Corona-Aufarbeitung
Untersuchungsausschuss – Gesundheitsministerium setzt Wieler unter Druck
Potsdam / Lesedauer: 9 min

- Philippe Debionne
Mit großer Spannung wurde der Auftritt von Ex-RKI-Chef Lothar Wieler vor dem Corona-Untersuchungsausschuss in Potsdam erwartet. Während ein vergleichbarer Ausschuss auf Bundesebene mit überwältigender Mehrheit von SPD, Grünen, FDP und der Union verhindert wurde und wird, setzte die AfD die Forderung nach dem Ausschuss in Brandenburg durch. Bereits Anfang September musste Wieler als Zeuge aussagen.
Eklat bei erster Sitzung
Recherchen dieser Zeitung zeigen jetzt, wie massiv das Bundesgesundheitsministerium Lothar Wieler unter Druck setzt und die Arbeit des Ausschusses behindert. Konkret geht es um eine sogenannte "Aussagegenehmigung", die geheim gehalten werden sollte und einen ominösen Aufpasser an der Seite des früheren RKI-Chefs Wieler. Es kam zum Eklat.
Es ist bereits der zweite Corona-Ausschuss in Brandenburg, der offizielle Titel lautet: „Untersuchung der Krisenpolitik der Landesregierung im Zusammenhang mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 und der Erkrankung COVID-19“. Nach Angaben der Antragsteller soll unter dem Vorsitz von Danny Eichelbaum (CDU) und Ronny Kretschmer (Linke) geklärt werden, ob die Brandenburger Landesregierung in der Corona-Zeit angemessen gehandelt hat oder nicht. Konkret geht es dieses Mal um die Zeit ab September 2020.
Was steht in der geheimen Aussagegenehmigung?
Eine Schlüsselfigur ist hier der frühere Chef des Robert Koch-Instituts Lothar Wieler – er war zum 1. September 2023 vorgeladen. Direkt zu Beginn sorgte eine spezielle Aussagegenehmigung für Wieler für Unmut. Die Genehmigung wurde ausgestellt vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) unter der Führung von Karl Lauterbach. Der Begriff „Genehmigung“ ist dabei irreführend: In dem Schriftstück wird exakt vorgeschrieben, worüber Lothar Wieler im aktuellen Untersuchungsausschuss sprechen darf - und worüber nicht.
Das dreiseitige Schriftstück wurden den Ausschussmitgliedern erst am Vorabend der Befragung zugestellt und durfte zudem nicht öffentlich verlesen werden. Was steht in der geheimen Aussagegenehmigung?

Lars Hünich (AfD) ist Mitglied des Untersuchungsausschusses und konnte die Aussagegenehmigung einsehen. Er sagte dieser Zeitung: „Darin waren sehr strikte Maßgaben und eine ganze Reihe von Einschränkungen für Hern Wieler. Ihm wurde etwa untersagt, Akten mitzubringen. Zudem durfte er laut Genehmigung nur zu Dingen sprechen, die mit Brandenburg zu tun hätten und in die Untersuchungskompetenz des Landtages Brandenburg fielen. Die Worte ‚Untersuchungskompetenz des Landes’ waren unterstrichen und gefettet.“ In einem weiteren Abschnitt der Genehmigung ging es laut Hünich um die mögliche „Verletzung von Grundrechten“. Hünich: „Hierbei war das Wort Grundrechte gefettet und unterstrichen. Wobei es meiner Erinnerung nach um Grundrechte von Dritten ging, die eventuell im Rahmen der Anhörung betroffen sein könnten und das Aufklärungsinteresse des Parlaments überträfen.“
Ein weiterer Punkt betraf Informationen und Erläuterungen, die als Geheim eingestuft seien. Ausschussmitglied Hünich: „Das Wort ‚Geheim‛ war gefettet und unterstrichen.“ Konkret ging es um Informationen und Fakten, die unter anderem „zum Schutze der Bundesrepublik und zur Abwendung von Schaden für die Sicherheit Deutschlands oder seiner internationalen Beziehungen zu Fremdstaaten“ von der Bundesregierung als geheim eingestuft werden. Diese seien „nur in nicht-öffentlicher Sitzung unter Geheimschutzbedingungen zu besprechen“. Falls ein Austausch dazu „unter Geheimschutzbedingungen nicht möglich sei, so dürfe er sich nicht äußern“, sagt Hünich weiter.
Sollte es zudem Zweifel über die Zulässigkeit von Aussagen nach den beschriebenen Einschränkungen geben, seien diese „nicht zu tätigen“. Hünich: „Dabei wurde er darauf hingewiesen, dass er diesbezüglich mit dem Bundesministerium für Gesundheit zu telefonieren hätte oder gar die Bundesregierung zu erreichen hätte, um das zu klären.“
Rottmann-Großner: Lockdown-Maßnahmen und Ausgangssperren
Veröffentlicht werden darf die Aussagegenehmigung nicht, auch den Ausschussmitgliedern wurde der Zugang zu der Aussagegenehmigung verwehrt und eine Kopie vom Landtagsserver gelöscht. Hünich: „Eine erneute Übersendung wurde abgelehnt mit dem Verweis, dass es sich um ein Privatdokument - an Herrn Wieler adressiert - handeln würde und wir keinen Anspruch auf Herausgabe gelten machen könnten.“
Damit sich Wieler auch wirklich an die strengen Vorgaben aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) hielt, hatte die Behörde einen Aufpasser mit in den Ausschuss geschickt - Heiko Rottmann-Großner, Leiter der „Unterabteilung 61 - Gesundheitssicherheit“ im BMG. Rottmann-Großner ist seit Jahren im Ministerium verankert, diente auch unter Jens Spahn. Rottmann-Großner gilt als Strippenzieher strenger Lockdown-Maßnahmen wie Ausgangssperren und der Schließung des öffentlichen Lebens.

Das zumindest schreiben der ehemalige Spiegel-Chefredakteur Georg Mascolo und seine Frau, die Stern-Journalistin Katja Gloger in ihrem Buch „Ausbruch – Innenansichten einer Pandemie“. Darin berichten die Autoren von einem Termin im Bundesinnenministerium am 24. Februar 2020, es ist ein Rosenmontag. Hier habe sich Thomas Steffen, damaliger Staatssekretär von Jens Spahn, mit anderen Staatssekretären und weiteren Beamten getroffen.
Begleitet wurde Steffen von Heiko Rottmann-Großner. Im Buch heißt es dazu: „Staatssekretär Steffen wirkt angespannt. Er glaube nicht, dass sich Corona noch eindämmen lasse, bekennt er. (…) Jetzt gehe es in die nächste Phase, die Mitigation, Schadenminderung. Als die Beamten aus dem Innenministerium wissen wollen, was ‚Mitigation‛ genau bedeute, übernimmt Rottmann-Großner. Man müsse die Vorkehrungen dafür treffen, dass es zu Ausgangssperren von unbestimmter Dauer komme. Man müsse auch, wie es später in einem Vermerk über das Gespräch heißen wird, ‚die Wirtschaft lahmlegen sowie die Bevölkerung auffordern, sich Lebensmittelvorräte und Arzneimittelvorräte anzulegen‛. ‚Lockdown‛ wird so etwas bald genannt werden, aber an diesem Rosenmontag wird noch ein anderes Wort verwendet: Es lautet ‚Abschaltung‛.“
Zettel mit Notizen und Handzeichen an Lothar Wieler
Dieser Mann saß im Untersuchungsausschuss also neben Lothar Wieler - ohne offizielle Funktion, auch über den Grund seiner Anwesenheit wurde der Ausschuss zunächst nicht informiert. Wie aus Ausschuss-Unterlagen hervorgeht, die dieser Zeitung vorliegen, schob Rottmann-Großner Wieler allerdings direkt bei der ersten Frage einen Zettel mit Notizen zu, an anderen Stellen gab er ihm Handzeichen.
Als sich mehrere Ausschussmitglieder mehrfach und eine Einflussnahme des Mannes auf den Zeugen Wieler beschwerten, trennte der Ausschussvorsitzende der CDU den BMG-Mann Rottmann-Großner und Ex-RKI-Chef Wieler nach kurzer Diskussion voneinander. Er sei hier, um „auf die Richtigkeit der Aussagen zu achten“, versuchte sich der Leiter der Gesundheitssicherheit zu rechtfertigen. Der Ausschussvorsitzende machte ihm unbeeindruckt klar: „Sie dürfen hier nicht reden.“ Rottman-Großner musste sich daraufhin auf Anweisung des Ausschuss-Vorsitzenden von Wieler wegsetzen.
Die CDU-Politikerin Saskia Ludwig, die Mitglied im Untersuchungsausschuss ist, sagte dieser Zeitung dazu: „Man muss es so deutlich sagen: Eine Zeugenbeeinflussung darf nicht sein, das geht gar nicht. Insofern hat der Ausschussvorsitzende völlig richtig reagiert“. Es sei wichtig, dass alle Zeugen „frei und unabhängig aussagen dürfen“, so Ludwig. Es sei nicht das Ziel des Ausschusses, einzelne Menschen an den Pranger zu stellen „oder gar Vergeltung“ zu üben. „Es geht darum festzustellen, was während der Corona-Zeit gut gelaufen ist und was nicht gut gelaufen ist. Es gab massive Grundrechtseinschränkungen, es gab einen immensen Druck auf Menschen, die sich nicht impfen lassen wollten, es gab radikale Maßnahmen speziell für Kinder und Jugendliche. Das muss alles auf den Tisch, alle Daten und Fakten, und erst dann können wir diese ganze Zeit tatsächlich bewerten.“
Im Gespräch mit dieser Zeitung sagte Ludwig weiter, dass mit Blick auf die Corona-Zeit immer wieder von Versöhnen und Verzeihen gesprochen werde. Ludwig: „Wir müssen zueinanderfinden, damit die Gesellschaft weiter funktionieren kann. Man kann aber keinen Menschen dazu zwingen, anderen Menschen zu verzeihen. Das muss jeder für sich entscheiden. Wir möchten mit dem Ausschuss die Wahrheit auf Tisch bringen, und zwar die ganze Wahrheit. Und auf dieser Basis können die Menschen dieses Landes sich dann entscheiden, ob und wie sie ganz persönlich mit der großen Aufgabe der Versöhnung umgehen können und wollen.“
Wieler: „Empfehlungen“ des RKI sind nicht bindend für Politik und Justiz
Entsprechend war es neben den Vertretern der AfD-Fraktion vor allem Ludwig, die Wieler mit kritischen Fragen zu seinem Wirken in der Corona-Zeit konfrontierte, SPD, Linke und Grüne hielten sich weitestgehend zurück.
Ludwig befragte Wieler unter anderem zur Datenerfassung der Corona-Fälle, zu Untersuchungen über die Wirksamkeit der Corona-Impfung, zum angeblichen Mangel an intensivmedizinischen Beatmungsplätzen wie auch zum Ausschluss von Ungeimpften aus Teilen der Öffentlichkeit sowie anderen Maßnahmen, mit denen Grundrechte eingeschränkt wurden.
An vielen Stellen, so geht aus den Unterlagen hervor, die dieser Zeitung vorliegen, berief sich Wieler auf Erinnerungslücken. Immer und immer wieder. Zugleich betonte er mehrfach, dass das RKI unter seiner Leitung nur „beratend“ tätig gewesen sei. So dürfe man die „Empfehlungen“ des RKI nicht als bindend für Politik und Justiz ansehen, und für Impfnebenwirkungen sei ohnehin die Ständige Impfkommission und das Paul-Ehrlich-Institut der richtige Ansprechpartner. Zudem berief sich Wieler immer wieder auf Studien aus anderen Ländern, etwa bei der Erkrankungsquote von Ungeimpften oder zur Infektionsanfälligkeit von Genesenen.
Wieler: Der Lockdown hat das Infektionsgeschehen massiv reduziert
An einigen entscheidenen Punkten gab sich Wieler dann wiederum erstaunlich offen. So betonte der Ex-RKI-Chef, „Kinder können auch Erwachsene anstecken“. Zudem stellte er klar: „Ich achte alle Leben. Das eines 90-Jährigen und das eines Fünfjährigen ist für mich gleich viel wert.“ Er räumte auch ein, dass ein PCR-Test nicht nachweisen könne, ob ein Mensch einen anderen Menschen anstecken könne und dass das RKI nicht für eine zuverlässige Datenerfassung in Zusammenhang mit Corona und Impfungen sorgen konnte. Nach Aussage von Saskia Ludwig blieb in diesem Zusammenhang unter anderem der Impfstatus von 75 Prozent der Covid-19-Erkrankten ungeklärt.
In einem entscheidenden Punkt ist sich Lothar Wieler aber nach wie vor ganz sicher. Wieler sagte: „2020 im Frühjahr hat der Lockdown das Infektionsgeschehen massiv reduziert. Das muss man doch sehen. Das Infektionsgeschehen ist massiv reduziert worden.“ Konkrete Studien dazu benannte er nicht.