StartseiteKultur„Die Sprache sucht sich Schleichwege“

Schleichweg

„Die Sprache sucht sich Schleichwege“

Ravensburg / Lesedauer: 4 min

Historiker und Autor Bodo Mrozek über bedrohte Wörter, Anglizismen und das Sammeln schöner Ausdrücke
Veröffentlicht:17.06.2013, 07:55

Von:
  • Schwäbische.de
Artikel teilen:

Je älter man wird, desto deutlicher wird es: Die Wörter, die man in der Jugend benutzt hat und die damals frisch waren, werden zusammen mit einem alt. Diese Erkenntnis, dass die eigene Jugendsprache ausstirbt, veranlasste Bodo Mrozek, Historiker, Journalist und Publizist, zu seinem zweibändigen „Lexikon der bedrohten Wörter“ (2005/2006). Die Bücher sind ein Renner, gerade erscheint die elfte Auflage. In den zwei Bänden versammelt sind rund 600 Wörter, die aus dem heute aktiven Sprachschatz zu verschwinden drohen, etwa Kleinod, Bandsalat oder Xanthippe.

Mrozek hat die Begriffe nicht nur aufgelistet, sondern auch deren Herkunft erklärt. Statt schlichter Lexikon-Einträge formulierte der 44-Jährige launige Hintergrundstücke, für die das Online-Lexikon Wikipedia die (ebenfalls aussterbende) Beschreibung „feuilletonistisch“ gewählt hat. Warum sich der Autor persönlich lieber nicht als Wortschützer betätigt und sogar davor warnt, erzählte er Melanie Heike Schmidt.

Herr Mrozek, für diejenigen, die Ihre Bücher nicht kennen: Was steht drin?

Es ist eine Sammlung von Sprachschätzen, also von Wörtern, die vom Aussterben bedroht sind, weil sie nicht mehr oft benutzt werden. Es sind ein paar Hundert Begriffe zusammengekommen, wobei meine Auswahl nicht repräsentativ war.

Wie haben Sie ausgewählt?

Sehr individuell. Zuerst habe ich eine recht persönliche Liste erstellt von Wörtern, die mir selbst eingefallen sind. In alten Lexika habe ich Begriffe gefunden, die man immer noch versteht, die man aber selbst aktiv nicht mehr verwendet. Zum Beispiel das Wort Kleinod. Heute wissen die meisten noch, dass es sich dabei um eine Kostbarkeit handelt. Dass aber hinter diesem Wort eine kleine Sprachgeschichte steckt, weil das Wort etwa in der mittelalterlichen Rechtsprache von zentraler Bedeutung war, ist heute vergessen. Zusätzlich bin ich auch feldforscherisch vorgegangen und habe Bekannte und Kollegen gefragt, die ebenfalls viele Begriffe beigetragen haben.

Welche zum Beispiel?

Die Sportredaktion hat den Begriff Libero beigesteuert. Von jemand anderem kam der Hinweis, dass der heutige Disk-Jockey früher Schallplattenalleinunterhalter genannt wurde. Und wenn einer heutzutage auf dem Dancefloor abhottet, verwendete man früher den Begriff Schwoof.

Sind es also die bösen Anglizismen, die schöne alte Wörter verdrängen und zum Aussterben verdammen?

Nein, böse ist daran gar nichts. Wir vergessen oft, dass vermeintlich deutsche alte Begriffe gar nicht deutsch sind, sondern aus dem Lateinischen, dem Griechischen oder dem Französischen stammen. Oder auch aus ganz anderen Sprachen. Anorak ist so ein Beispiel. Ich selbst dachte immer, dies sei ein deutsches Wort, dabei stammt es von den Inuit, also aus der Eskimo-Sprache. So gesehen spiegelt Sprache auch immer internationale Vernetzung wider.

Wie kamen Sie darauf, bedrohte Begriffe in einem Lexikon zu sammeln?

Einmal fiel mir auf, dass Begriffe aus meiner eigenen Jugend sich seltsam staubig anfühlten. Der Walkman zum Beispiel wirkte ebenso antik wie die Fete – heute spräche man wohl von einem Prozess des „Aging“. Außerdem tobte damals gerade die Debatte um die Rechtschreibreform. Es wurde viel über Buchstaben und Regeln diskutiert, zum Beispiel um die Frage „ss“ oder „ß“, aber praktisch gar nicht über Inhalte. Zu der Zeit rief auch der Deutsche Sprachrat einen Wettbewerb um das schönste deutsche Wort aus. Da kam mir die Idee, dass man doch einfach mal das schönste bedrohte deutsche Wort suchen könnte. Zu dem ja dann später Kleinod gewählt wurde.

Sammeln Sie noch weiter?

Wörter sammeln ist ein tolles Hobby, es ist preisgünstig und braucht wenig Platz. Allerdings habe ich immer das abschreckende Beispiel der Gebrüder Grimm vor Augen. Die beiden sind nämlich bei ihrer Arbeit am Deutschen Wörterbuch zu Lebzeiten nur bis zum Buchstaben F gekommen. Darum habe ich bei gut 600 Wörtern lieber aufgehört. Außerdem gibt es die Seite www.bedrohte-

woerter.de , wo die rote Liste der bedrohten Wörter fortgeführt wird. Da kann jeder seinen Lieblingsbegriff eintragen.

Sind Sie ein Wortschützer? Oder anders: Benutzen Sie heute den einen oder anderen Begriff, um ihn aktiv zu bewahren?

Nein, das hätte wenig Sinn. Wörter schützen wäre eine Sisyphusarbeit, die nur in den seltensten Fällen gelingt: Die Sprache sucht sich immer ihre eigenen Schleichwege, sie erneuert sich und entwickelt sich fort. Außerdem muss man sich fragen, ob das überhaupt wünschenswert wäre, alte Wörter im aktiven Wortschatz zu bewahren. Wenn man sie benutzt, wird man ja heutzutage oft nicht mehr verstanden, sondern schräg angeguckt. Wenn ich beispielsweise sage: Da überholt eine Babybrumme einen Fußgasaffen in einer Schneckenschleuder, dann versteht das kein Mensch mehr.

(Frei übersetzt heißt das: Da überholt ein Motorroller einen Autofahrer in einem aufgemotzten Sportwagen.)

Also lieber kein Wortschützer?

Nein, nur Jäger und Sammler. Allzu verbissenen Wortschützern droht angesichts der rasanten Entwicklung unserer Sprache etwas, das ich lieber vermeide: soziale Vereinsamung.

Haben Sie auch ein Lieblingswort? Schreiben Sie es uns unter

schwäbische.de/lieblingswort