Kultur
Aus dem Stamm: Rudolf Wachter in Singen
Singen / Lesedauer: 4 min

Antje Merke
Der Bildhauer Rudolf Wachter (1923‐2011) fand spät, in den 1970er-Jahren zur Holzbildhauerei. In nur vier Jahrzehnten aber schuf er ein Werk, das ihn zu einem Erneuerer der Holzskulptur im 20. Jahrhundert machte. Im Umgang mit dem Werkstoff Holz und in der Berücksichtigung der natürlichen Formveränderung ist Wachter einzigartig. „Ich arbeite mit Holz, und das Holz arbeitet mit mir“, war Wachters Credo.
In diesem Jahr jährt sich der 100. Geburtstag des Künstlers. Ein Grund mehr für das Kunstmuseum Singen, sein Werk mit einer großen Ausstellung zu würdigen. Rund 70 Arbeiten von den 1970er-Jahren bis zu seinem Tod werden präsentiert, einige davon stammen aus der Sammlung der Galerie Wohlhüter bei Sigmaringen. Eine Ausstellung mit dieser enormen Bandbreite gab es schon lange nicht mehr im Südwesten zu sehen. Kunstfreunde sollten sich das nicht entgehen lassen. Die Schau, stimmig kuratiert von Museumleiter Christoph Bauer, reiht sich ein in eine lose Serie zu Bildhauern aus der Vierländerregion.
Ein Meister der Kettensäge
Die Kettensäge war sein mächtiges Werkzeug. Damit schnitt Rudolf Wachter bis ins Zentrum des zumeist frisch gefällten, noch feuchten Baumstamms. Durch diesen Kern- oder Schwundschnitt des Bildhauers ins Herz des Stammes entwickelt das Holz seine formgebenden Kräfte. In unterschiedlichen Werkgruppen untersuchte Wachter die natürliche Struktur und Form seines Material. Auf diese Weise gelang es ihm, Skulpturen zwischen organisch-gewachsener und künstlerisch bearbeiteter Form entstehen zu lassen. Sein Werk ist bis heute eine besondere Symbiose aus Kunst und Natur. „Ich habe das Holz nicht mehr als Material für eine abstrakte Form genommen, sondern die Natur war für mich Ausgangspunkt für die Form. Ich habe nicht mehr komponiert (...), sondern die Natur angeschaut und darin (...) eine Plastik gesehen“, erklärte Rudolf Wachter einmal.
Ein perfektes Beispiel in der Ausstellung ist die „Ameisenbrücke“ (1984/85) aus dunklem Djibuti-Holz. Wachter schälte den Stamm mit der Kettensäge von beiden Seiten so ab, dass ein massives Brett in der ursprünglichen Breite des Stammes entstand. Und dann setzte er einen einzigen gezielten Schnitt quer zur Wuchsrichtung. Dadurch verkürzte sich das Holz derart, dass sich das gesamte Brett an dieser Stelle abwinkelt ‐ und fertig war die Brücke. Genauso hat er auch seine Arbeit „Entwicklung einer Kiste“ (1985) geschaffen: Aus einem einzigen Stamm sägte er einen großen Quader, den er innen aushöhlte, mit einem Schrägschnitt öffnete und diesen durch den Trocknungsprozess größer werden ließ. Im Hintergrund sind im Kunstmuseum Singen vier Modelle dazu zu sehen. So kann der Besucher nachvollziehen, wie der Künstler gearbeitet hat.
Vom Handwerk zur Kunst
Kaum zu glauben, dass Rudolf Wachter, der in Bernried im Bodenseekreis geboren wurde, ein gelernter Schreiner und Herrgottschnitzer war. Als zweiter Sohn eines ambitionierten Schreiners mit acht Kindern musste er das Handwerk des Vaters lernen und fleißig in der Neukircher Werkstatt arbeiten. Widerspruch wurde nicht geduldet. Nach dem bitteren Krieg, in dem er ein Bein verlor, war er einige Jahre an der Bildhauerschule von Oberammergau, ehe er zum Akademiestudium nach München ging, wo er bis zu seinem Tod lebte. „Es hat Jahrzehnte gedauert“, so Wachter, „das Handwerkliche zu überwinden.“
Dabei hat ihm das handwerkliche Wissen natürlich geholfen, mit dem Holz umzugehen. Er wusste, wie der erst Schnitt in das Innere des noch feuchten Stammes verlaufen muss, damit nichts bricht. Beim Trocknen, wenn sich die Jahresringe zusammenziehen, entstand dann genau jene Biegung oder Spaltung, die er beabsichtigt hatte. An Bleistiftmarkierungen, die er als Arbeitsspuren stehen ließ, kann man sehen, wie stark sich das Material bewegt hat. Gut nachvollziehen kann man das im Kunstmuseum Singen an „Station XVI“ (2002). Das flache Rechteck, mit kreisförmigen Kettensägenspuren überzogen, öffnet sich auf der linken Seite wie ein Buch.
Fast immer aus einem Stück
Neben eckigen Holzskulpturen schnitt Wachter aber auch weiche Spiralen in die Stämme von Pappeln, Kastanien oder Erlen. So entstanden vollplastische, organisch geformte Arbeiten für den Boden. In der Singener Ausstellung ist eine ganze Serie davon zu sehen. „Gebrochener Raum“ heißt eine von ihnen, die aus vier Schalen zu bestehen scheint, aber aus einem Stück gefräst wurde.
Apropos aus einem Stück. Einzige Ausnahme im Kunstmuseum Singen ist Wachters „Pan-Spiel“ (1980), das aus 107 spitz zulaufenden, glatt geschliffenen Balken besteht, die individuell zusammengestellt werden können. Die Arbeit dient als Eyecatcher im Schaufenster und wird nachts angestrahlt. Sie ist zweifellos ein Solitär in Rudolf Wachters Werk.
Öffnungszeiten: Di.-Fr. 14-18 Uhr, Sa. und So. 11-17 Uhr. Mehr unter: