Kinderorgeltag
Nach dem Papst kommt die kleine Viktoria
Kultur / Lesedauer: 5 min

Schwäbische.de
Viktoria ist für ihre sechs Jahre erstaunlich cool. Wie neun andere Kinder soll sie gleich an der großen St.-Martins-Orgel spielen, zum Abschlusskonzert des Kinderorgeltags im Kloster Beuron. Die Abteikirche ist gut gefüllt. Ihre Noten, zwei auf Miniformat gefaltete Zettel mit einer Gavotte von Purcell, knetet sie in den Händen. Dass sie als siebte drankommt, direkt nachdem Pater Landelin zum zweiten Mal spielen wird, ist ihr nicht mehr klar. „Und nach dem Papst komm’ gleich ich?“ fragt das Mädchen deshalb noch mal nach und klettert beherzt auf die Orgelbank, lässt sich von Pater Landelin die Register ziehen, spielt souverän die Gavotte und erntet viel Beifall. Wie alle anderen auch, die sich getraut haben, ihre Stückchen zu präsentieren. Mal eine Sonatine, mal das Largo, mal der Flohwalzer und sogar eine kleine Eigenkomposition.
Der „Papst“ bzw. Pater Landelin ist geduldig und freut sich über seine ungewöhnlichen Solisten, von denen allerdings kaum einer mit den Füßen ans Pedal reicht. Das macht aber nichts, Klavierspielen reicht völlig aus. Kerstin ist zwölf und kann sich „schon vorstellen, später mal Orgel zu spielen.“ Schüler hat der 42-jährige Benediktiner, der sich mit vier anderen Mönchen den Organistendienst in der Abteikirche teilt, keine, aber er ist davon überzeugt, dass es Sinn macht, interessierten Kindern frühzeitig eine Orgel zu zeigen. Er selbst hat mit acht Jahren das Orgelspielen angefangen. Zum Abschluss improvisiert er. Die Kinder dürfen das Thema raten. Zur Auswahl stehen etwa „Tante Berta ratscht mit der Nachbarin“ oder „Zwei Männer sitzen auf einer Bank“.
90 Teilnehmer aus der Region
Das Interesse der 90 Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren, die sich für den „Tag mit der Königin“ angemeldet haben, ist riesig. Sie kommen aus den umliegenden Städten, aber auch aus Konstanz, Freiburg und sogar aus München. In Gruppen eingeteilt erfahren sie in fünf verschiedenen Workshops einiges zur Königin der Instrumente. Inklusive Mittagessen, Ballspiele und Gelächter im Klosterhof.
Pater Landelin macht die Orgelführung für alle, zeigt Pfeifen und Register, erklärt Cello-, Flöten- und Trompetenklänge, spielt den höchsten und den tiefsten Ton und beantwortet Fragen wie „Hört das auch ein Opa mit Hörgerät?“. Die Kinder erfahren, dass die Beuroner Orgel 3818 Pfeifen, von denen die kleinste nur sieben Millimeter groß ist, und 57Register hat. „Und noch mal 17 Register für die kleine Orgel vorn, die völlig ausreicht, wenn nur die Mönche singen.“
„Wie klingt das?“ will er wissen und pustet Luft in eine Metallpfeife, die er eben mal aus dem Kasten hinter seinem Rücken – „deshalb heißt das Rückpositiv“ – herausgeholt hat. „Wie ein kaputtes Huhn“, meint Lukas. „Ja“, lacht er, „das lass’ ich gelten.“ Die „Vox humana“ – die menschliche Stimme – klingt irgendwie ähnlich findet Mara. Lukas hört aufmerksam zu und entscheidet richtig, „dass Metallpfeifen schärfer klingen und Holzpfeifen weicher“. Ob er ein Register blind ziehen kann, während er spielt, wird Pater Landelin gefragt? „Ja“, sagt der Organist, „das kommt schon mal vor, dass man so was machen muss und dann hoffe ich, dass ich das richtige treffe.“ Er vermittelt den Kindern anschaulich, dass es mehr als 10 000 verschiedene Speichermöglichkeiten gibt. Und dass die 57 Register auch auf andere Manuale übertragen werden können. „Koppeln“, sagt er, „nennen wir das.“
Es geht noch viel lauter
Und dann koppelt er, was das Zeug hält, macht das Schwellwerk langsam auf und liefert richtig schönen Orgelsound. Mit einem 32-Fuß-Register, „unserer längsten Pfeife“. „Geht’s noch lauter?“, fragt einer. „Ja, mit Tutti, also mit allen Registern.“ Schwer beeindruckt schauen auch die Radtouristen, die gerade die Kirche besichtigen, von unten zur Empore hinauf.
Bereits zum zweiten Mal bietet die Benediktinerabtei Beuron, in der rund 50 Mönche leben, diesen Kinderorgeltag an. Mit wachsendem Erfolg. Im vergangenen Jahr startete man mit 80 Teilnehmern. Bruder Lukas, der in Beuron wie er selbst sagt, für „Konzerte und die Post“ zuständig ist, hat diesen Erlebnistag mit dem Organisten und Michael Grüber, Kulturmanager in Sachen Orgel, organisiert. „Unser ganzes musikalisches Programm ist für Erwachsene. Da lag es doch nahe, mal etwas für Kinder zu machen.“ Gerlinde Kretschmann hat die Schirmherrschaft übernommen und den Nachwuchs morgens begrüßt. Michael Grüber selbst zeigt einen Film über die Funktionsweise einer Orgel, lernt mit den Kindern das Orgellied am Klavier und zeigt an der Drehorgel, dass „die Töne auch mit Lochstreifen statt mit Tasten erzeugt werden können“. Eine professionelle Märchenerzählerin fesselt mit einer Musikgeschichte und eine Zauberin begeistert mit faszinierenden Tricks in der Krypta.
Echte Orgelbaumeister und Restaurateure wie Bernd Teichmann, Ralph Krauter oder Wolfgang Braun aus Rosenfeld bauen Pfeifen und machen Experimente mit den Kindern. Außerdem erklären sie in ihren Workshops, wie das Innenleben einer Pfeife aussieht und wie der Wind überhaupt in das Instrument kommt. „Ein Produkt der Sinne“, sagt Orgelbaumeister Braun. „Die Kinder können alles anfassen und daran riechen – und wenn sie am nächsten Sonntag in der Kirche sind, hören sie die Orgel anders.“ Das ist aber bereits beim Abschlusskonzert passiert. Der Papst jedenfalls wäre begeistert gewesen.