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Durch Boxen gewaltfreie Perspektive bieten

Friedrichshafen / Lesedauer: 4 min

Durch Boxen gewaltfreie Perspektive bieten
Veröffentlicht:05.08.2011, 11:05

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Medaillen und Pokale sind das eine, sich im Leben durchboxen das andere. Wenn Harald Beck mit seinem Team wie etwa am vergangenen Wochenende im Bodensee-Center seine Zelte – oder besser: den Ring - aufschlägt, werden alle doch noch ein wenig misstrauisch beäugt. „Gewaltfrei durchboxen“ ist ein Projekt gegen Gewalt von Jugendlichen, ein Projekt, das nun einen weiteren großen Erfolg feiern konnte.

Acht von neun Jugendlichen wurde ab kommenden Herbst eine Lehrstelle oder ein Platz auf einer weiterführenden Schule besorgt, „und den einen bringe ich auch noch unter“, ist sich Harald Beck sicher. Das Ziel ist es, gewaltbereite Jugendliche durch das Boxtraining und dem dadurch verbundenen hohen Maß an Körperbeherrschung, Disziplin und Respekt, wie es auf der Homepage „gewaltfrei-durchboxen.de“ heißt, eine neue gewaltfreie Perspektive zu bieten.

„Es ist einfach, sich immer nur gegen etwaige Problemfälle aufzuregen. Etwas dagegen zu tun, dazu sind die meisten zu bequem,“ weiß Harald Beck, der seit zehn Jahren der Boxabteilung des VfB Friedrichshafen angehört. Das Projekt, mit dem in den vorangegangenen Jahren vier Jugendlichen eine Lehrstelle verschafft werden konnte, wurde auch über die Boxabteilung des VfB und mit Unterstützung etlicher Sponsoren geschaffen. „Zwei Dinge will ich aber endlich einmal klar stellen: Erstens sind wir kein Konkurrenzverein zum VfB, und zweitens will ich den VfB so gut es geht aus der Sache herauslassen. Denn wenn irgendetwas vorfällt, soll die Boxabteilung keinen Schaden nehmen“, sagt Beck.

Dass beide jedoch auch zusammengehören, zeigen etwa Sahin (16) und Murtez (15), die Verein wie Projekt angehören. „Wir sind alle drei Jahre dabei und von der Schule aus dazu gestoßen. Jeder hat schon mal was ausgefressen,“ redet Sahin nicht um den heißen Brei herum. „Wenn du aus der Schule kommst, bist du eigentlich auch aus dem Projekt raus. Aber wir bleiben dabei. Eine unserer Lehrerinnen war skeptisch und hatte eigentlich davon abgeraten, aber hier lernst du Respekt,“ sagt der 16-Jährige. Denn: „Wenn du im Ring stehst, weißt du, wie es ist, eines auf die Schnauze zu kriegen.“

Hin und wieder komme „es“ in einem hoch, der Rückfall in alte Verhaltensmuster, „aber wir reden dann viel, auch helfen uns die Trainer bei familiären Problemen“, sagt Yasin (17). Alle wissen, dass sie sich von ihren alten „Freunden“ fern zu halten haben, Provokationen oder Anmachversuche sind nun mal allgegenwärtig. Das weiß freilich auch Florian Nägele , der dem Projekt zur Seite steht. Der Streetworker von der Arcade e.V. aus Ravensburg arbeitet seit zwei Jahren bei dem Häfler Projekt mit, „um eben auch Präventionsarbeit in Schulen zu leisten“.

Da Jugendgerichtshilfe und Bewährungshilfe eine wesentliche Rolle spielen, ist klar, dass es sich um Straftaten handelt, die sich nicht mehr „nur“ mit dem Knacken von Zigarettenautomaten beschäftigen. Florian Nägele steckt derzeit in einer Ausbildung zum „Anti-Aggressivitäts- und Coolness-Trainer“, in der die zumeist Jugendlichen mit ihren Straftaten konfrontiert werden. „Der Bedarf und die Erfolge des Projekts sind vorhanden, jetzt müssen wir alles breiter anbieten.“

Trainingsmöglichkeiten sind etwa im Jugendzentrum Molke wie auch im Turnerheim gegeben, vor allem in zweit genannten soll ein wesentliches Domizil entstehen. „Wir sind in Gesprächen mit der Stadt Friedrichshafen, bis dahin könne wir dank dem VfB dort kostenfrei trainieren,“ sagt Harald Beck. Und weist auf mehr als das pure Trainingszentrum hin. „Dort gibt es auch einen Theken- und Toilettendienst. Da sehen wir, inwieweit sich Einzelne einbringen können und wollen.“

Dass mit dem Konzept weitere Erfolge „durchgeboxt“ werden können, werde laut dem 48-jährigen Häfler auch die andere Seite mit einbezogen. „Die, die sich in der Opferrolle befinden und befunden haben, sind ein wesentlicher Bestandteil. Wir zeigen unseren Jungs durch das Simulieren gewisser Situationen immer wieder, wie es sich auf der anderen Seite anfühlt.“ Dass dann zuweilen auch Tränen fließen, zeigt auch, dass die eine von der anderen Seite hin und wieder gar nicht so weit entfernt scheint.

Info: Die Teilnehmer kommen bisher ausschließlich aus der Pestalozzi-Schule, in der Beck vor vier Jahren eine Sport AG ins Leben rufen konnte. Also auch aus der sogenannten Koop-Klasse (Stichwort Schulverweigerer) dieser Schule, die im Max-Grünbeck-Haus angesiedelt wurde. Im neuen Schuljahr will Beck mit den weiteren Trainern Michael Hofmann und Reinhard Erne das Projekt in der Schreienesch-Schule vorstellen, auch eine Zusammenarbeit bei den Maltesern mit körperlich und geistig behinderten Kindern ist angedacht.