordnung und äußerem Chaos offensichtlich sehr leidet.

„Wochenendrebellen“ bringt das Thema Autismus auf sehr lebendige und unterhaltsame Weise nahe, fast ohne Sentimentalitäten und ganz ohne erhobenen Zeigefinger. Dass der Running Gag um den FC Bayern als ewigem Erfolgsverein nach der durchwachsenen Saison 2022/2023 gerade nicht mehr ganz so passt, kann man den Machern nicht ernsthaft vorwerfen. (KNA)